# taz.de -- Die Wahrheit: Dick, fett und sexy wie Schweißfüße | |
> Die Gesellschaft weigert sich, schnaufende Anwärter auf Arthrose, | |
> Arteriosklerose oder Herzkasper als „awesome“ wahrzunehmen. | |
Bild: Auch dieses Bild würde Facebook wohl als „unerwünschte Darstellung“… | |
Ich weiß schon, dass es verletzend sein kann. Trotzdem denke ich manchmal: | |
„Herrgott, wie kann man nur so fett sein?“ Klar, freundlicher freilich | |
wäre: „Sieh an, eine starke Persönlichkeit mit extravaganten Rundungen, die | |
sich mutig heteronormativen Schablonen entzieht!“ Als spontaner Gedanke ist | |
mir das aber zu umständlich und euphemistisch. Erst recht beim Blick in | |
meinen Badezimmerspiegel. | |
Wenn ich nun aber meinen ausladenden Arsch ums Verrecken nicht aus dem | |
Sessel gewuchtet bekomme? Wenn ich längst vor den Kalorien kapituliert | |
habe? Dann muss ich mein Gewicht leicht nehmen, meine Fettsucht nicht mehr | |
infrage stellen und deren Folgen in Kauf nehmen. Kann ich machen. | |
Mit viel Disziplin und Geduld finde ich irgendwann auch die offenen Wunden | |
an den Innenseiten meiner aneinander reibenden Oberschenkel attraktiv. Nun | |
wurmt mich nur noch, dass mögliche Geschlechtspartnerinnen das bisweilen | |
anders sehen. Damit bin ich reif für die Offensive: „Mein Fett ist | |
politisch, weil es Leute so richtig sauer macht, wenn ich es zeige. Mein | |
Fett ist politisch, weil ich es behalte. Mein Fett ist politisch, weil es | |
verdammt sexy ist“. | |
Der Satz stammt von Virgie Tovar, Vordenkerin einer neuen Bewegung aus den | |
USA. Es ist eine Bewegung für Leute wie mich, die sich nicht gern bewegen: | |
„Fat Pride“ statt „Gay Pride“, eine Nachgeburt der Diskurse zu Gender, | |
Rassismus und Sexismus. Gibt’s auch in den Geschmacksrichtungen „Fat | |
Empowerment“, „Fat Acceptance“, „Fat Power“ oder „Fat Positivity“. | |
Die Gesellschaft weigert sich, schnaufende Anwärter auf Arthrose, | |
Arteriosklerose oder Herzkasper als „awesome“ wahrzunehmen? Dann sollte | |
diese feine Gesellschaft besser ihren Schlankeitswahn und ihre „Thin | |
Privileges“ überdenken. | |
Tadelnde Blicke bei McDonald’s? „Fat Shaming“! Allzu enge Sitze im | |
Flugzeug? Diskriminierung! Diät-Tipps besorgter Freunde? „Lookism“! | |
Zwickende Hosen bei H & M? Ausgrenzung! | |
Überall Normen, um Minderheiten auszugrenzen. Dabei sind wir Fetten fett | |
wie Schwarze schwarz und Schwule schwul. Einfach so. Und nicht etwa, weil | |
wir mehr Kalorien zu uns nehmen, als wir verbrauchen – ein typisch | |
biologistischer Fehlschluss, der von der soziologischen Avantgarde längst | |
widerlegt ist. Sondern weil eine neoliberale Turbogesellschaft uns | |
Mega-Mollige massiv stigmatisiert. Da gibt’s Studien. | |
In Deutschland ist jedes fünfte Kind übergewichtig? Aha, und wer definiert | |
„Übergewicht“? Eben. Fair wäre es, dicke Kinder in ihrem anarchischen | |
Drallsein zu bestärken, ihnen Diabetes schmackhaft zu machen. Stattdessen | |
wird ihnen eine „gesunde Ernährung“ aufgezwungen. | |
Ich bin guten Gewissens fett und fein raus. Demnächst mache ich meinen | |
Abschluss in „Fat Studies“. Eat this, motherfuckin’ society! Und wo du | |
gerade dabei bist: Meine Schweißfüße sind auch politisch. Weil es Leute so | |
richtig sauer macht, wenn ich die Schuhe ausziehe. Mein Gestank ist | |
politisch, weil ich nichts dagegen unternehme. Mein Schweißfüße sind | |
politisch, weil sie verdammt sexy sind. | |
30 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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