| # taz.de -- Justizkritiker über Wiesn-Attentat: „Ich hab viel Unerwartetes e… | |
| > Die Behörden haben beim Wiesn-Attentat versagt. Am schwersten wiegt für | |
| > Ulrich Chaussy die Zerstörung der Tatortasservate, sagt er. | |
| Bild: „Zum Gedenken an die Opfer des Bombenanschlags“ – das Mahnmal in M�… | |
| taz: Herr Chaussy, Generalbundesanwalt Range hat neue Ermittlungen zum | |
| Oktoberfestattentat angeordnet und angekündigt, dass umfassend ermittelt | |
| wird. Glauben Sie daran? | |
| Ulrich Chaussy: Ranges Entscheidung ist mutig und ein guter Schritt für den | |
| Rechtsstaat. Er will nicht nur neuen Zeugenaussagen nachgehen, sondern auch | |
| das alte Material überprüfen, das damals vernachlässigt wurde, weil es | |
| nicht zur Einzeltäterthese passte. Schon nach wenigen Wochen wurde ja nicht | |
| mehr ergebnisoffen ermittelt. | |
| Range hat das bayerische LKA mit den Ermittlungen beauftragt. Beteiligt | |
| sind also die beiden Behörden, die 1980 auch ermittelt haben – und aus | |
| Ihrer Sicht – versagt haben. | |
| Beide Behörden haben sich offenkundige Fehlleistungen zuschulden kommen | |
| lassen. Am schwersten wiegt für mich die Zerstörung der Tatortasservate | |
| durch die Bundesanwaltschaft selbst – wegen Platzproblemen bei der | |
| Lagerung. Bei dem schwersten Terroranschlag in der Bundesrepublik mit 13 | |
| Toten! Das ist vollständig inakzeptabel. Die abgetrennte Hand, die bislang | |
| nicht klar zugeordnet werden konnte, könnte die Spur eines Menschen sein, | |
| der mit Gundolf Köhler, dem vermeintlichen Einzeltäter, Kontakt hatte und | |
| auf der Theresienwiese anwesend war – wenn es sie noch geben würde. | |
| Inzwischen hätte man eine DNA-Analyse machen lassen können, aber diese | |
| Möglichkeit gibt es jetzt nicht mehr. Das ist eine in einer langen Reihe | |
| irreversibel verpasster Chancen. Jetzt hängt alles an den neuen Aussagen. | |
| Können die neuen Ermittlungen überhaupt zum Erfolg führen? | |
| Die Frage ist, wie es die beiden Behörden mit der Fehlerkultur halten | |
| werden. Wenn die heutigen Kommissare mit großer Gründlichkeit arbeiten, | |
| stehen kritische Auseinandersetzungen mit den Mitgliedern der damaligen | |
| Sonderkommission an. Die sind zwar längst in Rente, aber innerhalb einer | |
| Organisation ist das trotzdem schwierig. Eine unabhängige Ermittlungsgruppe | |
| wäre besser gewesen. | |
| Als vor drei Jahren das Terrortrio NSU aufflog, das zehn Menschen ermordet | |
| haben soll, haben Sie da Parallelen zu den Ermittlungen zum | |
| Oktoberfestattentat gesehen? | |
| Es gibt diese Tendenz, Rechtsextremisten als Einzeltäter zu sehen. Die | |
| Wehrsportgruppe Hoffmann hat in den 1970er Jahren sämtliche militanten | |
| Rechtsextremisten aller möglichen Gruppierungen quer durch die Republik | |
| angezogen. Nicht in dem Sinne, dass die formell Mitglied waren. Aber sie | |
| trafen sich dort. Dieser Netzwerkgedanke hat bei den Ermittlern nie die | |
| Rolle gespielt, die er unbedingt hätte spielen müssen. Köhler war ja | |
| anscheined formell kein Mitglied bei Hoffmann, aber hat dort trainiert. Im | |
| Sommer 1981 sagten Mitglieder aus, dass sie Köhler kannten. Damals hätten | |
| die Ermittlungen noch einmal ganz neu durchdacht werden müssen. | |
| Wie? | |
| Man hätte sich anschauen müssen, wer sich da alles vernetzt hat. Aber das | |
