# taz.de -- Syriza-Ökonom über Griechenland: „Eine Frage der Solidarität“ | |
> Griechenland braucht einen Schuldenerlass, sagt Ökonom John Milios. Das | |
> Land werde kaputtgespart, es drohe eine humanitäre Katastrophe. | |
Bild: Einkaufswagen sind in diesen Tagen in Athen häufig leer | |
taz: Herr Milios, mischt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in die Zukunft | |
Griechenlands ein? | |
John Milios: Deutschland ist das stärkste Land in der Europäischen Union, | |
also akzeptieren alle, dass es die wichtigste Rolle spielt. Das Problem: | |
Die Regierungschefs in den anderen EU-Ländern lehnen sich nicht gegen die | |
von Merkel vorgegebene extrem neoliberale Politik auf, durch die das Land, | |
die Wirtschaft und die Gesellschaft kaputt gespart werden. Die Menschen in | |
Griechenland können zum Beispiel nicht mehr vernünftig medizinisch versorgt | |
werden. So warten sie auf eine Krebsoperation leicht acht Monate. Dann kann | |
es schon zu spät sein. | |
Sie und Ihre Partei wollen den Sparkurs, den Brüssel im Gegenzug zu | |
Hilfskrediten fordert, aufheben. Nehmen Sie in Kauf, aus der Euro-Zone | |
rausgeworfen zu werfen? Das sehen die europäischen Verträge doch gar nicht | |
vor. Und es wäre auch für alle anderen ein Risiko. Geht ein Land raus, wird | |
es Chaos geben. Wir wollen in der Eurozone kämpfen - und verhandeln, um aus | |
der Schuldenfalle zu kommen. | |
Sie wollen einen Schuldenschnitt - wie soll der genau aussehen? Es hätte | |
kein deutsches Wirtschaftswunder gegeben, wenn der Bundesrepublik nicht | |
1953 die Hälfte aller Schulden bei anderen Staaten, Unternehmen und | |
Privatinvestoren erlassen worden wäre. Damals reichte Griechenland dem | |
Kriegsverlierer auch die Hand. Heute brauchen wir einen finanziellen | |
Spielraum, um eine sozial gerechte Wirtschaftsentwicklung zu fördern. | |
Die Schulden der Deutschen damals resultierten zum Teil noch aus dem | |
Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg. Ist das vergleichbar? Der | |
Schuldenerlass ist eine Frage der Solidarität. Unterschiede gibt es immer. | |
In Griechenland stehen wir in einer Zeit des Friedens vor einer humanitären | |
Katastrophe. | |
Warum meistern Länder wie Irland oder Portugal ihre Krise besser als die | |
Griechen? Die Iren sprechen Englisch, und sie haben eine starke irische | |
Gemeinschaft in Großbritannien und in den USA. Irlands Arbeitslosigkeit ist | |
nur deshalb niedriger, weil viele ausgewandert sind. Das hat nichts mit | |
guter Performance zu tun. | |
Ist es für Sie gerecht, dass der Rest Europas - selbst die ärmeren | |
Euroländer Slowenien, Slowakei und das Baltikum - für die jahrelange | |
Misswirtschaft der griechischen Regierung zahlen muss? Die Bürger sollen | |
keinen Euro verlieren. Das könnte so funktionieren: Die Europäische | |
Zentralbank nimmt allen Eurostaaten jene Schulden ab, die 50 Prozent der | |
jährlichen Wirtschaftsleistung übersteigen. Die werden umgewandelt in | |
Anleihen, die nicht verzinst werden. Die Anleihen verlieren mit der | |
Inflation Jahr für Jahr an Wert. Regierungen kaufen sie dann zurück, wenn | |
sie nicht mehr Schulden als 20 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung | |
ausmachen. Auf das Geld aus Griechenland müsste die EZB dann ungefähr 50 | |
Jahre warten. | |
Wie bringen Sie im Gegenzug die Wirtschaft in Gang? In Griechenland | |
entstehen bereits viele kleine Unternehmen, die Software und | |
Mikroelektronik entwickeln. Dieser High-Tech-Sektor macht jetzt schon gut | |
2,5 Prozent der Wirtschaftsleistung, die Agrarwirtschaft macht vier Prozent | |
der Wirtschaftsleistung aus, aus. Diese Technologie-Unternehmen werden wir | |
fördern. Genau wie die grünen Energien. Zudem werden wir versuchen, den | |
Tourismussektor mit der Landwirtschaft zusammenzubringen - und zum Beispiel | |
allen Urlaubern mehr als Feta und Oliven anbieten. | |
Wie viel wird das den Staat kosten? Für unser sogenanntes | |
Thessaloniki-Programm, mit dem wir die Einkommen und den Wohlfahrtstaat | |
stabilisieren wollen, veranschlagen wir 11,5 Milliarden Euros. | |
Werden Sie die Reichen dazu bringen, mehr Steuern zu zahlen? Die | |
Steuerbehörden in Griechenland müssen gestärkt werden. Längst gibt es | |
Listen mit Steuersündern und Korruptionsdelikten. 55.000 Griechen haben | |
demnach zum Beispiel während der Krise jeweils mehr als 100.000 Euros von | |
ihren Konten abgehoben und aus dem Land geschafft. 24.000 davon sollen | |
dabei gegenüber den Finanzbehörden falsche Angaben gemacht haben. Doch | |
gerade mal 400 davon sind innerhalb der letzten zwei Jahre bestraft worden. | |
Es fehlt an allen Ecken und Enden Personal. Es hat etwas mit politischen | |
Willen zu tun, ob man Steuersünder belangt. | |
Was spricht dagegen, griechische Inseln zu verkaufen? Wir werden niemanden | |
enteignen - weder Arme noch Reiche. | |
12 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Hanna Gersmann | |
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