# taz.de -- Syriza und Wahl in Griechenland: Selbsthilfe von links | |
> Der Zusammenbruch staatlicher Strukturen wird mit organisierter | |
> Selbsthilfe beantwortet. Dort hofft man auf einen Wahlsieg der Syriza. | |
Bild: Hoffnungsträger Tsipras, überlebensgroß. | |
ATHEN taz | Griechenlands Staatssystem trägt schon lange nicht mehr: Die | |
Arbeitslosenzahl liegt bei 25,5 Prozent, fast ein Viertel der Bevölkerung | |
lebt unterhalb der Armutsgrenze, staatliche Fürsorge, wie ausreichende | |
Arbeitslosenhilfe oder Krankenversorgen sind nicht mehr gewährleistet. Nun | |
hilft sich die griechische Bevölkerung selbst: Mit zahlreichen | |
Einrichtungen auf Solidaritätsbasis. | |
Immer mehr scheint sich ein soziales Parallelsystem inmitten des | |
zusammenbrechenden Staates zu entwickeln – von BürgerInnen für BürgerInnen. | |
Viele der AktivistInnen sind auch UnterstützerInnen der Syriza, der | |
radikalen linken Partei Griechenlands. „Die Hoffnung kommt“, das ist der | |
Wahlspruch der Syriza. Und auch die AktivistInnen hoffen, nach den Wahlen | |
durch eine linke Regierung wieder zu einem Sozialstaat zurückzufinden. | |
Am 25. Januar 2015 finden die vorgezogenen Parlamentswahlen statt. Laut | |
Umfragen liegt die Syriza (32,4 Prozent) vorn – dicht gefolgt von der | |
aktuellen konservativen Regierungspartei Nea Demokratia (ND, 28,9 Prozent). | |
„Wir haben gute Chancen, die Mehrheit für uns zu gewinnen“, ist sich | |
Christos Giovanopoulos sicher. Der 45jährige sitzt an seinem Schreibtisch | |
im Büro der Solidaritätsbewegung Solidarity4all im Zentrum Athens, nimmt | |
Anrufe entgegen und koordiniert. Giovanopoulos ist Organisator der Bewegung | |
und Parteimitglied der Syriza. | |
## Basisstrukturen statt Parteiapparat | |
Die drei Wochen vor den Wahlen gegründete „Bewegung der Demokraten (und) | |
Sozialisten“ (Kidiso) des ehemaligen Regierungschefs Giorgos Papandreou | |
könnte die Syriza Stimmen kosten, sagt er. Denn viele der einstigen | |
Wählerschaft der Sozialistischen PASOK sind in den letzten Jahren zur | |
radikalen Linken übergelaufen. Auch Beobachter meinen, die neue Partei | |
könnte durch das Abziehen von Syriza-Wählern den Konservativen (ND) dazu | |
verhelfen, ihre geschwächte Position hinter Syriza doch noch zu | |
verteidigen. | |
Beide Institutionen stehen jedoch für sich, betont Giovanopoulos: Syriza | |
ist eben keine von oben nach unten organisierte Partei. Und so unterstützt | |
die radikale Linke lieber in der Basis entstandene Strukturen, als selbst | |
neue zu errichten. Damit erhalte die Partei, auch wenn sie sich in den | |
letzten beiden Jahren zu einer Großpartei entwickelt hat, ihre Volksnähe. | |
Viele Syriza-AnhängerInnen engagieren sich in unterschiedlichen Bereichen | |
der Solidarity4all, die im Herbst 2012 infolge der vielen Protestmärsche | |
gegen die Austeritätspolitik der Troika gegründet wurde. Die | |
Syriza-Abgeordneten spenden, seit die Partei nach den Wahlen im Juni 2012 | |
mit 71 Sitzen ins griechische Parlament einzog, 20 Prozent ihres Gehalts | |
auf ein Konto der Solidarity4all. | |
## Autarke Projekte zur Selbsthilfe | |
Mit Fortschreiten der Krise hätten sich immer mehr Solidaritätsinitiativen | |
