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# taz.de -- Mutmaßliche Islamisten in Belgien: „Großer Schlag“ gegen den …
> Razzia in der Islamistenszene: Belgien gilt als „Drehscheibe der
> Dschihad-Rekrutierung“. Dort ist es leicht, Waffen zu besorgen.
Bild: Ein belgischer Polizist in Verviers nach der tödlichen Razzia
BRÜSSEL taz | Jüdische Schulen wurden geschlossen, Polizisten mit schweren
Waffen ausgerüstet: Nachdem die Polizei am Donnerstagabend in Verviers,
keine 30 Kilometer von Aachen entfernt, eine mutmaßliche Terrorzelle
hochgenommen hat, herrscht in Belgien Angst. Zwei mutmaßliche Islamisten
waren bei der Aktion erschossen worden, 13 weitere wurden festgenommen.
„Wir sind zufrieden mit dem Ergebnis“, sagte der Sprecher der
Staatsanwaltschaft, Eric van der Sypt, am Freitag. Man habe unmittelbar
bevorstehende Attentate gegen die belgischen Sicherheitskräfte vereitelt,
in Verviers sei ein „großer Schlag“ gegen den Terror gelungen. Verbindungen
zu möglichen Terrorzellen in Deutschland und Frankreich habe man nicht
gefunden, es handele sich um eine rein belgische Bedrohung.
Doch gleichzeitig hoben die Behörden die Terrorwarnstufe auf das
zweithöchste Niveau an. Und sie verweigerten jede Auskunft zur Identität
der getöteten Verdächtigen und ihrer möglichen Komplizen. Offenbar fürchtet
die Polizei weitere Anschläge; in Brüssel wurden das Polizeipräsidium und
der Justizpalast abgeriegelt. Auch im Europaviertel wurde die Sicherheit
erhöht. Bei der Razzia in Verviers sollen Polizeiuniformen gefunden worden
sein.
Terrorangst herrscht schon seit Mai 2014, als ein Attentäter im Jüdischen
Museum am Sablon am helllichten Tag drei Menschen erschoss. Der mutmaßliche
Täter, Mehdi Nemmouche, ein Franzose algerischer Herkunft, bekannte sich
zum „Islamischen Staat“ (IS).
## Keine konkrete Bedrohung
Er wurde nach Belgien ausgeliefert und könnte Sympathisanten zu neuen
Terrorakten motivieren. Konkrete Hinweise gebe es aber nicht, sagte
Premierminister Charles Michel am Freitag auf einer eilig einberufenen
Pressekonferenz in Brüssel. „Zur Stunde ist uns keine präzise Bedrohung
bekannt.“ Gleichwohl kündigte der liberale Politiker eine massive
Verschärfung der Antiterrorpolitik an.
So soll ab sofort das Militär auch im Innern eingesetzt werden, um die
Sicherheitskräfte zu verstärken. Außerdem will Belgien ähnlich wie
Deutschland die Personalausweise von Verdächtigen einziehen, um Reisen nach
Syrien und in den Nahen Osten zu erschweren. Auslandsaufenthalte mit dem
Ziel der Ausbildung beim IS sollen künftig als terroristische Straftat
gelten.
Offenbar regiert die belgische Regierung damit auf den Vorwurf, bisher zu
lax mit Islamisten und deren Sympathisanten umgegangen zu sein. Vor allem
die 2010 gegründete (und 2012 aufgelöste) Gruppe „Sharia4Belgium“ hat das
Königreich in die Schlagzeilen gebracht. Sie organisierte die erste
Ausreisewelle nach Syrien und soll mit dafür verantwortlich sein, dass
Belgien, bezogen auf die Einwohnerzahl, die meisten „ausländischen Kämpfer�…
Europas hat.
## Hoher Anteil Dschihadisten
Eine „Drehscheibe für Dschihad-Rekrutierung nannte das Wall Street Journal
Europe Belgien im vergangenen September. Anlass war damals ein Prozess
gegen „Sharia4Belgium“. Zur Untermauerung diente eine Statistik, wonach 300
Belgier auf Seiten von Rebellengruppen im Krieg beteiligt seien.
Nach offiziellen Schätzungen kämpfen derzeit 184 Belgier in Syrien oder im
Irak, rund hundert Kämpfer sollen bereits zurückgekehrt sein. Prozentual
gesehen ist das deutlich mehr als in jedem anderen Land Westeuropas. In
Verviers mischten sich allerdings auch Ausländer in die „heimische“
Islamistenszene, vor allem Marokkaner, Algerier und sogar Tschetschenen.
Die Schauplätze der Antiterroraktionen vom Donnerstag zeigen, dass sich
diese Szenen oft räumlich konzentrieren. Brüsseler Quartiere wie
Anderlecht, Molenbeek und Scharbeek stehen seit mindestens zwei Jahren im
Ruf, gewaltbereite Islamisten zu exportieren. Das Städtchen Verviers von
nicht einmal 60.000 Einwohnern ist beziehungsweise war im syrischen
Bürgerkrieg mit zehn Kämpfern vertreten. Aus Vilvoorde, mit einer
Bevölkerung von gut 40.000, sollen es schon vor zwei Jahren 30 gewesen
sein.
## Isolation und Kriminalität
Bei der Frage nach den Ursachen stößt man immer wieder auf die fehlende
gesellschaftliche Anbindung von Muslimen. Der Bürgermeister von Vilvoorde,
Hans Bonte, arbeitete in den 1980er Jahren als Sozialarbeiter in Molenbeek.
Schon damals habe er dort Integrationsprobleme, Isolation und Kriminalität
unter Jugendlichen vorgefunden. Ein struktureller Befund, der die
ökonomisch schwachen Viertel der Metropolen betraf – auch in den folgenden
Jahrzehnten.
Montasser AlDe’emeh, ein junger Religionswissenschaftler und Politologe aus
Brüssel, sieht als zusätzlichen Faktor eine politische Kultur, die stark
vom xenophoben Diskurs des Vlaams Blok/Vlaams Belang geprägt war und
Migranten stärker als in anderen Ländern marginalisierte.
Hinzu kommt laut AIDe’emeh eine Integrationsdebatte, die stark von Symbolik
und Identität geprägt ist. Anders als in England beispielsweise sei ein
Kopftuch ein Ausschließungsmerkmal für öffentliche Berufe.
Als besonders heikles Element kommt die relativ leichte Verfügbarkeit auch
schwerster Waffen hinzu. Auch die deutliche Verschärfung des Waffengesetzes
2006 änderte nichts daran, dass Kriegswaffen im kriminellen Milieu schnell
zu beschaffen sind. Wie die taz erfuhr, lässt sich in manchen Gegenden
Brüssels innerhalb eines Tages eine Kalaschnikow für 1.000 bis 2.000 Euro
erstehen. Die bei den Razzien beschlagnahmten Kriegsgerätschaften
bestätigen dieses Bild. Bei den mutmaßlichen Terroristen in Verviers wurden
Kalaschnikows gefunden – genau wie bei den Mördern in Paris vor einer
Woche.
16 Jan 2015
## AUTOREN
Eric Bonse
Tobias Müller
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Islamismus
Terrorismus
Belgien
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