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# taz.de -- Kommentar Post-Oslo-Nationalismus: Lena - antideutsch gesehen
> Ein vergnügliches Lehrstück in antideutscher Kritik am Beispiel Lena
> Meyer-Landrut. Gibt es etwa einen Formwandel des deutschen Nationalismus?
Bild: Meyer-Landrut am 30.5. bei einer Fanparty in Hannover.
Wäre ich - was ich Gott sei Dank nicht bin - Mitglied der bisweilen
durchaus scharfsinnigen Sekte der Antideutschen, so müsste ich mir nach dem
European Song Contest Gedanken machen. Als Antideutscher wäre ich nämlich
in meinen Vorbereitungen zur Fußball-WM aufgestört; eingestellt darauf,
beim public viewing Fülle und Form der deutschen Nationalfarben zu zählen
und kritisch einzuordnen, müsste ich nicht nur eine deutsche
Contest-Siegerin zur Kenntnis nehmen, sondern auch, dass in Hamburg und
Hannover Orgien des Nationalismus gefeiert wurden.
Gewohnt, es nicht bei oberflächlicher Analyse zu belassen, käme es jetzt
darauf an, sich zunächst des deutschen Beitrags analytisch zu versichern.
Gegenstand der theoretischen Leidenschaft der Antideutschen sind ja
Kontinuitäten und Brüche, Identität und Wandel im deutschen Nationalismus
sowie eine wichtige Modifikation der marxschen Kapitalanalyse: die
Einfügung einer Kategorie, die deutschen Vernichtungswillen und
Antisemitismus auf der Abstraktionsebene der Kapitalanalyse berücksichtigt.
Doch zurück nach Oslo und Hannover - was bedeutet es, dass eine deutsche
Abiturientin, die nach der Wiedervereinigung geboren wurde und (merke!) die
Enkelin eines ehemaligen deutschen Botschafters in Moskau ist, den
Wettbewerb gewonnen hat? Gewiss: Ihr Sieg könnte weder den NPD-nahen
Burschenschaften noch ethnopluralistischen Antimperialisten schmecken,
denn: Oberflächlich wirkt Lena Meyer-Landrut doch eher "undeutsch".
Dunkelhaarig und keineswegs im Trachtenkleid mit blondem Dutt sang sie ihr
Liedchen nicht etwa - wie die portugiesischen oder israelischen Bewerber -
in eigener Landessprache, sondern auf Englisch, der nationalen Wurzel
entfremdet, sie geradezu verleugnend. Zudem dürfte es in solchen Augen kein
Zufall sein, dass das Liedchen "Satellite" heißt - überdeutlicher Tribut an
die globale Herrschaft des amerikanischen Kapitals. Freilich lässt sich ein
überzeugungs- und theoriefester Antideutscher von derlei
Oberflächenphänomenen nicht blenden. Da Antiamerikanismus ein Leitsymptom
offenen Nationalismus ist, war es nur zu geschickt, sich des Englischen zu
bedienen - oberflächliche Tarnung einer ansonsten nur schwer zu
verhehlenden Hegemonialstrategie. Kulturwissenschaftlich inspiriert und
damit wissend, dass die populäre Kultur Grundtendenzen einer Gesellschaft
genauer zum Ausdruck bringt als jeder Leitartikel, eröffnen sich weitere
Analysemöglichkeiten. Dann aber fällt es einem wie Schuppen von den Augen:
Ebenso wie - das hat sogar Jürgen Habermas festgestellt - die deutsche
politische Klasse unter Führung von Angela Merkel im Windschatten eines
"erschlafften" Joschka Fischer Europa beinahe vor die Wand gefahren hat,
fuhr nun Lena Meyer-Landrut den symbolischen Surplus dieser Strategie ein.
Festzustellen wäre also ein Formwandel des deutschen Nationalismus: Vom
monokelbewehrten, schnarrenden und von Mensuren gezeichneten "General Dr.
Ritter von Staat" zur Hosenanzüge tragenden, betont unscharfen Angela
Merkel und ihrem symbolpolitischen Pendant, dem unverbildeten Mädchen aus
Hannover. Denn was hat es wohl zu bedeuten, dass Lena bei ihrer Ankunft in
Hannover, einen schwarz-rot-goldenen Kranz im Haar, mit ihrem Komponisten
Stefan Raab auf offener Bühne "Ich liebe deutsche Land" sang? War das nicht
zugleich eine Verhohnepipelung mediterraner Immigranten wie der Versuch,
sie in die Volksgemeinschaft zu inkludieren?
Dass die Deutschen Lena ins Rennen schickten, wäre damit erklärt, indes:
Warum haben so viele europäische Nachbarvölker dieser durchsichtigen
Strategie ihren Tribut gezollt? Zudem und vor allem: Was bedeutet es genau,
dass der israelische Beitrag nicht besonders gut, also mittig abschnitt?
Ist das ein Beleg von europaweitem Antisemitismus? Oder umgekehrt: War der
israelische Beitrag gar ein verkappter Ausdruck jüdischen,
antizionistischen Selbsthasses und eben deshalb vergleichsweise
erfolgreich? Immerhin sang Harel Skaat, übersetzt man seinen Text ins
Deutsche, auch das: "und wieder erhob sich Furcht, das Ende an meinem
Fenster". Der Refrain des israelischen Beitrages "Milim" (Worte) lautete
entsprechend: "Gott, Gott, Worte, du hinterließest nur Worte"; war das am
Ende ein abgründiger Abgesang auf das zionistische Projekt? Schließlich
drängen sich Fein-, nein Feinstanalysen auf: Welches Land hat jeweils im
Vergleich zu welchen anderen Ländern den israelischen Beitrag auf welche
Position gesetzt? Insbesondere: Wie haben die deutschen Voter den
israelischen Beitrag bewertet?
Auf jeden Fall: Verglichen mit den eher schlichten Analysen zur
Fußballweltmeisterschaft tut sich hier ein anspruchsvolles
Untersuchungsfeld auf, an dem sich die theoretische Kraft des antideutschen
Approachs wird erweisen müssen. Viel Arbeit! Gut, dass ich - wie gesagt -
kein Anhänger dieser Richtung bin.
1 Jun 2010
## AUTOREN
Micha Brumlik
## TAGS
USA
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