# taz.de -- Eurovisions-Gewinnerin Lena: Eine nationale Umarmung | |
> Alle lieben Lena. Die 19-Jährige besorgt, was weder Politik noch Werte | |
> schaffen: Sie vereint eine Nation hinter sich. Doch ihre | |
> Deutschlandmission hat Nebenwirkungen. | |
Bild: Wer Lena liebt, darf alles sein. | |
Über diese Zustimmungswerte hätte Horst Köhler sich sicher gefreut. Während | |
die politische Repräsentation in Deutschland eine sicher nicht | |
unhistorische Krise feiert, feiert die Nation das Wippen von einem Bein | |
aufs andere: Ein 19-jähriges Mädchen aus Hannover und ihren harmonischen | |
Traum. Lena. | |
Wer Lena liebt, wie schön, braucht kein Parteibuch. Wer Lena liebt, darf | |
alles sein. Und mit der neuen popkulturellen Erlösung feiert ein | |
krisenverdrossenes Volk seine Besinnung: Wie schön kann alles sein, wenn es | |
doch bloß um nichts geht. Doch Vorsicht: Der Rhythmus des Phänomens Lena | |
ist keinesfalls gegenstandslos. Im Gegenteil: In seinem Takt schwingt sich | |
eine Nation in Verzückung. Ein Volk feiert immer selbstverständlicher seine | |
partielle Erlösung. | |
Die Geschichte der kleinen Lena ist eine Geschichte der Hoffnung und eine | |
der Zuwendung. Es ist die Geschichte einer nationalen Umarmung. Erst waren | |
wir Papst, jetzt sind wir Popstar. Und bald vielleicht auch mehr. | |
Das zunächst banale Event - hier kann eine Frau hübsch singen, und dabei | |
ist sie so zart - ermuntert in einer Zeit die Gemüter, in der es an | |
sozialer Verwerfung nicht mangelt. Während national hinterlegte | |
Ressentiments im Zuge der Griechenlandkrise gerade wieder an Konjunktur | |
gewannen, während die nationale Grillsaison sich auf ein neues | |
fußballdeutsches Fahnenmeer vorbereitet, wird die alltagsgegenwärtige | |
Nationalisierung nun - zumal unerwartet - durch ein popkulturelles | |
Deutschland-Event bereichert und ergänzt. Das beginnt ganz banal. Aber es | |
muss so banal nicht enden. | |
Was nun kann Lena dafür? Diese Lena, so offen, so ehrlich, so authentisch | |
und sooo süß. Es ist doch gerade das Stinknormale an ihr, auf das die | |
nationalkollektive Verbeugung folgt: Der 17-jährige Knabe, der 70-jährige | |
Knacker und die 40-jährige Akademikerin, alle können etwas an ihr lieben. | |
Ist Lena vielleicht das neue deutsche Mädchen, das mit schlichten | |
Geschlechterstereotypen harmonisiert statt zu polarisieren? Und: Wieso | |
kommt die neue geschlechter- und altersübergreifende Liebe nicht ohne | |
Deutschlandfahne aus? | |
"Isch liebe deutsche Land" ist das Erste, was sie singt, als die | |
popkulturelle Frontfrau der Nation in ihrer Heimat aus dem Flugzeug steigt, | |
wo ein Ministerpräsident Grüße der Bundeskanzlerin übermittelt und sich | |
freut, dass Lena wieder "auf deutschem Boden" gelandet ist. | |
Doch muss nicht gerade die Normalität und Dynamik der schwarz-rot-goldenen | |
Verehrungswelle für Verunsicherung sorgen? Schon einmal, 2006, war | |
Deutschland getragen von einer Debatte des vermeintlich guten Patriotismus. | |
Damals waren sich zunächst viele einig: Der neue deutsche Patriotismus | |
sollte uns das Sommermärchen nicht aus dem Reich der Romantik entführen. | |
Jedoch: Einige taten genau das. Die Ergebnisse der heiter gefeierten | |
Deutschlandfreude sind nach dem schwarz-rot-goldenen Fahnenmeer der | |
