# taz.de -- Pegida in Dresden: Lügenpresse? Heute nicht | |
> Mit französischen Flaggen haben die Pegida-Demonstranten eine | |
> Gedenkminute eingelegt. 25.000 sollen gekommen sein – so viele wie noch | |
> nie. | |
Bild: Interpunktion ist überbewertet: „Frau Merkel hier ist das Volk!“ | |
DRESDEN taz | Es ist eine gewisse Genugtuung, die Lutz Bachmann angesichts | |
der Menschen zu seinen Füßen ausstrahlt. Der Wind fegt vom Dresdner | |
Rathausturm hinüber zur Lingnerallee, wo der „12. Große Abendspaziergang“ | |
der Dresdner Pegida beginnt. Eine asphaltierte Skateranlage mit Halfpipe | |
und Parcours ist heute der Treffpunkt der „patriotischen Europäer“. | |
Die Auflagen der Polizei: kein Alkohol, keine Hunde (ausgenommen | |
Blindenhunde) und keine spitzen Gegenstände. Fahnenstangen gehören nicht | |
dazu. Sie sind ausdrücklich erwünscht. „Für Dresden gilt morgen, Flagge | |
zeigen!“ – das empfahl das Orga-Team auf Facebook zuzüglich zum Trauerflor, | |
der dieses Mal erbeten wurde. | |
Und so wehen weiß-grüne Sachsen-, Brandenburg-, Thüringen-, NRW-, | |
Bayern-Fahnen, zwischendrin und obenauf allerlei Adler, aber auch einige | |
russische und französische Fahnen. Und so wirkt der Pegida-Abendspaziergang | |
ein wenig wie ein Aufzug. Doch noch ist es nicht so weit. Die | |
„Spaziergänger“ drängen sich auf dem Skater-Asphalt, viele Fahnenstangen | |
müssen von ihren Trägern mit beiden Fäusten gebändigt werden, so dass alles | |
noch ein bisschen entschlossener wirkt. | |
Lutz Bachmann, der sich am vergangenen Montag zurückgehalten hatte, spürt | |
das und gebietet, inzwischen routiniert, den Fahnen- und Menschenmassen. Er | |
lobt den Mut und die Standhaftigkeit der Demonstranten. Er bedankt sich bei | |
der Polizei („Ihr seid spitze!“). Er ruft zur „Gedenkminute für alle Opf… | |
religiöser Gewalt“ auf, insbesondere für die Toten von Paris und Nigeria, | |
die von den Tausenden gewissenhaft eingehalten wird. | |
## Fahnenschwenken und Gejohle | |
Lutz Bachmann, ein verurteilter Straftäter, hat hier das Zeug zum | |
Volkstribun. Halb staatstragend, halb populistisch hämmert seine Stimme | |
schon wieder über den Platz. Generös geht er die Presse an. Man stehe je | |
schließlich auch ihretwegen hier. Die Zeitungen könnten ruhig | |
Anti-Pegida-Karikaturen publizieren. Pegida werde nicht dagegen vorgehen. | |
Anders würde das, „wenn die Gesetze der Scharia auf europäischem Boden Fuß | |
fassen“. Fahnenschwenken und Gejohle. Lügenpresse-Rufe versucht er | |
allerdings zu unterbinden. Die scheinen ihm wenige Tage nach dem Anschlag | |
auf Charlie Hebdo in Paris unangebracht zu sein. | |
Bachmann fasst zusammen: „Wir haben es geschafft. Wir und unsere Themen | |
sind das Hauptthema überall auf der Welt!“ Applaus und Fahnenschwenken. | |
Sechs Forderungen lässt er folgen: ein Einwanderungsgesetz nach den | |
Beispielen von Kanada und der Schweiz, die Pflicht zur Integration, die | |
konsequente Ausweisung von Islamisten, Volksentscheide auf Bundesebene, das | |
Ende der Kriegshetze – „Besonders gegen Russland!“ – und mehr Geld für… | |
Polizei. | |
Pegida stellt erstmals konkrete Forderungen, Lutz Bachmann hat sie | |
verkündet. Applaus. Fahnenschwenken. Dann: „Wir sind das Volk! Wir sind das | |
Volk!“ Da machen sich welche – viele gehören zu den älteren Jahrgängen �… | |
gehörig Luft. Der alte Schlachtruf, der die SED das Fürchten lehrte, | |
schallt aus den Mündern frisch und machtvoll wie im Oktober 1989. Er | |
donnert hinaus, bricht sich an den Häuserwänden, überschlägt sich, kommt | |
zurück. | |
Es scheint wie ein Kessel, erleuchtet von Laternen und | |
Polizeischeinwerfern. Aber der Ruf schallt in eine veränderte Welt hinaus, | |
die manchem hier wie ein Tollhaus vorkommen muss: Globalisierung, | |
Eurokrise, Flüchtlinge, Islamismus, Dschihad, Scharia, Terror. Neben der | |
Bühne reckt einer ein Schild wie einen Hilferuf in die Höhe: „Es reicht“. | |
## Was er wählt: die AfD | |
„Angst! Echt Angst!“ Das treibe ihn hierher, sagt ein älterer Mann. „Und | |