| ist nicht passiert. Das gilt auch für andere rechtsextreme Gewalttäter: Uwe | |
| Behrendt zum Beispiel, de im Dezember 1980 den ehemaligen Vorsitzenden der | |
| israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg und dessen Lebensgefährtin ermordet | |
| hat. Oder die Brandanschläge der „Deutschen Aktionsgruppen“, bei denen in | |
| Hamburg zwei Vietnamesen ums Leben kamen. | |
| Die Ermittler in Sachen Oktoberfest und NSU haben demnach ähnliche Fehler | |
| gemacht? | |
| Lassen Sie mich es so sagen: Wäre das Oktoberfestattentat wirklich | |
| durchrecherchiert worden, dann wären die Ermittler später vielleicht | |
| gewappnet gewesen. Sie hätten eher auf dem Schirm gehabt, was für eine | |
| Gefahr eine Gruppierung wie der Thüringer Heimatschutz birgt, aus dem der | |
| NSU ja entstanden ist. | |
| Was sind bei den neuen Ermittlungen die wichtigsten Fragen? | |
| Es ist nie geklärt worden, ob Gundolf Köhler diese komplizierte Bombe | |
| wirklich gebaut hat. Man weiß bis heute nicht, woher der Sprengstoff kam. | |
| Das kann vielleicht auch gar nicht mehr geklärt werden, weil damals die | |
| Hinweise auf Lembke vertan worden sind. | |
| Sie meinen den Neonazi Heinz Lembke, der Waffen hortete, wie Köhler | |
| Anhänger der Wehrsportgruppe Hoffmann war und der 1981 tot in U-Haft | |
| aufgefunden wurde. | |
| Der Tipp, dass Lembke Sprengstoff im Wald vergraben und ihn | |
| Rechtsextremisten für Anschläge angeboten hat, wurde kurz nach dem Attentat | |
| an die Soko Theresienwiese weitergeleitet – aber es wurde nur Lembkes Haus | |
| durchsucht. Im Jahr darauf fand dann zufällig ein Waldarbeiter eines der | |
| Waffendepots – insgesamt gab es 33 mit 88 Kisten. | |
| Lembke kam in Beugehaft, wollte aussagen und wurde drei Tage später tot in | |
| der Zelle aufgefunden. Er hinterließ einen Abschiedsbrief an seine | |
| Kameraden, dass er nicht zum Verräter werden wolle. Dann wurden die | |
| Ermittlungen eingestellt, weil Lembke tot und angeblich ein Einzeltäter | |
| war. | |
| Und gegen Tote wird nicht ermittelt. | |
| Die Waffen und der Sprengstoff von Lemke, die gleich nach der Beschlagnahme | |
| zerstört wurden, sie gehören auch zu diesen verpassten Chancen. Denn die | |
| Frage, ob es eine Verbindung von Lemke und Köhler gab, wird man kaum noch | |
| klären können. | |
| Welche Fragen sind darüber hinaus noch offen? | |
| Wenn die Aussage der neuen Zeugin stimmt, dass am Tag nach dem Anschlag in | |
| dem Spind dieses Aussiedlers auf Flugblättern Gundolf Köhler als Märtyrer | |
| gepriesen wurde, können sie nur von jemand mit Täterwissen geschrieben | |
| worden sein. Der Name war da öffentlich noch nicht bekannt. | |
| Sie hören sich nicht sehr optimistisch an, was mögliche Ermittlungserfolge | |
| angeht, oder ist dieser Eindruck falsch? | |
| Ach, ich hab in diesem Fall so viel Unerwartetes erlebt, dass ich nichts | |
| ausschließen will. Durch den NSU ist die Situation entstanden, dass die | |
| kritische Öffentlichkeit den Ermittlern auf die Finger schaut. Das macht | |
| Druck. Und die Ermittler wissen: Sie müssen das Zutrauen in ihre Arbeit | |
| erst wieder erwerben. Diese Chance haben sie jetzt. | |
| 20 Dec 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
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