von BürgerInnen überall im Lande gegründet, so Giovanopoulos. „Wir sind | |
hier in Athen die Schaltzentrale der unterschiedlichen Initiativen und | |
gleichzeitig Informationsstelle der Hilfsbedürftigen,“ sagt er. Die | |
eingenommenen Spendengelder werden nicht für Mieten einzelner Bedürftiger | |
oder ähnliche einmalige Hilfeleistungen herausgegeben, sondern gezielt für | |
sich mit der Zeit selbst erhaltende Solidaritätsinitiativen eingesetzt. Das | |
sei langfristig gesehen sinnvoller, um mehr Menschen unterstützen zu | |
können. | |
Die geförderten Projekte sollen autark sein und möglichst ohne oder mit | |
sehr wenig Geld funktionieren. Solidaritätskliniken mit Apotheken, allein | |
16 in Athen, wurden gegründet, damit sich auch Menschen, die ihre | |
Versicherung nicht mehr zahlen können, ärztlich behandeln lassen können. | |
Nachhilfezentren für SchülerInnen, Rechtsberatungen, kulturelle | |
Aktivitäten, Essensverteilung und solidarische Lebensmittelläden wurden von | |
BürgerInnen organisiert. | |
In einem Gemeinschaftszentrum und Treffpunkt für linke Ideen mit Café im | |
Athener Stadtteil Thissio sitzt Oikonomidis. Auch er ist Mitglied der | |
Syriza, seit 2012. Flyer unterschiedlicher Solidaritätsbewegungen liegen | |
auf den Tischen, es wird sich ausgetauscht. Auch Oikonomidis ist seit 2012 | |
Mitglied der Syriza. „Ich habe gesehen, dass sie die Meinung des Volkes | |
vertreten – da waren wir schon zwei Jahre im Memorandum und es ging immer | |
weiter bergab“. | |
## Binnenkonsum fördern | |
Bereits 2010 gründete er mit anderen zusammen die Initiative „Niemand | |
allein in der Krise“ in seinem Wohnort Pertopoli, einem nordwestlich | |
gelegenen Vorort Athens. Und daraus hat sich dann auch die Initiative | |
„Bewegung ohne Zwischenhändler“ entwickelt. „Wir bringen Hersteller und | |
Verbraucher über eine Homepage zusammen und übergehen so den | |
Zwischenhändler, der nur unnötig Geld kostet.“ so Oikonomidis. | |
Die Initiative des Familienvaters macht deutlich: Das System kann umgangen | |
werden, wenn man neue Strukturen schafft. „Wir haben schnell viel Resonanz | |
bekommen“, berichtet er. Nun hofft er auf den Wahlerfolg der Syriza. | |
Aktuell verspricht Parteichef Alexis Tsipras auf seiner Wahltournee unter | |
anderem, die Inlandwirtschaft zu stärken und mehr auf eigene Produkte zu | |
bauen als auf Importe, um so das Geld im Land selbst in Umlauf zu bringen. | |
„Teilweise werden Produkte nach Griechenland importiert, die wir sogar | |
selbst haben, wie Orangen zum Beispiel. Diese globalen Verträge sind | |
verrückt“ sagt Oikonomidis. | |
Mittlerweile gibt es mehr als 380 verschiedener Solidaritätsinitiativen in | |
ganz Griechenland. Noch vor zwei Jahren waren es um die 180. Daran könne | |
man erkennen, wie die Krise die Bevölkerung zur Solidarität antreibt, denn | |
staatliche Hilfen gebe es kaum noch, so Organisator Christos Giovanopoulos. | |
Auch mit den Gewerkschaften im Lande pflegt die Solidarity4all guten | |
Kontakt, bestätigt er. | |
## Gewerkschaften ohne Aufgaben | |
Die klassische Position der Gewerkschaften ist allerdings schwierig in | |
