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# taz.de -- Islamfeindliche Pegida-Proteste: Vernunft hilft nicht gegen Patriot…
> 15.000 Menschen kamen zum Pegida-Marsch. Unionspolitiker wünschen sich
> einen Dialog mit ihnen. Aber Hass ist nicht rational.
Bild: „Unsere Regeln, unsere Tradition“. Patriotische Jacke auf einer Ableg…
Wir müssen reden. Politiker nicht nur aus der Union plädieren für einen
Dialog mit den verbissen Schweigenden, die da an jedem Montag ihre Furcht
vor dem Islamismus in Dresden kundtun. Zugleich zeigen sich Beobachter von
der Tatsache irritiert, dass eine offenkundig fremdenfeindliche Furcht dort
auflebt, wo es an Fremden mangelt. Denn lediglich 2,2 Prozent aller Sachsen
sind keine Deutschen.
Doch diese Erkenntnis ist nicht überraschend. So wenig es jüdischen Lebens
für einen manifesten Antisemitismus bedarf, so unnötig sind Muslime für
Ressentiments gegen Muslime. Ja, es scheint fast, dass die Abwesenheit des
vermeintlich Bösen die Erzeugung dieses Feindbildes noch begünstigt.
Etwa jeder fünfte Deutsche gilt nach einer Studie für den Deutschen
Bundestag als latent oder manifest antisemitisch. Sie oder er hängt der
irrationalen Vorstellung an, nach der Juden in welcher Form auch immer eine
Bedrohung, ein Ärgernis oder ein Problem darstellen. Nun ist das Äußern
antisemitischer Stereotype aus gutem Grund in der Bundesrepublik geächtet.
Für antiislamische Vorstellungen gilt dieses Tabu dagegen nicht. Es spricht
daher einiges dafür, dass die Zahl der Muslimhasser die der Antisemiten
übersteigt. Darauf weisen auch Umfragen hin, in denen rund die Hälfte der
Bevölkerung Verständnis für die Pegida-Proteste äußert.
Selbstverständlich verbieten sich Analogien zwischen dem
nationalsozialistischen Regime vor 70 Jahren und einigen Tausend Dresdner
Demonstranten heute. Das hieße nicht nur, die Opfer der NS-Massenmörder
politisch zu instrumentalisieren, sondern auch, der Pegida-Bewegung eine
Bedeutung zuzumessen, die sie glücklicherweise nicht besitzt. Allerdings
lassen sich zwischen den Dresdner „Wutbürgern“ und antisemitisch geprägten
Bewegungen in der Weimarer Politik durchaus Parallelen finden.
## Der tiefe Glaube an etwas Irrationales
Beide projizieren ihre offenbaren Ängste vor Veränderungen in die Furcht
vor einem vermeintlich allmächtigen Gegner. Das Ergebnis dieser Projektion
ist der tiefe Glaube an etwas Irrationales. Anders ausgedrückt: Es ist
natürlich Blödsinn, dass Islamisten demnächst in Dresdner Wohnstuben
eindringen, genauso wie es absoluter Schwachsinn war (und ist), Juden eine
Weltverschwörung anzudichten. Dennoch existiert ein solcher Glaube.
Beide Gruppen entstammen dem Kleinbürgertum, in dem Abstiegsängste
besonders ausgeprägt sind. Tatsächlich ist die Furcht vor Arbeitslosigkeit
und Pauperisierung unter diesem nicht unbegründet. Die Kriminalität an der
Grenze zu Polen wird von vielen dort Ansässigen als Problem empfunden.
Unsinnig sind allerdings die Schlussfolgerungen, die einige der Betroffenen
daraus ziehen.
Beide Bewegungen zeichnet ferner die Ablehnung bestehender „etablierter“
Parteien, demokratischer Prozesse und der Medien aus, die als
„Systempresse“ verunglimpft wird. Pegida lehnt eine Debatte über ihre Ziele
ausdrücklich ab.
Nun hieße es, ein irreales Bedrohungsszenario zu eröffnen, würde man nicht
auf die eklatanten Unterschiede zwischen den judenfeindlichen Bewegungen
einst und den Muslimhassern heute hinweisen.
## Kleine Reste rationalen Denkens
Die Gewaltbereitschaft der Pegida-Bewegung scheint gering ausgeprägt. Der
Bewegung fehlt jedwede charismatische Führungsfigur. Vor allem aber glauben
die Muslimhasser zumindest indirekt an ein reales Problem anknüpfen zu
können. Attentate aus dem islamisch-terroristischen Umfeld sind in der
Bundesrepublik durchaus möglich. Das verweist auf kleine Reste rationalen
Denkens unter denjenigen, die von einer vermeintlichen Islamisierung
ausgehen, während die Antisemiten bis heute ohne jede Ratio auskommen.
Der Wunsch namentlich von Unionspolitikern nach einem wie immer gearteten
Dialog mit den Pegida-Demonstranten speist sich aus der Erkenntnis, dass
diese aus der vielzitierten Mitte der Gesellschaft stammen. Diese richtige
Diagnose vernebelt aber zugleich die Sinne, geht damit doch die Behauptung
einher, die Demonstranten seien nicht rechtsradikal eingestellt. Nur
solange man Rechtsradikalismus mit Baseball schwingenden Glatzen
identifiziert, mag das stimmen. Doch rechtsradikale und damit
antisemitische, rassistische oder muslimfeindliche Einstellungen sind
selbstverständlich in dieser Mitte längst angekommen und verbreitet.
Kann man mit Vernunft Pegida etwas anhaben? Da sind angesichts der
Irrationalität der Bewegung Zweifel berechtigt. In Deutschland gab es zu
Kaisers Zeiten einen „Verein zu Abwehr des Antisemitismus“. Sein honoriges
Ziel war es, Antisemiten durch Argumente davon zu überzeugen, dass ihr
Glaube nicht den Tatsachen entsprach. Das ging schon damals schief. Der
Historiker Theodor Mommsen schrieb schon 1894:
„Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, daß man da überhaupt mit Vernunft
etwas machen kann. Ich habe das früher auch gemeint und immer wieder gegen
die ungeheure Schmach protestiert, welche Antisemitismus heißt. Aber es
nutzt nichts. Es ist alles umsonst. Was ich Ihnen sagen könnte, was man
überhaupt in dieser Sache sagen kann, das sind doch immer nur Gründe,
logische und sittliche Argumente. Darauf hört doch kein Antisemit. Die
hören nur auf den eigenen Haß und den eigenen Neid, auf die schändlichen
Instinkte. Alles andere ist ihnen gleich.“
Es steht zu befürchten, dass für die Muslimhasser Ähnliches gilt. Aber
reden schadet immerhin nichts, heißt es. Das stimmt – aber nur solange
daraus nicht folgt, dass man diese Bewegung salonfähig macht. Wirklich
furchtbar aber ist es, wenn Demokraten glauben, sie könnten den Irrsinn
damit bekämpfen, den Irrsinnigen politisch entgegenzukommen.
16 Dec 2014
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
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