# taz.de -- Kommentar Sicherheitskonferenz: Der Zerfall der Unordnung | |
> Konfrontativ und kompromisslos haben sich die Redner auf der Münchner | |
> Sicherheitskonferenz gezeigt. Die zentralen Fragen bleiben offen. | |
Bild: Von Einsicht war wenig zu erkennen auf der dreitägigen Konferenz im Baye… | |
Die internationale Ordnung zerfällt und ihre institutionellen Garanten | |
(Nato, EU, UNO, OSZE) reagieren zu zögerlich oder sind zu schwach. Trifft | |
diese Leitthese der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz zu? Und wenn | |
ja, was sind die Ursachen für diese vermeintlich bedrohliche Entwicklung? | |
Diese Fragen wurden bei der dreitägigen Veranstaltung nicht geklärt. Denn | |
ein echter Dialog fand kaum statt. Zum die Konferenz beherrschenden | |
Ukrainekonflikt redeten die führenden Vertreter Russlands und der USA in | |
separaten Auftritten konfrontativ und kompromisslos aneinander vorbei. | |
Außenminister Lawrow und andere russische Politiker [1][leugneten Moskaus | |
offensichtliche Verstöße gegen das Völkerrecht und gegen die Europäische | |
Friedensordnung]. US-Vizepräsident Biden und die Senatoren McCain, Graham, | |
Corker geißelten diese Verstöße in scharfen Worten und erklärten Russlands | |
Präsident Putin zum einzig Verantwortlichen für den Ukrainekonflikt. Die | |
Vertreter aus Washington ließen keinerlei Einsicht erkennen, dass die | |
Politik von USA und Nato gegenüber Russland seit Ende des Kalten Krieges – | |
angefangen mit der Ostausdehnung der westlichen Militärallianz – zum | |
Ukrainekonflikt und zu Russlands kritikwürdigem Verhalten beigetragen | |
haben. | |
Auch in den Reden und Diskussionsbeiträgen von Bundeskanzlerin Merkel und | |
Außenminister Steinmeier gab es keine Anzeichen für diese Einsicht oder gar | |
für die Notwendigkeit, die Ukrainepolitik von Nato und EU zu korrigieren, | |
um endlich eine Deeskalation des Konflikts und auch Korrekturen der | |
russischen Seite zu bewirken. Immerhin wies die Kanzlerin die Forderungen | |
der amerikanischen Senatoren nach Waffenlieferungen an die Ukraine klar und | |
mit überzeugenden Argumenten als falschen und gefährlichen | |
Eskalationsschritt zurück. | |
Außerhalb der vom Ukrainekonflikt infrage gestellten, selbstverständlich | |
unbedingt erhaltenswerten Europäischen Friedensordnung stellen sich die | |
Fragen von Ordnungs- und Sicherheitsstrukturen und ihrem Zerfall sehr | |
anders. Für die große Mehrheit der Erdbevölkerung herrschte auch bislang | |
keine verlässliche Ordnung und Sicherheit, sondern oftmals | |
lebensbedrohliche Unordnung. Bedingt durch eine von den nördlichen | |
Industriestaaten bestimmte ungerechte und durch immer neue | |
„Freihandels“-Abkommen zementierte Weltwirtschaftsordnung, durch | |
militärische Interventionen oder den bisher ebenfalls im Wesentlichen vom | |
Norden verursachten Klimawandel. | |
Nato, EU, Weltbank, Währungsfonds und andere institutionelle Garanten | |
dieser globalen Unordnung sind in den meisten Ländern des Südens | |
diskreditiert. Und die UNO, die einzige globale Ordnungsinstitution, hat | |
sich wegen ihrer bisherigen Dominanz durch wirtschaftlich, politisch und | |
militärisch gewichtige Staaten des Nordens als unfähig erwiesen, die | |
globale Unordnung und Unsicherheiten zu überwinden. | |
Darauf machte auf der Sicherheitskonferenz lediglich Greenpeace-Direktor | |
Kumi Naidoo aufmerksam, der einzige Vertreter einer | |
Nichtregierungsorganisation auf einem der zentralen Podien. Den von den | |
anderen Teilnehmern mit Sorge registrierten Zerfall bisheriger | |
Ordnungsstrukturen begrüßte Naidoo zu Recht als notwendige Infragestellung | |
