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# taz.de -- Figaros Hochzeit am Theater Bremen: Hoppla, die Revolution
> Regisseur Rothenhäusler vermeidet es in seiner gelungenen Inszenierung
> von Figaros Hochzeit am Theater Bremen, die Geschichte zwanghaft in die
> Gegenwart zu holen
Bild: Frei von der AktualisierunFrei von der Aktualisierungs-Fuchtel: die Figar…
BREMEN taz | Die Revolution geschieht im Schweigen: Regisseur Felix
Rothenhäusler hat es nach das bezaubernde und widersprüchliche Sextett
„Riconosci questo amplesso“ gelegt, in dessen Harmonik Mozart die ganze
Dialektik von Begierde und Frustration, von Macht und Erkennen komponiert
hat und in dessen Text Librettist Lorenzoda Ponte alle Fäden der Intrigen
rund um Figaros Hochzeit unentwirrbar miteinander verknüpft hat. Es ist der
Höhepunkt der Oper. Gegen dessen musikalisch-dramatische Dichte, das
tumultarische Erkennen von Sieg und Scheitern, setzt die Regie ein
Schweigen, das viel länger dauert, als zwischen den anderen Nummern der
Oper.
In diesem Schweigen bewegen sich Figaro, Susanna, Bartolo und Marcellina,
die ganze Untergebenen-Schar also, die gerade ihre Zusammengehörigkeit
erkannt hat, lautlos, Arm in Arm, rückwärts in den Hintergrund der Bühne
des Bremer Theaters am Goetheplatz: Der Raum öffnet sich ins bestirnte All
der Utopie. Und die ganze schöne Ordnung, in der niemand aus der Reihe
getanzt war, ist futsch. Einfach auseinander geflogen, hoppla! Da war sie
ja – die Revolution. Letztlich hat es jeder verstanden. Denn die simple
szenische Aktion, dass vier Leute rückwärts von der Rampe in den
Hintergrund schleichen, entwickelt im Kontext eines anfangs fast quälend
statischen, extrem strengen und sehr schlüssigen Regieansatzes ihre
Sprengkraft.
## Keine Puderperücken
Rothenhäusler, sonst Hausregisseur der Bremer Schauspiel-Sparte, vermeidet
in seiner ersten Musiktheater-Arbeit, die mit der Zeitenwende von 1789
verschwundene Wirklichkeit, die gesellschaftlichen Räume dieser Oper in
irgendeiner Weise realistisch nachzubilden. Niemand trägt hier eine
Puderperücke. Es ist, auch wenn Patrick Zielke den Bartolo genussvoll als
freudig-brutalen Proll-Hausmeister im blauen Trainingsanzug gibt, und
Gustavo Feulien einen weltmännischen Chauvi im Seidenmorgenmantel
darstellt, auch wenn da also allesamt heutige Typen auftreten, eben kein
zwanghafter Aktualisierungsversuch.
Stattdessen platziert Rothenhäusler sämtliche AkteurInnen in Evi Bauers
Anti-Bühnenbild: einem Leuchtdioden-Rahmen, der von blendend-weiß bis
disco-bunt variierbar ist. Und auf eine Reihe aus je zur Person passenden
Sitzgelegenheiten: ein thronartiger Sessel, ein bordellrosa Plastestuhl,
ein traumblauer Sitzball und ein solides Taburett mit eifersuchtsgelbem
Sitz. Ihm gelingt damit nicht nur ein abstraktes, extrem reduziertes und
zugleich extrem lesbares Bild für eine Gesellschaft, in der jeder seinen
ihm zugewiesenen Platz hat, sondern er schafft es auch, dem Plot des
Stücks, der eigentlich nur für fleißige Philologen mit historischen
Kenntnissen noch lesbar und vergnüglich ist, zu entrinnen.
Statt gequälten Interaktionen, Rumgerenne, Versteckspiel und
Bettenausmessen zu servieren, lässt Rothenhäusler Handlung andeuten. Es
wird mal vom Hocker gehopst, mal eine Axt hochgehalten, ein Stuhl fällt um,
einer steht beinahe auf! Ansonsten flirten die SängerInnen von ihren
Plätzen aus mit dem Publikum, unterstreichen ihre Aussagen gestisch. Und
Cherubino, der sexy Page, dem Silvia Hauer ihren voluminösen, manchmal
indes etwas schneidigen, Koloratur-Sopran leiht, kann einfach,
lustgetrieben wie er ist, nicht an sich halten. Er grimassiert, und auf
seinem Sitzball treibt es ihn immer rauf, runter, rauf, hoppe, hoppe, hopps
hopps hopps.
Oh, zum Glück ist da die Musik, die seinem Begehren Puls und Takt verleiht.
Das ist das geradezu Geniale an dieser Figaro-Aufführung. Ihr Balance-Akt
auf der Schwelle zum Konzertanten, das ständige Verhalten doch präsenter
Aktionen, fängt das Gären ein, das Triebhafte und das Politische: Das aber
lebt in der Musik, auch 200 Jahre nachdem dieses Zeitstück seine
Wirklichkeit verloren hat. Sie hat die Hauptrolle. Das funktioniert nur
dank glänzend aufgelegter, von Clemens Heil mit großem Furor angetriebener
Philharmoniker. Es ist, trotz hervorragender und von ablenkender
Bühnengymnastik befreiten SolistInnen nicht ganz ohne Risiko, weil sich
selbst kleinste Wackler unter solchen Bedingungen kaum cachieren lassen.
## Leichte Schwierigkeiten
Bei der Premiere gab es leichte Intonationsschwierigkeiten in der
„Canzonetta sull’aria“ im dritten Akt. Ausgerechnet vom Einsatz zum groß…
und ergreifenden Verzeihen scheinen Orchester und Gustavo Feulien als Conte
Almaviva leider unterschiedliche Vorstellungen zu haben. Aber dafür
entschädigt mindestens Marysol Schalit, die eine atemberaubende Susanna
ist.
Klar, es macht Spaß, Christoph Heinrich in der Titelrolle zuzuhören, wie er
gedanklich dem Grafen die Gitarre schon mal schlagen will, wie Musik in
seinem expressiven Gesang zur Waffe wird. Aber Schalit als Figaros Braut,
die sich ständig der penetrant-raubtierhaften Männlichkeit Feuliens
erwehren und zugleich dem von der Welt und seiner Rolle in ihr
überforderten Figaro heimleuchten muss, wird in der pointierten Klarheit
ihres Soprans zur Allegorie der Aufklärung: Das ist schon ein Erlebnis für
sich.
4 Feb 2015
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Theater Bremen
Oper
Mozart
Theater Osnabrück
Gefängnis
Theater
Oper
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