dass uns die Politiker nicht mehr vertreten“, schiebt er nach. Dann fingert | |
er einen handschriftlichen Zettel aus der Jacke. „Hier: Sigmar Gabriel ruft | |
Pegida zur Distanzierung von Gewalt auf.“ Der Herr ist fassungslos. „Ich | |
bin so enttäuscht! Wer hätte gedacht, dass es mal so weit kommt?“ Er sei | |
aus Ottendorf-Okrilla gekommen, östlich von Dresden. Dort, wo Pegida ihren | |
Anfang nahm. Was hat er denn bei der Landtagswahl im letzten August | |
gewählt? – „Eine Partei, die fast zehn Prozent erhalten hat.“ – Die Af… | |
nickt. | |
Herr Fürth ist 72 Jahre alt. Es sei dreißig Jahre zur See gefahren und habe | |
sämtliche Länder des Islam erlebt und fasst seine Befürchtung so zusammen: | |
„Ich möchte nicht, dass meine Enkelinnen Kopftücher oder Schleier tragen | |
müssen.“ Überdies sei das Asylrecht ausgehöhlt. Man traue sich abends nicht | |
mehr auf die Straße, weil man Angst haben müsse, belästigt zu werden. Herr | |
Fürth lebt in einer Stadt mit 11.000 Einwohnern im Erzgebirge. | |
Eine Rentnerin aus Königstein in der Sächsischen Schweiz, die als Lehrerin | |
gearbeitet hat, treibt noch anderes um. „Wir haben keinen Friedensvertrag | |
und keine Verfassung“, sagt sie bestimmt. Das Grundgesetz sei jedenfalls | |
keine Verfassung und die Alliierten müssten Deutschland verlassen, so wie | |
vor zwanzig Jahren die Russen. „Wir können uns nicht souverän entwickeln“, | |
bedauert sie. Woher hat sie die Informationen? Zeitung und Fernsehen nutze | |
sie nicht mehr. | |
Sie beziehe ihre Informationen aus dem Internet, vornehmlich von bewusst.tv | |
und quer-denken.tv. Beide Internet-Sender ventilieren gerade, dass der | |
Pariser Anschlag eine Inszenierung gewesen sein könnte. In Russland ist | |
dies seit Tagen Dauerthema. Ansonsten informiert sie sich über alternative | |
Heilmethoden. Dann sagt sie noch, dass Asylbewerber ordentlicher betreut | |
werden sollten: „Die haben ja auch Angst!“ Sie lauscht mit Wollmütze und | |
Anorak der Ansprache. | |
## Der Zug wird umgelenkt | |
Und Kathrin Oertel, die Pressesprecherin der Pegida, die jetzt das Mikro | |
von Lutz Bachmann übernommen hat, muss eine persönliche Enttäuschung | |
verarbeiten. „Lieber Herr Roland Kaiser! Wir gehen in Ihre Konzerte und | |
zahlen dafür.“ Der Schlagersänger hatte sich erlaubt, auf der | |
Anti-Pegida-Demonstration am Samstag zu reden, zur großen Empörung von | |
Kathrin Oertel. „Santa Maria“, Kaisers Ohrwurm aus den Siebzigern, dürfte | |
für sie für immer verklungen sein. | |
„Die Staatsmacht fängt an zu zittern ...“, diktiert einer geschäftig ins | |
Telefon. Da waren die Reden verklungen. Bei Wind und wenige Grad über null | |
zittern jedoch erst einmal andere, und mancher ist froh, als der | |
„Spaziergang“ durch die Stadt endlich beginnt. Wegen einer Sitzblockade von | |
Gegendemonstranten wird der Zug umgelenkt. 7.000 sollen insgesamt gegen | |
Pegida demonstrieren. Bei „Karstadt“ ist man auf Hör- und Sichtweite. Es | |
gibt es Wortgefechte. Erstmals gehen die Pegida-Teilnehmerzahlen | |
auseinander. | |
Die Veranstalter nennen 40.000 Teilnehmer, die Polizei zählt 25.000 | |
Teilnehmer. In Leipzig sind die Verhältnisse in etwa umgekehrt, 4.800 | |
Legida-Anhängern, der Leipziger Pegida-Variante, stehen nach Angaben der | |
Stadtverwaltung rund 30.000 Gegner gegenüber. Deutschlandweit sollen es | |
insgesamt 100.000 gewesen sein, so die Deutsche Presse-Agentur. Dresden | |
hingegen bleibt die Pegida-Hochburg. Für die Landeshauptstadt ist es der | |
größte Pegida-Spaziergang – mit Fahnen, ein wenig Trauerflor und auch einem | |
Schild „Je suis Charlie“. | |
Seine Trauer hätte man auch still im Französischen Kulturzentrum am Rathaus | |
bekunden können, das Pegida umrundete. Das Institut français in der | |
Kreuzstraße gedenkt in einem Schaufenster mit Kerzen, Fotos und Karikaturen | |
der toten Zeichner. Bis zum Abend haben sich im Kondolenzbuch drei Dresdner | |
eingetragen. | |
13 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Thomas Gerlach | |
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