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# taz.de -- Video- und Bloggerszene in Ägypten: „Hier gibt es keine Gerechti…
> Die FilmemacherInnen Jasmina Metwaly und Philip Rizk kritisieren mit
> ihren Arbeiten Ausbeutung und Korruption in Ägypten. Das ist gefährlich.
Bild: Regierungsgegner und Polizei auf einer Demo in Kairo.
Konzentriert stehen die beiden auf der Bühne in Berlin, in ihren Augen
liegt ein tiefer Ernst. Philip Rizk und Jasmina Metwaly haben gerade über
die Macht der Bilder während der ägyptischen Revolution gesprochen und dazu
ihre Videos gezeigt: blutende Schusswunden, mit Steinen und Gaskartuschen
übersäte Straßen, zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit. Nun beantworten
sie die Fragen des Publikums. Rizk und Metwaly haben keinen Platz für
Ironie oder ein Lächeln, denn ihre Botschaft ist Sprengstoff für die
ägyptische Regierung: „Die Revolution wird wiederkommen“, sagt Rizk, „sie
ist wie eine Welle, die alles wegspült und niemanden unberührt lässt.“
Solche Aussagen sind riskant im derzeitigen Ägypten. Auch wenn sie im
fernen Deutschland während der Berlinale getätigt werden. Auf dem
Filmfestival haben Jasmina Metwaly und Philip Rizk, beide 32, im Februar
ihre Dokumentation „Out on the Street“ vorgestellt. Darin zeigen sie die
von Ausbeutung und Korruption begleitete Abwicklung einer Stärkemehlfabrik
in Helwan, einem Arbeitervorort von Kairo. Allerdings indirekt, auch aus
Sicherheitsgründen: Die Regisseure luden zehn Laienschauspieler zu einem
Theaterworkshop ein und ließen sie die Rollen der Arbeiter spielen.
Wenn einer der Akteure mit bebender Stimme schildert, wie er von einem
ruppigen Beamten auf das Polizeirevier gebracht wird und dort ohne Anklage
bis zum Abend ausharren muss, stellt sich dem Zuschauer unweigerlich die
Frage: Schauspielert der so gut? Oder hat er so etwas gar schon selbst
erlebt, mit einem anderen Beamten, in einer ähnlichen Polizeistation?
Durch die wenigen Requisiten und eine teils wacklige Videoästhetik tritt
der Kampf der Arbeiter noch stärker in den Vordergrund: „Es geht immer um
Ausbeutung und systematische Korruption, um die Auswirkungen eines
Kapitalismus, der sich immer tiefer in das Leben der Menschen einschreibt“,
erklären Rizk und Metwaly. Wer wie die beiden über soziale Ungerechtigkeit
in Ägypten spricht, befasst sich stets auch mit einem weiteren Thema – dem
Militär, das Land und Leute in seinem eisernen Griff hält. Der
Militärapparat kontrolliert die Wirtschaft des Landes am Nil, er unterhält
zahllose Fabriken für militärische und zivile Güter, Tankstellen und sogar
Bäckereien. Je nach Schätzung machen die Firmen des Militärs bis zu 30
Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung aus.
Die kritischsten Stimmen unter den ägyptischen Aktivisten sammelten sich
lange Zeit bei „Mosireen“, einem 2011 gegründeten Video- und
Bürgerjournalistenkollektiv. Auch Jasmina Metwaly und Philip Rizk sind Teil
des Kollektivs. Metwaly hat eigentlich einen künstlerischen Hintergrund,
Rizk arbeitete vor der Revolution journalistisch.
## Regime im Nacken
Sie besorgten sich eine Kamera und fingen an, die Übergriffe auf
Demonstrationen zu filmen, um zu beweisen, wie aus den Reihen der Polizei
scharf geschossen wurde. Eine gefährliche Arbeit: Den berüchtigten „eye
sniper“, den Scharfschützen, der im November 2011 in der Kairoer
Mohamed-Mahmoud-Straße bewusst auf die Augen der Demonstranten zielte,
verstanden sie als direkten Angriff auf Mosireen. Das Regime ist sich der
Kraft der Bilder, der sehenden Augen, sehr wohl bewusst.
Die Regierung und das Militär als Garant der Macht sind stark in den
Strukturen der Mubarak-Zeit verhaftet. Um die alte Ordnung
wiederherzustellen, ist es aus ihrer Sicht notwendig, die Revolution vom
25. Januar 2011 umzudeuten: Das Militär habe stets im Hintergrund die Fäden
gezogen, schließlich wisse es am besten, was das Volk braucht.
Dagegen wenden sich die Aktivisten von Mosireen und veröffentlichen Videos
und Bilder aus den Tagen der Revolution. Der Polizeistiefel, der das
berühmt gewordene „Mädchen im blauen BH“ brutal in die Brust tritt,
Folterungen im Ägyptischen Museum, Jungfräulichkeitstests – alles reale
Verbrechen, die das Militär begangen oder zumindest geduldet habe, sagen
die Aktivisten.
