# taz.de -- Kolumne Darum: „Ick bün al dor!“ | |
> Eher gründet die CSU eine digitale Niederlassung im Darknet als dass | |
> meine Mutter mikrobloggt, dachte ich. Und lag damit falsch. | |
Bild: Was für ein Macker: „Halt das Maul, Weib“, sagt der Igel im Märchen… | |
Die Zeiten, in denen ich meiner Familie in digitalen Dingen wie im | |
[1][Märchen „Der Hase und der Igel“] der Gebrüder Grimm [2][„Ick bün al | |
dor!“] zurufen konnte, sind längst vorbei. Foto- und Musiksoftware, Spiele | |
und nun auch Online-Netzwerke – die Kinder sind „al dor“, während ich no… | |
die Installationsanleitung, die Datenschutzbestimmungen [3][oder sonstige | |
Beiwerke] lese. | |
Zwar müssen die Kinder noch ein wenig warten, bis sie ihr eigenes | |
Facebook-Profil bespielen können. Aber das macht nichts. Bis dahin will | |
ohnehin niemand unter 30 mehr dort sein. Vor Jahren erzählte mir ein | |
Freund, seine damals 14-jährige Tochter hätte sich bei Facebook angemeldet, | |
dann aber gesehen, dass er, also der Vater, weitere Verwandte und sogar | |
Lehrer dort ein Profil haben. „Das ist ja ein Gammelfleischnetzwerk“, habe | |
sie gesagt und sich wieder abgemeldet. Was damals selten war, ist heute, | |
wie man hört, fast Standard. | |
Seit 2008 nutze ich Facebook, anfangs mehr, später weniger – auch der Chef | |
war irgendwann da, [4][ebenso meine Mutter.] Kleine Gags über die Arbeit | |
und das Elternhaus verboten sich damit, die Selbstzensur erstickte in der | |
Folge andere Kreativität. Wenn man nicht mehr so kann, wie man will, wird | |
das alles schnell fade. | |
Halb so wild, ich hatte ja noch Twitter und Tumblr. Vor allem Tumblr hielt | |
ich lange für eine sichere Sache. Eher gründet die CSU eine digitale | |
Niederlassung im Darknet als dass meine Mutter mikrobloggt, dachte ich. Und | |
lag damit falsch. Denn meine Mutter ist längst bei Tumblr. Meine Frau auch. | |
Meine Tochter sowieso. Sie haben, ohne dass ich es mitbekommen habe, ein | |
Tumblr-Familiennetzwerk errichtet. | |
## Weihnachts-Updates erstmals ohne mich | |
Genauer: Meine Tochter hat das getan. Sie bloggt gern und viel und damit | |
die Familie es erfährt, hat sie meiner Mutter, ihrer Großmutter, via | |
WhatsApp eine Anleitung zukommen lassen. Darüber wiederum schreibt ihre | |
Oma, meine Mutter, nun auf Tumblr und auch, wie sie sich freut, dass das | |
Enkelkind ihr das alles schön und einfach aus hunderten Kilometern | |
Entfernung erklärt hat. Meine Tochter reagiert auf diese Blogeinträge, was | |
wiederum meine Frau neugierig gemacht hat, sodass auch sie sich nun dort | |
rumtummmelt bzw. -tumblrt. | |
„Ick bün al dor!“, rufen nun also alle außer mir, der Tumblr kaum noch | |
nutzt. Und das ist schön. Statt mich wie einst an zu viel familiärer Nähe | |
zu stören, freue ich mich über die Gesellschaft. So relevant, interessant | |
und unterhaltsam wie die ewig währende Selbstanfeuerung diverser Piraten | |
auf Twitter und die Selbstvermarktung so mancher Journalistenkollegen auf | |
Facebook ist das allemal. | |
Gut daran ist auch: Wer einer Großmutter via WhatsApp den Zugang zu und die | |
Bedienung von Tumblr erklären kann, wird wohl in den Sommerferien vor Ort | |
auch alle onlinefähigen Geräte auf Stand bringen können – Updates des | |
Betriebssystems, des Browsers, des Mailprogramms, Virenschutz etc. Das war | |
bislang meine Aufgabe, wenn ich mal die Eltern besuchte. | |
Ich gebe sie gerne ab. Denn dann habe ich mehr Zeit für die Familie. Die | |
aber leider nicht verfügbar ist, weil sie sich mit Tumblr oder mit Updates | |
beschäftigt. Doch Hoffnung bleibt. Wie sagten es schon die Gebrüder Cree?: | |
„Erst wenn der letzte Post geschrieben, das letzte Profil eingerichtet und | |
das letzte Update fertig ist, werdet Ihr offline merken: 'Ick bün al dor!'“ | |
8 Mar 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-schonsten-kinder-und-hausmarchen-6248/… | |
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Hase_und_der_Igel#Inhalt | |
[3] /PC-Spiel-Civilization-Beyond-Earth/!149312/ | |
[4] /Facebook-nervt/!105859/ | |
## AUTOREN | |
Maik Söhler | |
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