# taz.de -- Homo-Palituch: Radikaler Diskurslappen | |
> Die Dauer-Renaissance des Palituchs bleibt nicht unwidersprochen. Die | |
> "Kufiya Feigale" provoziert mit Hammer, Sichel, Davidstern und Buttplugs. | |
Bild: Gegen Israel. Für Israel aber gegen Besetzungen. Für Palästina. Für P… | |
Man hat es lange kommen sehen. Doch das Ausmaß der neuen Welle ist dann | |
doch verblüffend. Erst waren die guten alten Palitücher in jenen | |
einschlägigen Gegenden aufgetaucht, in denen sich die Avantgarde | |
popkultureller Zeichensetzung gern herumtreibt: auf Konzerten und | |
Vernissagen, auf den Dachterrassen der Klubs. In dieser | |
Herbst-Winter-Saison ist die globale Renaissance des Tuchs allerdings | |
derart vorangeschritten, dass es im Sortiment der Einzelhandelsketten | |
angekommen ist. Die Kufija wird massenhaft von jungen Leute um den Hals | |
geschlungen. Hin und wieder in Neonpink eingefärbt und manchmal auch mit | |
neuen Bedeutungen angereichert. Da gibt es etwa, wie vor kurzem bei Aldi | |
beobachtet, Metalfans, die Palitücher mit großen Drudenfüßen tragen. | |
Die Kufija war mal der Look der Revolte, sie erinnert an Wackersdorf, | |
Startbahn West und Kreuzberg 36. Ihre praktischen Vorzüge als Schutz vor | |
Tränengas und Polizeikameras dürften damals zu ihrer Beliebtheit | |
beigetragen haben. Die Straßenkämpfer bewiesen damit durchaus historisches | |
Bewusstsein, denn das traditionelle arabische Tuch wird als Schutz gegen | |
Sonne und Wind um den Kopf geschlungen. | |
Spätestens in der übernächsten Saison wird die Kufija unter | |
Fashion-Gesichtspunkten als absolutes No-No, weil hoffnungslos gestrig, | |
erscheinen und nur noch für Überzeugungstäter infrage kommen. Trotzdem | |
provoziert das inflationäre Auftreten des einst internationalistischen | |
Textils Widerspruch. Im letzten Sommer etwa vermarktete eine amerikanische | |
Modekette den Retrotrend kurioserweise als Antikriegsstatement, dabei | |
flimmerte die Kufija in den letzten Jahren vor allem als Signet der | |
Aufständischen im Irak über die Bildschirme. Es folgten heftige Debatten, | |
der Radical Chic wurde flugs ein Problemfall. Auch bei C&A in Deutschland | |
nahm man die Tücher schnell wieder aus dem Programm. Offenbar hatte jemand | |
der Konzernzentrale gesteckt, dass das Tuch auch eine politische Geschichte | |
hat. | |
Die neue Popularität des Palituchs rief auch bald subversive Umgestaltungen | |
ins Leben. Eher tantenhaft-identitätspolitisch kam dabei die "Kaffiyeh | |
Yisraelit" daher, ein Tuch mit blau-weißem Muster aus Davidsternen, das | |
sich an die traditionelle Kufija anlehnt. Wenn die nun mal wieder in ist, | |
so die Überlegung des Designers, dann sollten auch Juden mit | |
Nationalbewusstsein nicht nackt dastehen müssen. Denn Kritiker des | |
Originaltuchs werfen ein, der mit den Nazis kuschelnde Mufti von Jerusalem | |
habe in den Dreißigern das bäuerliche Bekleidungsstück aus politischen | |
Gründen zu einem Muss für die arabische Bevölkerung Palästinas erklärt. | |
Seine antizionistischen Konnotationen haben das Tuch heute auch unter | |
deutschen Neonazis zu neuen Ehren kommen lassen. In den Sechzigern hatte | |
Jassir Arafat die Kufija in ihrer für die Levante typischen schwarz-weißen | |
Version als Symbol des militanten Widerstands gegen Israel und seiner | |
hauptamtlichen Organisation, der Fatah, popularisiert. Arafat ließ die | |
Kufija gerne leger über die Schulter hängen und drapierte sie so, dass ihre | |
Form den dreieckigen Umriss des ungeteilten Palästina symbolisierte. Selbst | |
die studierenden Kinder der jüdischen Mittelklasse in Kalifornien ließen es | |
sich damals nicht nehmen, mittels Palituch Solidarität mit den Verlierern | |
von 1967 zu bekunden, weshalb sie der Journalist Bradley Burston ironisch | |
und auf Jiddisch als "Kufiya Kinderlach" bezeichnete. Burston berichtet | |
auch davon, dass die Kufija vor dem Krieg von 1948 auch gern von Juden in | |
