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# taz.de -- Die Wahrheit: Die Religion der Fußballisten
> Aufgeklärte Fußballfans, die trotzdem archaischen Ritualen frönen,
> vergessen, dass Gewalt auf und neben dem Platz Kern des Spektakels ist.
Bild: Nur er weiß, was in seinem Innern vorgeht: Francesco Schettino.
Bisher dachte ich immer, Fußball sei eine tolerante und friedliche
Religion. Fußball, dachte ich, existiere in Harmonie mit anderen
Glaubensrichtungen. Auch wenn seine Anhänger es sich nicht verkneifen
können, auf vergleichbares Gehampel wie Handball oder Volleyball mitleidig
herabzuschauen.
In Sure 23 heißt es: „Er ist Sport, außer dem es keinen Sport gibt. Er ist
der hochheilige König, dem das Heil innewohnt. Er ist es, der Sicherheit
und Gewissheit gibt, der Mächtige, Gewaltige und Stolze. Fußball sei
gepriesen!“ Regelmäßig besuchen die fußballfürchtigen Gläubigen ihre
Gottesdienste in Stadien: „Und ihr Gebet beim Haus ist Pfeifen und
Klatschen“ (Sure 8).
Ganz offensichtlich aber hat der Fußball ein Gewaltproblem. Und das nicht
erst, seit 6.000 Hooligans „mehrheitlich friedlich“ die Innenstadt von Köln
in Schutt und Asche gelegt haben. Nein, die Gewalt gehört zum Fußball wie
der Fußball zu Deutschland. Was selbstverständlich längst nicht für alle
Fußballgläubigen gilt.
Ich kenne mich aus, einige meiner besten Freunde sind welche. Fans von
Mainz, Wolfsburg oder München, die sich für aufgeklärt halten und dennoch
von den archaischen Ritualen nicht lassen können. In ihrer Bequemlichkeit
machen sie sich vor, die Gewalt auf und neben dem Platz sei ein „Auswuchs“
ihrer ansonsten fairen bis barmherzigen Religion. Dabei ist sie ihr Kern.
Kein Wunder, dass diese Gewalt gerade jetzt aus dem Stadion ausbricht.
Gesellschaftliche Grabenkämpfe sind eben auch Grabenkämpfe. Und Freunde des
Ersten Weltkriegs wissen, dass sich aus dem Graben keine Gebietsgewinne
machen lassen. Die Infanterie hockt dumpf in ihren Unterständen, während
die gegnerischen Gesinnungsgeschütze einander beharken. In Leitartikeln
oder Talkshows tobt ein lähmender Meinungsstellungskrieg wie weiland 1915,
als Oberstleutnant Willy Rohr den Stoßtrupp erfand. Damit brachte er wieder
Bewegung in den Krieg und verhalf nebenbei dem Fußball zu seinem Siegeszug.
Rohrs legendäres „Sturm-Bataillon Nr. 5“ war ein effizientes und
dizipliniertes Team von Spezialisten am Maschinengewehr, Minen- und
Flammenwerfer. Mithilfe konsequenten Pressings und der richtigen mentalen
Einstellung sollte das zweikampfstarke Team rechtzeitig seine Leistungen
abrufen und die Lücken in der gegenerischen Abwehr durchbrechen. Und fortan
war nicht mehr Schwimmen, Rudern oder Klettern angesagt. Offizieller
Wehrsport wurde das Fußballspiel, dem sogar „die Offiziere sich
anschließen“, wie die französischen Spione staunten.
Schließlich ging es um „Kameradschaft“ und darum, „an die Stelle der Mas…
die Elite zu setzen“, wie SS-Obergruppenführer Felix Steiner 1939 betonte.
Es ist „die Idee der Spontaneität, des schnellen Angriffs“, mit der allein
sich die Verhältnisse auf dem Schlachtfeld, dem Platz oder im
gesellschaftlichen Diskurs aufbrechen lassen. Ist so. Steht alles bei
Friedrich Kittler.
Ich will nicht fußballophob klingen. Aber ich finde, dass moderate Fans
sich deutlicher von ihren radikalen Glaubensgenossen distanzieren sollten.
31 Oct 2014
## AUTOREN
Arno Frank
## TAGS
Fußball
Hooligans
Koran
Costa Concordia
Ausgrenzung
Schwerpunkt Rassismus
Flughafen
Schusswaffen
Israel
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