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# taz.de -- Debatte Pegida: Dschihad und Pegihad
> Pegida und Dschihadisten brauchen sich gegenseitig. Die Extremisten
> sollten nicht gegeneinander demonstrieren, sondern miteinander.
Bild: Neu: Die Pegihads in Dresden jetzt auch mit Frankreichflagge
Die Schätzungen gehen auseinander, aber eines scheint klar zu sein: Rund
25.000 Leute haben wieder an der [1][Dresdner Pegida-Demonstration]
teilgenommen. Es gibt also eine Menge Leute, die auch angesichts des
Terrors in Paris (wenn nicht sogar wegen desselben) eine „Wir gegen
sie“-Strategie bevorzugen. „Abendland gegen Islamisierung“, wie das im
verqueren Jargon der Pegihadisten heißt.
Gleichzeitig, und das darf nicht übersehen werden, sind die Dresdner
Ereignisse aber auch ein Sonderfall: In Paris haben am Sonntag eineinhalb
Millionen, in ganz Frankreich drei Millionen Menschen demonstriert. Und
zwar exakt gegen den Geist des „Wir gegen sie“. Es war ein Aufstand der
Vernünftigen, getragen von Laizisten, Christen, Muslimen, Juden, also
salopp gesagt des bunten Frankreichs gegen jene, die einen Konflikt
eingebildeter Identitäten schüren wollen.
Und montags haben in Deutschland nicht nur die 25.000 Pegihadisten in
Dresden demonstriert, rund 100.000 haben in Berlin, Hannover, München und
anderswo auch diesen „Geist von Paris“ auf die Straße getragen. Das ist der
Konflikt, der jetzt ausgetragen werden muss. Nicht Morgenland-Spinner
versus Abendland-Spinner, sondern die plurale Mitte der Gesellschaft gegen
beide.
Dschihad und Pegihad stehen nur in einem scheinbaren Gegensatz, in
Wirklichkeit sind sie verfeindete Verbündete – oder, andersrum, verbündete
Feinde. Die rechten Abendlandverteidiger und die muslimischen Extremisten
haben viele Gemeinsamkeiten, die jedem auffallen sollten, der nicht völlig
blind ist.
## Kampf der Identitäten
Beide hängen eingebildeten Identitäten an: Hier die
Dschihadisten-Identität, die sich eine Geschichte zusammenfantasiert, die
bis zum Propheten und seinen Gefährten zurückreicht, da die
christlich-europäischen Identitätsfreaks, die sich in die Türkenkriege
zurückfantasieren; überhaupt die Vorstellung eindeutiger Identitäten;
Antimodernismus und völlig geschlossene Weltbilder, die in einem
regelrechten Tunnelblick enden.
Sie sollten nicht gegeneinander demonstrieren, sondern miteinander. Sie
sind Fleisch vom selben Fleisch. Sie brauchen sich gegenseitig: der
Islamismus bezieht seine Attraktivität unter jungen Leuten aus der
Diskriminierung, der Rechtsradikalismus aus dem Extremismus mancher
Muslime. Beide stünden ohne Polarisierung und ohne den jeweils anderen
ziemlich verloren da.
Natürlich, die Pegihadisten von Dresden köpfen niemanden – das tun die
meisten Salafisten jedoch auch nicht. Aber beide Seiten haben eben ihre
Ultraradikalen, die in ihrem Geist dann töten: Was für die eine Seite die
Kouachi-Brüder und Konsorten, sind auf der anderen Seite Breivik, NSU oder
Leute, die Brandsätze auf Asylbewerberheime werfen. Damit soll übrigens der
Unterschied zwischen bloßem Wahn und Mord nicht verwischt werden. Aber auf
beiden Seiten schüren die Gerade-noch-Friedlichen ein Klima, von dem sich
die Gewalttäter ermutigt fühlen können.
## Zorn auf „die Politik“
Und noch eine Klarstellung: Natürlich kann man „verstehen“, welches
Emo-Amalgam die jeweiligen Akteure und Mitläufer umtreibt. Pegida gäbe es
in dieser Form nicht, würde sich nicht nackte Ausländerfeindlichkeit, die
Reserviertheit gegenüber einer pluralen Gesellschaft mit allgemeinem Frust,
Zukunftsangst, Zorn auf „die Politik“ und dem weit verbreiteten Gefühl
verrühren, dass „die Eliten den normalen Leuten gar nicht mehr zuhören“.
Natürlich kann man das verstehen, sofern verstehen nicht mehr heißt als
Psychodynamiken zu verstehen, so wie der Analytiker die Psychosen seines
Patienten versteht.
Man kann das nicht nur verstehen, man muss das sogar, wenn man wirksame
Gegenstrategien ergreifen will. Dasselbe gilt natürlich auch für den
radikalisierten jungen muslimischen Dschihadfan, den
Diskriminierungserfahrungen, Entwurzelung, das Gefühl, keine Chance zu
haben, für die Idee empfänglich macht, ein rigide verstandener Islam sei
erstens die primäre Quelle seiner Identität und zweitens die Möglichkeit,
seine Schwäche in eingebildete Stärke zu verwandeln.
Man muss auch nicht einmal jede Berechtigung der jeweiligen Gedankenreihen
bestreiten: So wie es die Diskriminierung und die antimuslimischen
Ressentiments (die der Dschihadist instrumentalisiert) ja tatsächlich gibt,
so existieren natürlich auch Integrationsprobleme oder Krisenerscheinungen
unserer Demokratie wirklich (auf die der Pegihadist rekurriert). Nur lösen
beide das Problem nicht – sie sind Teil des Problems und machen alles nur
noch schlimmer.
## Verbündete Antipoden
Beide sind verbündete Antipoden in einem Aufschaukelungszusammenhang, sie
schrauben gemeinsam an der Eskalationsspirale, und die Panik, die
angesichts dessen viele Leute packt, lässt den Eindruck entstehen, dass die
Vernunft überhaupt keine Chance mehr hat. Gerade deshalb ist es so wichtig
und ermutigend, dass in Paris, Leipzig, Hannover, München und vielen vielen
anderen europäischen Städten die Vernünftigen den Arsch hochgekriegt haben.
Kurzum: Wer die „westlichen Werte“ verteidigen will – die in Gänsefüßc…
gut aufgehoben sind, weil der verteidigungswürdigste Wert die Akzeptanz von
Wertepluralismus ist –, der muss gegen beide Seiten zugleich kämpfen: gegen
einen rigiden Islamismus und gegen Rassismus und Islamophobie. Mag sein,
dass das angesichts der eskalierenden Wirrköpfigkeit keine leichte Aufgabe
ist, aber doch sollte es nicht so schwierig sein, wie es manchen heute
scheint.
Man kann den Islamismus ablehnen, ohne gleich jeden Muslim unter
Generalverdacht zu stellen. Man kann den Terrorismus bekämpfen und
gleichzeitig die Kopftuchträgerin gegen Anfeindungen in der U-Bahn
verteidigen. Man kann den Rassismus bekämpfen, ohne die Gefahr des
Islamismus kleinzureden. Man kann auch verstehen, weshalb der Islamismus
als Identitätsangebot unter deklassierten jungen Muslimen so attraktiv ist,
und ihn dennoch bekämpfen. Man kann für sich die Richtschnur zurechtlegen:
Beim paranoiden „Wir gegen sie“ mache ich nicht mit. Wir haben nichts zu
fürchten außer die Mutlosigkeit der Vernünftigen.
13 Jan 2015
## LINKS
[1] /Pegida-in-Dresden/!152723/
## AUTOREN
Robert Misik
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