Zeiten der Arbeitslosigkeit, in der es mehr ums Überleben geht, als darum, | |
Arbeitsrechte zu stärken. Die Gewerkschaften sind so in gewisser Weise | |
ihrer Funktion enthoben. So sehen einige von ihnen das Tun der | |
Solidarity4all kritisch – das, was die Organisation unternimmt sei Aufgabe | |
des Staates. | |
Die KritikerInnen gehören größtenteils der traditionell kommunistischen | |
Partei KKE an. Sie betrachten die Syriza als nicht wirkliche Linke, da sie | |
den Kapitalismus nicht verneinen und sich als Teil des kapitalistischen | |
Systems und pro-europäisch präsentieren. Trotzdem engagierten sich viele | |
KollegInnen für die unmittelbare Hilfe. „Wir haben von GewerkschaftlerInnen | |
der Staatlichen Krankenhäuser schon oft große Unterstützung erfahren, wenn | |
ein/e PatientIn eine einfache ärztliche Behandlung nicht mehr ausreichte. | |
Die KollegInnen haben dann für freie oder vergünstigte Operationen gesorgt | |
und Druck gemacht, dass das Krankenhaus auch PatienInnen, die ihre | |
Versicherung nicht mehr zahlen konnten, behandelt.“ berichtet | |
Giovanopoulos. | |
Die Solidaritätsinitiativen können aber den Staat in seiner Funktion auf | |
Dauer nicht ersetzten. Sie brauchen einen Verbündeten im Parlament, der das | |
Handeln der Bevölkerung unterstützt und diese nicht mit Sparbeschlüssen | |
noch weiter in die Armut treibt. Und dieser Verbündete, so scheint nun ein | |
großer Teil der Bevölkerung laut den Wahlumfragen zu hoffen, ist in der | |
radikalen Linken Syriza gefunden. | |
## Protestwähler von rechts und links | |
Die Wählerschaft ist dabei mehr als breit gefächert: ehemalige | |
PASOK-Wähler, verzweifelte Rentner, Arbeitslose, hoffnungsvolle | |
Jugendliche, die progressive Linke „Es gibt sogar Syriza-Wähler, die bei | |
den letzten Parlamentswahlen im Juni 2012 für die neofaschistische Partei | |
Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) gestimmt haben.“ sagt Giovanopoulos. Sie | |
hätten das aus Verzweiflung getan, um den anderen Parteien, die nichts fürs | |
Volk tun, einen Denkzettel zu verpassen. Damals bekam die Chrysi Avgi 6,92 | |
Prozent der Stimmen und zog erstmals mit 18 Sitzen ins Parlament ein. | |
Lange Zeit hielt hielten sich die Faschisten bei Meinungsumfragen als | |
drittstärkste Partei im Land. Der von einem Parteimitglied verübte Mord an | |
dem linken Rapper Pavlos Fyssas verpasste dem rasanten Aufstieg der Partei | |
einen Dämpfer. Wohl auch weil Fyssas – nach zahlreichen Angriffen und | |
Morden an Migranten – der erste Grieche war, der von einem Faschisten | |
ermordet wurde. | |
Nach den aktuellen Umfragen zur Parlamentswahl liegt die Chrysi Avgi nun | |
hinter den Kommunisten (4,9 Prozent) ) auf Platz sechs (4,7 Prozent), käme | |
damit aber immer noch ins Parlament. Auch dass mehrere Chrysi | |
Avgi-Abgeordnete ins Gefängnis mussten, nahm der Partei ihre vorübergehende | |
Gesellschaftsfähigkeit. „Jetzt ist es zum Glück wieder peinlich, öffentlich | |
zu sagen, dass man Chrysi Avgi wählt.“ sagt Giovanopoulos. | |
24 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Theodora Mavropoulos | |
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