Doch der Kampf ist mühsam. „Die aktuelle Situation ist schlimmer als zu
Mubaraks Zeiten, es gibt viel mehr Folter und Gewalt“, erklärt Philip Rizk.
Das Narrativ des Regimes ist simpel: Die terroristische Muslimbruderschaft
bedrohe das Land, und nur das Militär könne für Stabilität und Sicherheit
sorgen.
Grundrechte wie Versammlungs- und Medienfreiheit ordnet die Regierung dabei
dem „war on terror“ unter, den sie in den ägyptischen Kontext übersetzt u…
dramatisch verschärft hat. Mosireen als Kollektiv wendet sich gleichermaßen
gegen das Militär und die Muslimbrüder: Die einen wollten die alten
Strukturen zurück, die anderen das Land mit religiösen Vorschriften
überziehen. Machtversessen seien sie beide. Auf eine konkrete politische
Agenda lassen sich die Aktivisten dabei nicht ein – sie sind
Basisdemokraten, die ihre Aufgabe vor allem darin sehen, den Ägyptern die
Teilhabe am öffentlichen Diskurs zu ermöglichen. Deshalb bieten sie Film-
und Videoworkshops an, kostenlos und auch außerhalb der großen Städte.
## Gesetze gegen Proteste
Der kritische Ansatz der Mosireen-Aktivisten war häufig sehr direkt und
radikal. Doch eine unausgesprochene Grenze wurde kürzlich von anderen
übertreten: Ramy Essam, der auf dem Tahrirplatz berühmt gewordene „Sänger
der Revolution“, und der international gefeierte Künstler und Grafiker
Ganzeer haben aus dem sicheren Ausland ein Musikvideo veröffentlicht, das
offen zur Gewalt aufruft: „Wenn die Maßstäbe der Justiz auf den Kopf
gestellt sind, kann die Ehre nur mit Blut wiedergewonnen werden; wenn
Steinewerfen nicht länger etwas bringt, ergeben Gewehre mehr Sinn.“
Ganzeers Kunst ist in dem Mitte 2014 erschienenen Buch „Walls of Freedom“
abgebildet, das die Geschichte der ägyptischen Revolution durch Werke der
Street-Art-Künstler erzählt. Vor wenigen Tagen hat der ägyptische Zoll 400
Exemplare des Buchs beschlagnahmt, weil es laut Ministerium „zur Revolte
aufhetzt“.
Künstlern und Aktivisten erscheint das als pure Willkür. Philip Rizk erfuhr
die Unberechenbarkeit der Machthaber schon Anfang 2009, als er nach einer
Pro-Gaza-Demonstration verhaftet wurde. Nach vier Tagen kam er wieder frei,
auch weil er einen deutschen Pass besitzt. Auch seine Filmpartnerin Jasmina
Metwaly hat eine zweite Nationalität, die polnische. „Das machte einen
großen Unterschied, andere Leute kamen damals erst nach mehreren Wochen
frei“, sagt Rizk. „Jetzt ist das anders, das zeigt der
Al-Dschasira-Prozess, in dem auch ausländische Journalisten über ein Jahr
festgehalten wurden. Alles ist im Moment in Ägypten ein Risiko.“
Vor allem demonstrieren: Seit Ende November 2013 ist ein drakonisches
Protestgesetz in Kraft. Nur Tage zuvor war Philip Rizk noch auf der Straße
und protestierte gegen die unter Präsident al-Sisi wieder aufgenommene
Praxis, Zivilisten vor Militärgerichten den Prozess zu machen. „Die Leute,
die bei diesem Protest eingesperrt wurden, haben allesamt 15 Jahre
bekommen.“
Unter anderem Alaa Abdel Fattah, ein prominenter Blogger und Aktivist für
Menschenrechte, der unter fast jeder Regierung im Gefängnis saß.
Mittlerweile wurde er zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Das
Mosireen-Kollektiv schildert den Prozess, der Abdel Fattah und den anderen
24 Angeklagten gemacht wurde, in einem neuen Video. Darin heißt es: „Der
Prozess ist ein deutliches Beispiel für die Verquickung von Polizei,
Staatsanwaltschaft und Gericht. Monate und Jahre werden diesen jungen
Leuten gestohlen, weil es keine Gerechtigkeit in unserem Land gibt.“
Noch ist solche direkte, unmissverständliche Kritik möglich, wenn auch nur
in Internetvideos – und vielleicht nicht mehr lange. Der ägyptische Staat
hat sich laut Medienberichten bereits nach Technik zur Onlineüberwachung
umgehört. Trotzdem, meinen Philip Rizk und Jasmina Metwaly, habe die
Revolution von 2011 die Menschen gedanklich freier gemacht. Das müsse der
Staat endlich akzeptieren. „Was man in den Medien nicht sieht: Die Demos
gehen weiter, vor allem in den ärmeren Vierteln. Und diese Proteste werden
immer angegriffen, jeden Freitag sterben da Menschen. 90 Prozent der
Bevölkerung haben täglich Probleme, Brot auf den Tisch zu bekommen. Das
wird irgendwann explodieren.“
4 Mar 2015
## AUTOREN
Christopher Resch
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