Palästina getragen wurde. Schon aus diesem Grund dürfte die Einschätzung | |
nicht ganz korrekt sein, dass das traditionelle arabische Tuch seit den | |
Dreißigerjahren für nichts anderes als Judenhass in seiner militanten Form | |
steht. | |
Allerdings hat das Tuch, das deswegen heute auch gern zum "Fetzen" oder | |
"Lappen" herabgewürdigt wird, in Westeuropa seine Unschuld verloren, als | |
antizionistische Positionen im extremsten Fall auch Terror und Angriffe auf | |
Juden rechtfertigten, die als natürliche Agenten des zionistischen Staats | |
ausgemacht wurden. Den Antiimperialismus in seinem Lauf, das zeigten | |
Kunzelmann und Genossen damals, hält weder Ochs noch Esel auf. Dieser | |
Umstand ist einer der Gründe, die "Kufiya Feigale" hervorgebracht haben, | |
eine andere, etwas radikalere Umgestaltung des klassischen Palituchs. Die | |
Website zum Tuch macht deutlich, gegen was und wen es sich wendet: Da sind | |
Kämpfer mit Kufijas unter der gelben Fahne der Hisbollah abgebildet, die | |
stramm den "deutschen Gruß" zum Besten geben. Auf einem anderen Foto | |
posiert ein junger Mann, der eine Kufija trägt und stolzer Besitzer eines | |
T-Shirts mit Mahmud Ahmadinedschads Motto "A World Without Zionism" ist. | |
Kufiya Feigale" imitiert das Originalmuster im Gesamtbild und ist daher aus | |
der Ferne nicht gleich als Gegenmodell zu erkennen. Erst auf den zweiten | |
Blick wird klar, dass hier etwas nicht stimmt. "Feigale", auf Hochdeutsch | |
"Vögelchen", ist die jiddische Bezeichnung für einen schwulen Mann. Daher | |
verwundert es nicht, wenn das traditionelle Muster hier durch eine | |
Ikonografie ersetzt wird, die einer antimodernistischen Gemütsverfassung | |
suspekt erscheinen muss: Kondome, Buttplugs, Viagra- und Ecstasy-Pillen, | |
letztere mit Hammer und Sichel versehen, bilden ein Ornament, das jedem | |
strammen Nationalisten, egal welchen Bodens, ein Gräuel sein muss. An den | |
Ecken der in Schwarz-Weiß und Blau-Weiß erhältlichen Tücher sind | |
Davidsterne platziert. | |
Wer hier die Affirmation eines individualistisch-hedonistischen, | |
kosmopolitisch-schwulen Lebensmodells mit gewissen Sympathien für die | |
diffuse linke Strömung vermutet, die man gemeinhin unter dem Label | |
"antideutsch" subsumiert, liegt wohl nicht ganz falsch. Für Kritiker | |
derselben dürfte das Antipalituchmodell "Feigale" daher nur ein weiterer | |
Beweis dafür sein, dass sich diese Sekte mit der Verherrlichung des | |
dekadenten Lebens im reichen Westen selbst aus der universellen Kirche des | |
Kommunismus verabschiedet hat. Das wiederum ficht den Macher von "Feigale" | |
nicht an, der sich selbst als Kommunist bezeichnet. Der Künstler verkauft | |
die erst entfärbten, dann neu bedruckten Tücher als Teile einer limitierten | |
Edition. Er will anonym bleiben, weil er nicht als Repräsentant des einen | |
der beiden Lager auftreten will, die "entlang der Linie | |
antideutsch-antiimperialistisch imaginiert werden", wie er sagt. Die Frage, | |
wie man es mit dem Palituch hält, verweist auf den tiefen Riss, der in der | |
radikalen Linken darüber entstanden ist, wie man sich zum Nahostkonflikt | |
korrekterweise zu verhalten habe. | |
Allerdings funktioniert "Kufiya Feigale" auch bestens, wenn einem die | |
erbitterten Diskussionen über den ideologischen Gehalt des Palituchs nicht | |
geläufig sind. Denn in seiner überbordenden Zeichenfülle funktioniert es | |
wie jedes erfolgreiche modische Statement: Es provoziert allein durch den | |
Überraschungseffekt, den es hervorruft. Ein Palästinensertuch mit | |
Davidsternen garantiert Aufmerksamkeit. Mit "Feigale" um den Hals | |
geschlungen bleibst du auf der nächsten Party nicht allein. | |
ULRICH GUTMAIR, Jahrgang 1968, ist Kulturredakteur der taz | |
28 Mar 2008 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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