# taz.de -- Biografie über Nationalismusforscher: Die Suche nach dem eigenen Z… | |
> Hans Kohn war ein Vordenker der Nationalismusforschung. Romy Langeheine | |
> spürt in ihrem Werk seinen nationalen Vorstellungen nach. | |
Bild: In Verdun fand eine der bedeutendsten Schlachten des 1. Weltkriegs statt.… | |
Hans Kohn ist ein wenig in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht, denn der | |
gebürtige Prager zählt zu den Begründern der Nationalismusforschung, er | |
ging sein Leben lang der Frage nach, was eine Nation ausmacht, vor allem | |
aber, ob ein ethischer, dem Chauvinismus entgegengesetzter Nationalismus | |
möglich ist. | |
Wer mehr über den Menschen Hans Kohn erfahren wollte, war bisher auf seine | |
schon 1965 erschienene Autobiographie „Bürger vieler Welten“ angewiesen. | |
Jetzt endlich, 43 Jahre nach seinem Tod, ist eine Biographie Kohns | |
erschienen, Ergebnis der Dissertation vom Romy Langeheine. Nicht Kohns | |
Nationalismustheorien stehen hier im Mittelpunkt, sondern seine eigene, | |
persönliche Suche nach einer Zugehörigkeit zu einer Nation. | |
Da zeigt sich, dass Kohn den Nationalismus nicht nur studierte, sondern ihn | |
selbst lebte – mit allen Widersprüchen, seine Auffassungen immer wieder bis | |
ins gerade Gegenteil korrigierend, und das in einer Epoche, in der die | |
Besinnung auf die Nation Europa und seine Grenzen veränderte, bis dieser | |
Nationalismus, zum puren Rassismus mutiert, weite Teile der Welt und ihrer | |
Menschen vernichtete. | |
Geboren wurde Hans Kohn 1891 als Sohn einer assimilierten deutsch-jüdischen | |
Familie in der Dreivölkerstadt Prag, damals ein Teil der Habsburger | |
Monarchie. Die meisten deutschsprachigen Juden empfanden damals eine | |
Zuneigung zur k. u. k. Monarchie, der sie ihre begrenzte Gleichberechtigung | |
verdankten – man dachte deutsch-österreichisch. Das galt auch für Kohn, | |
doch der Student schloss sich zugleich den Kulturzionisten an, die damals | |
in der Prager Vereinigung Bar Kochba eine Hochburg besaßen. | |
## Begeistert in den Krieg | |
Dieser Kulturzionismus hatte wenig mit Herzls Vorstellungen der | |
Wiedergeburt Israels in Palästina gemein. Vor allem ging es ihren | |
Vertretern um eine Belebung jüdischer Identität als Gegenentwurf zur | |
vollständigen Assimilierung. Die Bewegung war jugendlich, unbürgerlich, | |
nicht immer rationalen Diskursen folgend und richtete sich gegen das | |
jüdische Establishment – „eine Revolte der Prager Zionisten gegen die | |
Lebensführung der Eltern und des Rationalismus der Aufklärung“, wie | |
Langeheine zutreffend schreibt. | |
Dabei blieben die Freunde von Bar Kochba zugleich den Habsburgern treu – | |
auch Hans Kohn war vom Kriegsbeginn 1914 begeistert und konnte es gar nicht | |
erwarten, an die Front zu kommen. „Pflichterfüllung, wo sie am schwersten | |
fällt, Selbstopferung für ein Höheres, des Teiles für ein Ganzes“, notier… | |
er in seinem Kriegstagebuch. | |
Doch der Krieg endete für ihn rasch: Als Offizier an der Karpatenfront | |
geriet er im März 1915 in russische Gefangenschaft. Dort, in einem | |
sibirischen Lager, vollzog Kohn seine nächste intellektuelle Wandlung zum | |
Zionisten. Ein jüdisches Gemeinwesen in Palästina sollte in seinen Augen zu | |
einer ethisch vorbildlichen Nation werden, das pure Gegenteil von | |
Chauvinismus, mit dem Ziel der Weiterung des Menschentums. | |
Dazu zählte für Kohn, der in der Gefangenschaft die Schriften der | |
Anarchisten Bakunin und Kropotkin las, eine freiheitliche sozialistische | |
Gesellschaftsordnung. Zudem wich seine Kriegsbegeisterung nun einer | |
pazifistischen Einstellung. | |
## Für eine ethische Nationwerdung | |
Nach dem Krieg kehrte Kohn nach Europa zurück, engagierte sich in Paris und | |
London für den Zionismus und emigrierte schließlich in das damals britische | |
Mandatsgebiet Palästina. Dort mit dem Widerstand der Araber konfrontiert, | |
vollzog sich seine nächste Häutung. | |
Als einer der zentralen Mitglieder des Friedensbundes Brith Schalom trat | |
der zionistische Beamte für eine Verständigung mit der arabischen Seite und | |
die Gründung eines binationalen Staates als einer ethischen Nationenwerdung | |
ein. Doch Brith Schalom blieb in Jerusalem und Tel Aviv eine isolierte | |
Randerscheinung. Tief enttäuscht brach Kohn 1929 mit dem Zionismus | |
insgesamt. 1934 wanderte in die USA aus. | |
Kohns erste Lebenshälfte war vom Suchen und vom politisch-ideologischen | |
Streit für eine bessere Nation getrieben; seine zweite verlebte er als | |
angesehener Akademiker am City College in New York. Hier warf er seine | |
früheren Vorstellungen gründlicher über Bord als noch zuvor: Der Kalte | |
Krieg machte ihn zum Konvertiten. Aus dem sozialistischen Pazifisten wurde | |
ein US-Amerikaner, der eindeutig für den Westen Partei ergriff und die | |
Freiheit durch sowjetische Expansionsbestrebungen bedroht sah. | |
Die Begründung eines jüdischen Staats nannte er angesichts des | |
Bedeutungsverlusts der Nationalstaaten „fraglich“, und selbst die | |
Unterstützung vieler jüdischer Amerikaner für Israel stieß auf seine | |
Missbilligung. Amerika, so schreibt Langeheine, wurde Kohns neuer Zion. | |
Romy Langeheines Buch glänzt, wenn sie die ideologischen Wandlungen Kohns | |
in einer aus den Fugen geratenen Welt beschreibt und analysiert. „Eine | |
intellektuelle Biographie“ sei ihr Buch, so heißt es im Untertitel. Das mag | |
als Begründung dafür dienen, dass man über dem Menschen Hans Kohn und seine | |
privaten Verhältnisse nur wenig erfährt. Schade ist das allemal. Doch wer | |
endlich mehr über das Leben dieses eminent wichtigen Schöpfers von | |
Nationalismustheorien erfahren möchte, dem kann man dieses Buch nur | |
empfehlen. | |
8 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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