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# taz.de -- Unruhen in Frankreichs Vororten 2005: Pulverfass Banlieue
> Vor zehn Jahren begannen die Proteste in französischen Vorstädten.
> Verändert hat sich seither kaum etwas. Der nächste Aufstand kommt.
Bild: Wochenlang entlud sich die Wut. Das gutbürgerliche Frankreich war schock…
Zehn Jahre ist es her. Der absurde Tod von zwei Jugendlichen in der
Vorstadt-Siedlung Clichy-sous-Bois löste eine Revolte aus, die in der
politischen Geschichtsschreibung unter dem banalisierenden Begriff
„Banlieue-Unruhen“ vermerkt ist.
Wochenlang entlud sich in den Vorortsquartieren im ganzen Land die Wut über
eine territoriale, soziale und rassistische Diskriminierung. Mehr als
10.000 Fahrzeuge und 300 Gebäude gingen, einem Fanal des Aufstands gleich,
in den Tagen um den 27. Oktober in Flammen auf.
Das gutbürgerliche Frankreich der schönen Quartiere war zutiefst schockiert
und verstand nicht oder wollte nicht verstehen, was hinter dieser
blindwütigen Gewalt dieser jungen „Barbaren“ stehen mochte.
Noch hängt so etwas wie ein beißender Rauch der Erinnerung an den
Vorkommnissen in diesen Siedlungen, die nicht ohne Grund mit dem
historischen Wort der „Bannmeile“ (Banlieue) benannt werden. Ein Begriff
sind die Namen der beiden Jungen Zyed und Bouna, die nichts verbrochen
hatten, sich aber einer Polizeikontrolle entziehen wollten und dabei in
einem Transformatorhäuschen von einem Stromschlag getroffen wurden.
## „Marshall-Plan für die Banlieue“
Geblieben sind markante Schlüsselworte gescheiter Analysen wie Ghetto,
Apartheid und Indianerreservat, mit denen die Ausgrenzung eines Teils der
Bevölkerung beschrieben wird. Geblieben sind auch weitgehend dieselben
Zustände, obwohl der damalige Präsident Jacques Chirac sogleich einen
„Marshall-Plan für die Banlieue“ in Aussicht stellte. Die heutige
Staatsführung verweist auf zig Milliarden, die investiert wurden, und viel
lokale Initiativen des guten Willens.
Trotzdem herrscht nicht viel Grund für Optimismus. Die anhaltende
Wirtschaftskrise verschärft die Diskrepanz der Chancen bei der Arbeits-
oder Wohnungssuche. Die notorischen Probleme in der Banlieue spitzen sich
wieder zu. Mehr denn je flüchten sich die betroffenen Jungen in
Scheinwelten von Drogen, Religion oder im Extremfall in die Dschihad. Noch
immer kontrollieren die Streifen in provozierender Weise prioritär Junge
aufgrund ihres Aussehens und ihrer Herkunft, und dies oft mehrfach am
selben Tag.
Die Banlieue bleibt ein Pulverfass. Die nächste Revolte kommt bestimmt. Die
Polizei bereitet sich darauf vor. Darum sollen die Beamten, die zu
punktuellen Kampfeinsätzen in diese ihnen feindlich gesinnten Territorien
geschickt werden, auf Wunsch der Regierung mit einer Kamera auf der Brust
ihr Vorgehen filmen, damit ihnen nachher keine Vorwürfe gemacht werden
können.
27 Oct 2015
## AUTOREN
Rudolf Balmer
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