deutschen Fußball-Weltmeisterschaft 2006 wissenschaftlich festgehalten | |
worden. | |
Nach dem "Sommermärchen" fanden der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer | |
und der Marburger Sozialpsychologe Ulrich Wagner in einer Befragung heraus, | |
dass die Präsenz nationaler Symbole während der Weltmeisterschaft bei einem | |
Teil der Bevölkerung die Fremdenfeindlichkeit signifikant erhöht hatte. | |
Heute sagt Wagner: "Dieser neue Hype um Lena beinhaltet auf subtile Art und | |
Weise durchaus die Gefahr, als Nation besser sein zu wollen als andere. | |
Damit geht auch die Gefahr einher, das Nationale zu einer | |
gesellschaftlichen Kategorie zu machen, die wieder wichtiger wird." | |
Aus seinen Erhebungen lässt sich schließen: Wenn heute Lena und mit ihr die | |
Mitte Deutschlands die Fahne schwingen, dann hat das einen Effekt auf | |
Rechtsaußen: Aus der neuen patriotischen Selbstverständlichkeit der Mitte | |
nährt sich auch fremdenfeindlicher Nationalismus. | |
Gerade in Zeiten sozialer Verunsicherung aber löst das vermeintlich | |
Apolitische - das war am Wochenende erhellend zu beobachten - eine | |
Sehnsucht aus, die gut in unsere heutige Zeit passt. | |
Ob sie will oder nicht: Mit ihrer ikonografischen Inszenierung wird das | |
Identifikationsprodukt Lena zu einer Fiktion der Integration, die weder | |
eine wieder substanziell geführte Wertediskussion noch die Politik zu | |
inszenieren in der Lage sind. | |
In der medialen Begleitung schlägt sich dies wirkmächtig nieder: Die | |
Süddeutsche Zeitung nennt Lena Meyer-Landrut die "musikalische | |
Integrationsbeauftragte einer zerfallenden Gesellschaft". Und auch die ARD | |
feiert das Produkt, an dem das Öffentlich-Rechtliche durchaus ein Interesse | |
haben darf: "Eine Nation versammelt sich unter ihrem Rhythmus, denn Lena | |
feiert eine nationale Mission wie einen Kindergeburtstag." | |
Schon diese Formulierung verweist auch auf die Wiederkehr eines passgenauen | |
Rollenklischees. Denn in dem Symbol Lena Meyer-Landrut, eine Person, deren | |
durchaus authentische und entspannte Gelassenheit nicht diskreditiert | |
gehören, feiert die Nation nun eben doch auch gerade ihre eigene Süßigkeit: | |
So betont mädchenhaft und apolitisch sie agiert, wird mit ihrem Erfolg auch | |
eine Symbolfigur des Postfeminismus inthronisiert, die gerade im | |
Nichtssagen so aussagestark ist: Alles ist "voll cool", "total toll", "echt | |
fett" und übrigens "nicht real". | |
Nun ist es ist nicht die Aufgabe von, zumal jungen, Showtalenten, | |
politische Debatten zu führen. Und wenn sie will, darf Lena einfach | |
niedlich bleiben. Aber wie sich eine muntergelullte Nation im nationalen | |
Fahnenmeer gefällt, ist wohl eine Beobachtung wert. Die | |
schwarz-rot-goldenen Grillwerkzeuge liegen schon wieder im | |
Kaufhaussortiment. Mit schweißgebadeten Männerkörpern wird eine | |
fußballfreudige Nation sie bald zelebrieren. Bis dahin haben wir Lena. Sie | |
hat alles, was eine gute Beruhigungstablette braucht: Sie schmeckt, sie | |
wirkt, und ihre Nebenwirkungen werden erst langsam bekannt. | |
1 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
M. Kaul | |
S. Schmollack | |
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