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# taz.de -- Kolumne Darum: Der engste Raum der Welt
> Eigentlich ist der Flur gar nicht so klein – außer wenn sich vier Leute
> darin anziehen wollen. Mein Gefühl der Enge muss ein Wahn sein.
Bild: Kinder lieben Enge
So viel lässt sich gleich sagen: Zum Schreiben taugt er nicht. Statt wie
sonst am Schreibtisch verfasse ich meine Kolumne diesmal am Boden liegend.
Ich möchte vor Ort untersuchen, woher mein Wahn kommt, der mich seit Jahren
in einem bestimmten Raum unserer Wohnung befällt. Mein Wahn, unser kleiner
Flur sei der engste Raum der Welt.
Es muss ein Wahn sein. Ich habe öfter kleinere Räume gesehen und mich in
ihnen bewegt: Kellerräume, Besenkammern, Dixi-Klos. Und doch bleibt das
Gefühl, dass dieser 1,90 mal 1,75 Meter große und 2,58 Meter hohe Raum
enger ist als eine Bauarbeitertoilette.
1,90 Meter bedeutet: Ich kann gerade so ausgestreckt liegen. Der Rücken tut
weh, weil auf dem Laminat kein Teppich verlegt ist. Der Laptop drückt auf
den Bauch. Und das Gefühl der Enge ist da, anders als sonst, weniger stark.
Woran kann das liegen? Was ist anders?
Ich schaue mich um. Die Abmessungen haben sich nicht verändert. Vom Boden
aus gesehen sind die 2,58 Meter Raumhöhe beeindruckend. 8,5 Kubikmeter Luft
fasst der Raum, das ist nicht wenig. Auch die Grundfläche von 3,32
Quadratmetern ist ausreichend. Ich schaue genauer hin.
Da steht ein Schuhregal, 37 Zentimeter tief, 85 Zentimeter breit, 78
Zentimeter hoch. Das heißt, von der Grundfläche sind 0,31 Quadratmeter
verbaut. Hinzu kommen etwa 50 mal 80 Zentimeter für rausgefallene Schuhe,
also müssen weitere 0,4 Quadratmeter abgezogen werden.
## Empirische Forschung – wie gut
An zwei von drei Türen, durch die man den kleinen Flur in ein Bad, in die
Küche oder zur Wohnung heraus verlassen kann, hängen Jacken. Im Winter
mehr, im Sommer weniger. Es ist Winter, und sie nehmen nochmals je 30
Quadratzentimeter Raum in Anspruch. 3,32 minus 0,31 minus 0,4 minus zweimal
0,3 macht 2,01 Quadratmeter freie Fläche. Das ist nicht viel, aber immer
noch kein Grund, vom engsten Raum der Welt zu sprechen.
In was für einen Wahn habe ich mich hier reingesteigert? Wie gut, dass nun
empirische Forschung die Grundlagen des Wahns zunichtemacht. Ich atme auf.
Aber nicht lange. Ein Schlüssel scharrt im Schloss. Er öffnet die Tür – zur
Wohnung und zu meinem Wahn. Plötzlich ist da wieder die Vorstellung, wie es
in diesem Flur zugeht, wenn ich dort nicht allein herumliege.
Kinder lieben Enge. Anders ist es nicht zu erklären, warum sie nachts aus
ihrem eigenen Bett in ein anderes kommen, das für zwei Menschen gemacht
ist, in dem aber schon drei liegen, wenn sich der vierte noch reinquetscht.
Und es ist morgens zu beobachten, in unserem kleinen Flur, wenn zwei
Erwachsene und zwei Kinder gleichzeitig losmüssen.
Wenn sich vier Leute auf 3,32 Quadratmetern Jacken, Mützen Schals und
Schuhe anziehen, kommen sie sich ohnehin in die Quere. Wer in dieser
Situation aber seinen Schulranzen dort abstellt oder sich mit dem Ranzen
auf dem Rücken ständig im Kreis dreht und dabei womöglich auch noch seinen
Roller oder sein Fahrrad hin und her schiebt, darf sich nicht wundern, dass
mein Wahnsinn immer wieder ausbricht – werktags zwischen 7.30 Uhr und 7.35
Uhr im engsten Raum der Welt.
13 Jan 2015
## AUTOREN
Maik Söhler
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