# taz.de -- Wiederentdeckung am Theater Osnabrück: Gurlitt’sche Soldaten | |
> Lange vorm Kunstskandal hat das Theater Osnabrück die Neuinszenierung der | |
> „Soldaten“ des vergessenen Komponisten Manfred Gurlitt geplant. Jetzt ist | |
> die etwas sperrige Musik zu hören. | |
Bild: Ein verirrtes Bürgerkind: Susann Vent-Wunderlich als Marie Fotos. | |
OSNABRÜCK taz | Licht aus, Spots an in der Osnabrücker Oper. Es gibt keine | |
Ouvertüre, kein Vorspiel, keinen Takt, keine Note als Einführung: Sofort | |
mitten hinein geht’s ins gar nicht lustige Soldatenleben. Zu den | |
Mechanismen der Gewalt, die von hierarchischen Strukturen befeuert werden. | |
Was passiert mit trieblustig erregten Jungmännern, die ihre kindlich naive | |
Schulung an Spielzeugwaffen abenteuernd fortsetzen wollen, in der | |
Befehl-und-Gehorsam-Welt des Staatsbetriebs, der professionell im | |
mörderischen Kriegshandwerk ausbildet? | |
## Apokalyptische Angst | |
Jakob Michael Reinhold Lenz bezog sich mit seinem heimtückisch als Komödie | |
klassifizierten „Soldaten“-Drama auf seinen Wehrdienst in den | |
1770er-Jahren, Bernd Alois Zimmermann ging fast 200 Jahre später mit einer | |
geradezu mathematisch aus einer Zwölftonreihe entwickelten und rhythmisch | |
hochkomplex vernetzen Vertonung weit über Lenz hinaus, führte dabei die | |
Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs fort in die apokalyptische Angst vor | |
einem Atomkrieg. Aber es existiert auch eine Variante des Stoffes, die sich | |
auf die Schrecken des Ersten Weltkriegs bezieht. Das Theater Osnabrück, bis | |
2009 größter deutscher Stützpunkt der britischen Armee, bringt zur | |
Wiederentdeckung „Soldaten“ von Manfred Gurlitt auf die Bühne. | |
Gurlitt? Als Osnabrücks Intendant Ralf Waldschmidt vor zwei Jahren | |
entschied, an einen durch die Kulturbarbarei der Nazis nahezu in | |
Vergessenheit geratenen Komponisten zu erinnern, war der Name Gurlitt noch | |
eine eher schlecht zu vermarktende Idee. Derzeit aber wird Sprösslingen der | |
sehr reichen, großbürgerlich elitären Kunsthändlerfamilie viel | |
Aufmerksamkeit geschenkt, die vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg | |
mit moderner, zwischenzeitlich als „entartet“ diffamierter Kunst sehr gute | |
Geschäfte gemacht und Museen bestückt hat. | |
## Das Gurlitt-Glück | |
Vor allem im Fokus steht die Raubkunst-Debatte um die Gemäldesammlung des | |
2014 verstorbenen Cornelius Gurlitt, dem Erben und Sohn von Hildebrand | |
Gurlitt, dessen Cousin der Komponist Manfred Gurlitt war – Verbindungen, | |
die für die Oper zwar keine Bedeutung haben, aber Osnabrück nun im medialen | |
Schweinwerferlicht glitzern lassen. Ein Glücksfall. | |
Gurlitts 1930 uraufgeführte Soldaten bekamen, bis auf eine Inszenierung in | |
Trier, im Avantgarde-bewegten Nachkriegsdeutschland keine Chance mehr gegen | |
Zimmermanns Version. Deren Realisierung ist allerdings nur großen Häusern | |
möglich. Dabei hat Gurlitt ganz in der Nähe von Osnabrück seinen | |
künstlerischen Durchbruch erlebt. Ab 1917 war er am Theater Bremen | |
engagiert und dort in den 1920er-Jahren der jüngste Generalmusikdirektor | |
Deutschlands. Hier gründete er auch die „Gesellschaft für Neue Musik“ und | |
brachte seine Opern „Wozzeck“ (nach Georg Büchner) und „Die Heilige“ (… | |
Carl Hauptmann) zur Uraufführung. | |
„Man muss sich ihn als erotischen Typen vorstellen, charismatisch, ein | |
Lebemann mit funkelnden Augen“, schwärmte während der Premieren-Matinee die | |
österreichische Musikwissenschaftlerin Irene Suchy, die über Künstler im | |
japanischen Exil geforscht hat. Dorthin flüchtete Gurlitt 1939. „Zuvor | |
aber“, so Suchy, „wurde er NSDAP-Mitglied und tat alles, um in die | |
Reichsmusikkammer aufgenommen zu werden.“ Zudem behauptete seine Mutter, er | |
sei nicht Fritz Gurlitts leiblicher Sohn und damit „jüdischer Mischling | |
zweiter Ordnung“, sondern Spross eines Seitensprungs. | |
Das half aber alles nichts, es wurde ein Aufführungsverbot für Gurlitts | |
Werke und Arbeitsverbot für ihn als Dirigenten verhängt, das Gurlitt auch | |
