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# taz.de -- Volker Lösch inszeniert Verdi in Weimar: Wirr sind die Räuber
> Volker Lösch erfindet Verdis „Masnadieri“ am Nationaltheater Weimar als
> brandaktuelle und hochpolitische Comic-Oper neu.
Bild: Alik Abdukayumov als Franz Moor in Volker Löschs Inszenierung von Guisep…
Der Regisseur Volker Lösch hat seine ganz eigene Methode entwickelt, um die
Stücke, die er sich vornimmt, mit dem wahren Leben und der Gegenwart zu
konfrontieren. Meistens rekrutiert er im Ort der Aufführung Chöre von
Laien, die diverse Kommentare zwischen die überlieferten Texte skandieren.
Was auch schon mal zu ernsthaften, gar juristisch ausgetragenen
Nebenwirkungen führte, wie 2006 bei seinen Dresdner „Webern“. Meistens
vermittelt er mit dieser plakativen Aufrüstung durch Volkes Stimme aber
auch neue Einsichten.
Hauptmanns „Ratten“ beispielsweise erhielten jüngst durch einen Chor
alleinerziehender Mütter in Düsseldorf tatsächlich eine ganz neue
Dimension. Bei seinem ersten Versuch als Opernregisseur mit Verdis
„Macbeth“ in Magdeburg hatte der Sprecherinnenchor der Hexen eine so
politische Dimension, dass er ein lautstarkes Pro und Contra auslöste.
In Weimar haben Volker Lösch, der erste Kapellmeister Martin Hoff und das
ganze Team jetzt Schillers jugendliches Wutstück über die Räubertruppe des
Karl Moor und Verdis ebenfalls jugendlich revoluzzernden musikalischen
Schwung seiner Opernversion von Schillers Vorlage mit den seit Kurzem
heftig auf den Straßen in Sachsen und anderswo skandierten Fragen und
Scheinantworten kurzgeschlossen.
## Dort, wo die Ressentiments hochkochen
Daraus schlagen sie aber keineswegs nur schnell verfliegende Funken.
Vielmehr beteiligen sie sich damit an der Debatte, die allenthalben derzeit
im Lande geführt wird – oder geführt werden muss. Vor allem da, wo abseits
des bisherigen Diskursmainstreams Ressentiments hochkochen. Oder, wo
deklarierte Weltoffenheit in Versagensängste vor der Globalisierung
umschlägt.
Die Lösch-Truppe ist im Vorfeld ausgezogen und hat in Thüringen Interviews
mit extremen Rechten und Linken, mit Draufschlägern und Aussteigern, mit
Ideologen und Politikern geführt. Die Ergebnisse haben sie mit Witz und
erstaunlichem Geschick verdichtet.
Mit den daraus gewonnenen, zum Teil politisch höchst inkorrekten O-Tönen
haben sie die Sprechblasen gefüllt, die sich auf Carola Reuthers Bühne
immer wieder über die Köpfe der Sänger herabsenken. Wenn da die ersten
Frage- und Ausrufezeichen in Comicmanier auftauchen, gibt es anfangs zwar
noch ein paar unfreiwillige Lacher. Aber diese Methode funktioniert
fabelhaft.
## Lebenstraum einer engagierten Linken
Den Räubern, denen bei Verdi und seinem Librettisten Andrea Maffei jede
moralische Rechtfertigung ihres Tuns abhanden gekommen ist, werden so die
unreflektierten rechten Ressentiments und Parolen zugeordnet, Karl (voller
Tattoos und mit vokalem Anführerschwung: Jaesing Lee) auch schon mal die
Worte eines Aussteigers oder der schlichte Traum von einem normalen
bürgerlichen Leben mit Amalia.
Mit Leidenschaft vertritt Heike Porstein in Parka und mit Antinazilogo auf
dem Schlabberpullover immer noch den Lebenstraum einer engagierten Linken.
Der alte Moor (Deayoung Kim) verkündet die nicht falschen, aber abgenutzten
Überlegungen etablierter Politik hinterm Rednerpult, während Franz die
Kanaille (Alik Abdukayumov mit verdächtig blonder Haartolle) den rechten
Ideologen gibt.
In Weimar steht also nicht ein Zusatzchor aus Straftätern, Neonazis oder
Aussteigern auf der Bühne, der mit dem Schwung des politischen Holzhammers
den musikalischen Fluss der Oper unterbrechen würde. Der Opernchor
übernimmt diesen Schlägertruppenpart im entsprechenden Outfit höchst
überzeugend selbst.
## Fabelhaft aufgelegte Staatskapelle Weimar
Dabei fließt die Musik besonders dank Martin Hoffs temperamentvoll
inspirierter Leitung der fabelhaft aufgelegten Staatskapelle Weimar nicht
nur ungehindert, sondern wirkt mit ihrer Energie auf die Bühne zurück.
Dort erleben wir die Arbeit eines Regisseurs, der zwar keineswegs ins Lager
der subtilen Feingeister seiner Branche übergelaufen ist. Das nicht. Aber
er hat aus Verdis frühen „Masnadieri“ eine flott geschnittene Comicoper mit
einem fast völlig aus der Gegenwart unmittelbar abgelauschten neuen Text
gemacht. Das ist so aktuell und politisch, wie es sich kaum noch jemand
traut.
Es funktioniert so überraschend gut, weil Lösch (als kluger Regisseur
offenbar lernfähig) die Musik und den italienisch gesungenen Originaltext
eben nicht unterbricht oder antastet. Zum mitreißenden musikalischen
Schwung wird allemal das eingeblendet, was damit heute gemeint sein könnte.
## Bis zur Kenntlichkeit entstellt
Es passiert ja nicht selten (in Schauspiel öfter als in der Oper), dass der
Kritiker fairerweise die Empfehlung vor allem ans jüngere Publikum anfügen
muss, dass es besser ist, die Originalvorlage zu lesen, damit man eine
Ahnung davon bekommt, worum es auf der Bühne überhaupt geht.
In diesem speziellen Fall ist Schillers Vorlage und die Librettoversion,
die Verdi benutzt hat, auch nur noch sehr bruchstückhaft vertreten. Und
doch ist das Ganze sozusagen bis zur Kenntlichkeit entstellt. Soll heißen:
so konsequent nach Thüringen und in die unmittelbare Gegenwart verlegt und
durch sie eingeholt, dass man selbst die Ausrufezeichen bestaunt, die
mitunter in den Sprechblasen auftauchen.
Es hätte auch schiefgehen können, doch in Weimar wird die Comicästhetik
genau zu dem Scharnier, um Schiller und Verdi zu einer Vorlage für die
unvermeidlichen Debatten über die Ängste und Bedrohungen der Gesellschaft
am Beginn des Jahres 2015 zu machen. So brandaktuell und politisch wie
diesmal in Weimar ist Oper selten.
3 Feb 2015
## AUTOREN
Joachim Lange
## TAGS
Schwerpunkt Pegida
Theater Bremen
Oper
Zürich
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