der globalen Unordnung. Darin lägen mehr Chancen als Risiken. Den | |
EU-Staaten empfahl der Greenpeace-Direktor, ihre Abhängigkeit von | |
russischen Gaslieferungen und die damit verbundene Gefahr einer politischen | |
Erpressung durch Moskau zu verringern durch eine deutlich verstärkte | |
Förderung erneuerbarer Energien. So könne die EU stärker als bislang zur | |
Eindämmung des globalen Klimawandels beitragen. | |
US-Vizepräsident Biden hingegen empfahl den Europäern, sie sollten, „um | |
sich aus der Energieabhängigkeit von Moskau zu befreien“, künftig durch | |
Fracking gewonnenes Öl und Gas aus den USA einkaufen. Zudem sollten USA und | |
EU „jetzt umgehend das Freihandelsabkommen TTIP abschließen, um einen neuen | |
verlässlichen Grundpfeiler für die globale Ordnung zu schaffen“. Eine | |
Debatte zwischen Biden und Naidoo über diese unterschiedlichen Konzepte von | |
Ordnung und Sicherheit wäre spannend gewesen. Doch sie fand nicht statt. | |
Der US-Vizepräsident stellte sich nicht einmal Nachfragen des Publikums. | |
8 Feb 2015 | |
## LINKS | |
[1] /Lawrow-ueber-Ukraine-Konflikt/!154287/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Zumach | |
## TAGS | |
München | |
Sicherheitskonferenz | |
Ukraine | |
Russland | |
Kalaschnikow | |
Russland | |
Russland | |
Militär | |
Frank-Walter Steinmeier | |
Israel | |
Minsk | |
Münchner Sicherheitskonferenz | |
Ukraine-Krise | |
Ukraine-Konflikt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Putin in Ägypten: Kalaschnikow und Atomkraftwerk | |
Russlands Staatschef Putin besucht Ägypten. Im Gepäck hat er eine | |
Kalaschnikow – und die Zusage, das Land beim Bau eines Atomkraftwerks zu | |
unterstützen. | |
Kommentar Merkel in Washington: Vorbei an amerikanischen Realitäten | |
Merkel und Obama bemühen die transatlantische Einheit. Doch im Zweifel sind | |
innenpolitische Interessen der USA stärker. | |
Merkel in den USA: Plädoyer gegen die Falken | |
Die Bundeskanzlerin hält auch in Washington an ihrer Position fest – keine | |
Waffen in die Ukraine. US-Präsident Barack Obama bemüht positive Signale. | |
Militärexperte über den Ukrainekonflikt: „Im Kalten Krieg gab es das nicht�… | |
Wie sehen die Fronten in der Ukraine aus? Der russische Militärexperte | |
Alexander Golz über den Zustand beider Streitkräfte und mögliche | |
US-Waffenlieferungen an Kiew. | |
Krise in der Ukraine: Neue EU-Sanktionen auf Eis gelegt | |
Mehr Zeit für die Diplomatie: Die geplante Ausweitung der Sanktionen gegen | |
Russland und ukrainische Separatisten treten zunächst nicht in Kraft. | |
Münchner Sicherheitskonferenz: Bomben, Krisen, Terror und ein Eklat | |
Die Sicherheitskonferenz ist auch ein Ort ungewöhnlicher Begegnungen. Der | |
türkische Minister kam nicht. Er wollte keinen Israeli sehen. | |
Krieg in der Ukraine: Neuer Krisengipfel in Minsk geplant | |
In Weißrusslands Hauptstadt soll es einen zweiten Krisengipfel geben. Am | |
Mittwoch wollen sich Deutschland, Frankreich, Russland und die Ukraine | |
treffen. | |
Protest gegen Sicherheitskonferenz: „Weltkongress der Waffenhändler“ | |
Tausende demonstrieren gegen die Münchner Sicherheitskonferenz. Die Rufe | |
gegen die Nato sind laut, die Kritik an der Politik Russlands bleibt stumm. | |
Münchner Sicherheitskonferenz: Kalter Krieg gegenseitiger Vorwürfe | |
US-Vizepräsident Joe Biden reagiert auf Kritik des russischen | |
Außenministers Lawrow und macht Moskau verantwortlich für die Eskalation | |
des Ukraine-Konflikts. | |
Lawrow über Ukraine-Konflikt: Der Westen ist schuld | |
Russlands Außenminister Lawrow macht auf der Münchner Sicherheitskonferenz | |
den Westen für die Eskalation des Ukraine-Konflikts verantwortlich. |