im Exil verfolgte, da sich das japanische Kaiserhaus mit Hitler verbündete. | |
Suchy: „Heute ist Gurlitt in Japan sehr angesehen für seine Verdienste, da | |
er bis zu seinem Tod 1972 sehr viel für die Sehnsucht der Japaner getan | |
hat, die sinfonische Musik Europas selbst interpretieren zu können und auch | |
so zu komponieren.“ Besonders intensiv setzte er sich, ein Schüler von | |
Engelbert Humperdinck, für das Werk des naiven Nazi-Kollaborateurs Richard | |
Strauss ein. Dessen spätromantischer Klangzauber erschien ihm für die | |
eigene Tonsetzerkunst allerdings eher suspekt. | |
## Musikalischer Sog | |
In der präzis durchgearbeiteten Osnabrücker Soldaten-Version werden unter | |
der Leitung von Andreas Hotz die Gurlitt’schen Klangidiome farbenfroh | |
herausgearbeitet. Das Skizzenhafte der aufgebrochenen Form passt gut zu | |
Lenz’ Drama, durch die Verdichtung der musikalischen Mittel werden auch die | |
Szenen konzentriert, die geradezu filmisch gegeneinander geschnitten sind. | |
Die Sperrigkeit der knochigen Musik betont die Brüche der fragmentarischen | |
Dramaturgie und ist eng auf das Schauspielerische sowie die Sänger | |
abgestellt. Klar geführte Gesangslinien ermöglichen Textverständlichkeit. | |
Die pausenlose Aufführung entwickelt so einen geradezu musikalischen Sog – | |
vom kühlen, neusachlichen Beginn über ein Mosaik mal dissonanter, mal | |
schmeichelnder Klänge hin zu einer dann doch expressiv aufbrausender | |
Emotionalität. | |
Kleine vor oder nachbereitende Orchesterzwischenspiele werden von der Regie | |
genutzt, Kriegsfolgen und szenarien anzuspielen oder einzublenden: Bilder | |
von Kindersoldaten und Leichenbergen sind zu sehen, Statisten ziehen als | |
Flüchtlinge vorüber. Ein Werbevideo der Bundeswehr wird gezeigt und | |
„Technik, die begeistert“: Waffen. Von wegen Globalisierung ist auch stets | |
ein Cola-Automat im Bild. Ständig gegeneinander verschobene Bühnenbildwände | |
öffnen kontinuierlich neue Spielräume. So weit, so gut. | |
## Sehr, sehr heutig | |
Die Handlung, nun ja, ein Sozialdrama: Bürgermädchen Marie ist mit dem | |
Bürgersohn Stolzius verlobt, versucht sich mit Unterstützung des Vaters | |
aber hochzuschlafen ins Reich der Offiziere – und endet in der Gosse. Was | |
aus Stolzius einen zweiten Woyzeck macht: Er ist als Rächer gleichzeitig | |
Opfer und Täter. Regisseur Florian Lutz aber will vor allem alles ganz | |
heutig sehen und überfrachtet das Geschehen. | |
Stolzius lässt bei ihm keine Tücher, sondern moderne Waffen produzieren, | |
die Maries Vater, hier ein Moslem, an deutsche Militärs in Gestalt eines | |
Karl-Theodor-zu-Guttenberg-Lookalikes verkauft, bis er schließlich im | |
Hamid-Karzai-Kostüm als Afghanistan-Präsident herumstolziert. Als Marie vom | |
Guttenberg-Verschnitt nicht zum Rendezvous ins Theater, sondern in einen | |
Stallone-Kriegsfilm ausgeführt wird, buhlt sie anschließend lieber um einen | |
Von-der-Leyen-Buben, während die Kriegsministerin ihre zynische PR-Show für | |
eine Live-Cam inszeniert. Und die Soldaten hinter Sandsäcken tun das, was | |
man ihnen so vorwirft: saufen, höhnen, foltern, vergewaltigen. Diese | |
Regieideen sind dermaßen plump um Satire bemüht, dass es gar nicht mehr | |
lustig ist. | |
So unmittelbar Gurlitt anfangs ins Geschehen reißt, so mittelbar hält Lotz | |
es sich und uns Zuschauern vom Leibe. Trotzdem: Der Premierenjubel am | |
Samstag war eine „Buh“-freie Zone. | |
## Nächste Termine: 24., 28., 30. 1., 19.30 Uhr, Theater Osnabrück | |
20 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
## TAGS | |
Theater Osnabrück | |
Soldaten | |
Schwerpunkt Cornelius Gurlitt | |
Theater Bremen | |
Theater | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Figaros Hochzeit am Theater Bremen: Hoppla, die Revolution | |
Regisseur Rothenhäusler vermeidet es in seiner gelungenen Inszenierung von | |
Figaros Hochzeit am Theater Bremen, die Geschichte zwanghaft in die | |
Gegenwart zu holen | |
Durch Pegida ungeahnt aktuell: Remarque auf der Bühne | |
Welt aus den Fugen: Das Theater Osnabrück bringt erstmals den | |
Zwischenkriegsroman "Der schwarze Obelisk" auf die Bühne. |