# taz.de -- „Drei Schwestern“ in Zürich: Die Musik der Körper | |
> In Zürich setzt der Regisseur Herbert Fritsch seinen Erfolg fort und | |
> inszeniert seine erste Oper, die „Drei Schwestern“ von Peter Eötvös. | |
Bild: Anna Goryachova als Mascha und Erik Anstine als Kulygin in den „Drei Sc… | |
Am Ende murmeln sie zurück. Aus dem Zuschauerraum. Im Chor und ganz | |
spontan. Bei der stets mitinszenierten Applausordnung, die als | |
Sahnehäubchen noch jede Herbert-Fritsch-Produktion ziert. Seine „Murmel | |
Murmel“ Version des Schweizers Dada-Künstlers Dieter Roth ist Kult an der | |
Volksbühne in Berlin. So wie er sich als Schauspieler aus der | |
Castorf-Truppe mit einem imaginären Türenknallen verabschiedete, so kehrte | |
er als gefeierter Spielmacher dorthin zurück. | |
Fritsch schickte den Weltverbesserungsfuror und den Publikumsquäleifer, | |
also den Hausgeist der Volksbühne, zur Raucherpause vor die Tür, ließ | |
drinnen die Theaterlust von der Kette und triumphierte mit jedem neuen | |
Anlauf und jedem Slapstick-Bauchklatscher. | |
Als Regisseur füllt Fritsch sein ehemaliges Haus. Die obligaten Einladungen | |
zum Theatertreffen verstanden sich da fast von selbst. Schon da verstärkte | |
sich der Verdacht, dass Fritsch als Regisseur im Grunde stets einer inneren | |
Partitur folgt. Dass er auf der Bühne „nur“ eine Musik der Körper sichtbar | |
macht, indem er ihrem Rhythmus folgt. Das ist immer sehr witzig, vor allem | |
aber überdreht und grotesk. Und es endet nie ohne jene Kusshand ins | |
Publikum, die seine liebevollen Applausordnungen allemal zur Wegzehrung für | |
den Heimweg seiner Zuschauer machen. | |
## Etwas Neues kommt hinzu | |
In Zürich gibt es das alles jetzt auch. So ungefähr jedenfalls. Am Ende ist | |
es ein kollektives Slowmotion-Winken aller Akteure ins Publikum, samt einer | |
Hand aus dem Souffleur-Kasten. Nach dem Motto: das machen wir jetzt so | |
lange, bis einer anfängt zu klatschen. Davor aber gibt es etwas Neues. Zur | |
inneren Partitur des Herbert Fritsch gesellt sich das erste Mal nämlich | |
auch eine äußere! Komponiert von Peter Eötvös. | |
Dessen „Drei Schwestern“ sind seit ihrer Uraufführung 1998 in Lyon schnell | |
zu einer der erfolgreichsten neuen Opern geworden. Eötvös und sein | |
Librettist Claus H. Henneberg haben die Erzählstruktur des | |
Tschechow-Stückes aufgebrochen und ihr Destillat neu zusammengefügt. Die | |
von Tschechow so virtuos beschriebene Malaise der Lebensverhinderung in der | |
russischen Provinz, mit diesem dauernden Wegwollen und nicht Wegkönnen, | |
haben sie in drei „Sequenzen“ neu zusammengestellt und jeweils aus der | |
Sicht Irinas, dann aus der ihres Bruders Andreij, der mit einer Nervensäge | |
verheiratet ist, und schließlich aus der Perspektive von Mascha erzählt. | |
## Atemberaubende Präzision | |
Dabei passt Fritsch seinen markenbildenden Drang zur Beschleunigung jeder | |
Bühnenaktion, zur Übertreibung jeder Geste mit atemberaubender Präzision | |
den musikalischen Tempovorgaben an. Ja er erfindet bei der Gelegenheit (aus | |
den Zutaten Melodrama und Groteske) so etwas wie eine Melogroteske. | |
Natürlich gibt es auch ein paar von den typischen, stummfilmgeschulten | |
Fritschinessen. Einmal wenigstens verheddert sich der Lehrer beim Abgang im | |
Vorhang. Auch Teetassen gehen dutzendweise zu Bruch, auf dass der im dicken | |
Rock der Amme steckende Bassist so eifrig wie erfolglos immer wieder die | |
Scherben beiseite fegen und dabei mit den Augenlidern ins Publikum klimpern | |
kann. Aber all das fügt sich ein und bricht nicht aus. | |
Beim Ambiente findet sich nichts von der russischen Provinz und dem noblen | |
Tschechow-Sound, hinter dem der Schmerz so verhalten schön aufscheinen | |
kann. Seine Birken finden sich höchstens im Furnier der beweglichen | |
Paravents wieder, die wie ein Schweizer Uhrwerk jeden Auf- und Abtritt zu | |
einem kleinen Zaubertrick machen und die schnellen Schnitte ermöglichen. | |
Alles Russische hat Victoria Behr in die folkloristische | |
Babuschka-Kostümpracht von Irina, Olga und Mascha, die stilisierten | |
Uniformen der Militärs und Andreijs bäuerlichen Aufzug verfrachtet. | |
## Konzentrierter Minimalismus | |
Dass die lakonischen und grotesken Elemente bei Eötvös in der motorischen | |
Sensibilität von Fritsch eine kongeniale Umsetzung finden würden, war zu | |
erwarten. Dass er aber auch für den großen klagenden Monolog des Andreij zu | |
einem konzentrierten Minimalismus fähig ist, überraschte dann doch. Wenn da | |
die Schiebewände gen Schnürboden verschwinden, das Licht heruntergedimmt | |
wird und der Sänger ganz allein mit der Musik auf der Bühne steht, dann | |
hört man für einen traurig schönen Moment die russische Seele schluchzen. | |
Überhaupt war Eötvös’ Musik, die in der Zeit nach dem Selbstmord seines | |
Sohnes entstand, wohl noch nie so deutlich als eine des Abschieds, des | |
Schmerzes und der Trauer zu vernehmen wie jetzt in Zürich. Das liegt an der | |
einfühlsamen Präzision, mit der Michael Boder die 19 Musiker im Graben und | |
Peter Sommerer weitere 50 auf der Bühne untereinander und mit den | |
exzellenten Protagonisten verzahnen. Das liegt aber auch daran, dass | |
Fritsch alles Narrative in die Figuren verlagert hat. | |
Man kann sich so aussuchen, ob man mehr über diese musikalische Entdeckung | |
staunen soll oder darüber, dass ausgerechnet Herbert Fritsch dazu verhilft. | |
12 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Joachim Lange | |
## TAGS | |
Zürich | |
Oper | |
Film | |
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