# taz.de -- Die Wahrheit: Schießt Poeten ins All! | |
> Warum suchen die Raumfahrtbehörden eigentlich immer nur Wissenschaftler | |
> und Techniker fürs Weltall? Lasst Dichter hinauf zu den Sternen. | |
Bild: Warum will Trump da hin? | |
Die bemannte oder auch beweibte Raumfahrt boomt wieder. Das Deutsche | |
Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) sucht „händeringend“ Nachwuchs. Man | |
sieht es vor sich, wie sie in Darmstadt auf der Mathildenhöhe stehen, die | |
Hände ringen und Ausschau halten nach Ingenieuren, Piloten oder | |
Mechatronikern – immer mit der Aussicht auf: „3, 2, 1 … Zündung!“ Und … | |
ins All! | |
Es könnte allerdings ein Fehler sein, die Stellen vorzugsweise für | |
Werkstoff-, Energie- und Elektrotechniker auszuschreiben. Mag sein, dass | |
die wissenschaftliche Ausbeute sich sehen lassen kann. Um die literarische | |
oder lyrische Verarbeitung der Raumfahrt hingegen ist es schlecht bestellt. | |
Wenn jedes Kaff sich einen „Stadtschreiber“ leistet, ist es höchste Zeit | |
für einen Raumstationsschreiber. | |
Der könnte dann in einem abgeschotteten Modul der ISS hocken wie in einer | |
kosmischen Klause und einfach mal alles auf sich wirken lassen. Was der | |
Dichterblick durchs Bullauge entdecken würde? Einen Vorgeschmack gibt uns | |
Durs Grünbein, der auch ohne milliardenschwere Zuwendungen für seine Muse | |
Zeilen wie diese zuwege brachte: „Unter mir Wolken, die aussehn wie Wüsten, | |
/ Wüsten, die aussehn wie Meere, und Meere, / Den Schneewehen gleich, durch | |
die man streift.“ | |
Geschöpfe wie Peter Handke oder Martin Walser würden wohl erst einmal ihr | |
Autoren-Ich in Rotation versetzen, dann einen Satz hinhuschen und darüber | |
eine Woche nachdenken. Nicht auszuschließen wäre, dass Günter Grass auch | |
ganz oben von lyrischer Innerlichkeit ergriffen und „eine unbehinderte und | |
permanente Kontrolle des israelischen atomaren Potentials und der | |
iranischen Atomanlagen durch eine internationale Instanz“ fordern wird. | |
Hingegen wird sich die illusionslose Sibylle Berg selbst im All keine | |
Illusionen machen: „Wir werden alle sterben. Punkt.“ | |
## Nur Fachidioten im Kosmos | |
So geht das natürlich nicht. Bei einer Erzählperspektive aus immerhin 400 | |
Kilometern Höhe müsste mindestens möglich sein, das zuletzt arg | |
vernachlässigte Sujet der Landschaftsbeschreibung in ein neues, womöglich | |
sogar spektrales Licht rücken. Poetologisch unterbelichtet sind auch die | |
Möglichkeiten orbitaler Zwischenmenschlichkeiten. Wer läse nicht gern eine | |
Liebesszene von Michel Houellebecq, in der ein kettenrauchender | |
französischer Weltraumtourist eine willige Thai-Astronautin besteigt und | |
wie sein Ejakulat in der Schwerelosigkeit anschließend kleine weiße | |
Planeten bildet und noch kleinere weiße Monde … | |
Das muss man nicht mögen, wäre aber besser als alles, was wir bisher aus | |
Astronautenmund gehört haben. Die Erde sei „so klein, so blau, so rührend | |
einsam“ (Alexei Leonow), sehe „bei Nacht noch zauberhafter aus als am Tage�… | |
(Wladimir Schlatow), erinnere an eine „Christbaumkugel“ (James Irwin) und | |
sei „unsere Heimat“ (Edgar Mitchell). Wer nur Fachidioten ins Weltall | |
lässt, braucht sich über sprachloses Gestammel nicht zu wundern. Und | |
solange Nasa, Esa oder DLR keine Stellen für Poeten ausschreiben, kann von | |
einer Eroberung des Weltraums durch den Menschen keine Rede sein. | |
27 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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