| # taz.de -- Ohne Ticket im Nahverkehr: Schwarzfahrer auf Schleichwegen | |
| > Statt mit Fahrschein sitzen sie mit großen Schildern in Bus und Bahn. | |
| > Darauf steht: „Ich fahre schwarz“. Kann jemand, der so ehrlich ist, | |
| > verurteilt werden? | |
| Bild: Das nehmen sie beim Wort. | |
| BERLIN taz | Lässt sich etwas erschleichen, das gar nicht erschlichen wird? | |
| Wenn Dirk Jessen in einen Zug steigt, kann man ihm eines zumindest nicht | |
| vorwerfen: dass er sich seine Freifahrt besonders hintertückisch | |
| erschlichen hätte. Im Gegenteil: Um entspannt, kostenlos und fahrscheinfrei | |
| schwarzzufahren, trägt Jessen extra ein eigenes Schild bei sich. Darauf | |
| steht „Ich fahre schwarz“. Und jetzt ist die Frage: Ist der Mann, den | |
| Boulevardmedien gern zu „Deutschlands dreistesten Schwarzfahrern“ zählen, | |
| nun also schwarzgefahren oder nicht? | |
| Um diese Frage geht es in dieser Woche gleich mehrfach vor deutschen | |
| Gerichten. Denn um für einen fahrscheinlosen öffentlichen Nahverkehr | |
| einzutreten, ist es unter einigen Aktivistinnen und Aktivisten inzwischen | |
| wieder zum Sport geworden, laut und deutlich schwarzzufahren. So hat etwa | |
| die Projektwerkstatt Saasen, ein anarchistisches Aktivistenkollektiv in | |
| Hessen, für diese Woche zu verschiedenen Schwarzfahraktionen aufgerufen. | |
| Hintergrund ist erstens eine (nicht ganz neue) politische Kritik und | |
| zweitens eine juristische Spitzfindigkeit. Denn weil der Paragraf 265a im | |
| Strafgesetzbuch das „Erschleichen“ unter Strafe stellt, argumentieren die | |
| Aktivistinnen und Aktivisten genau umgekehrt: Es könne schließlich nicht | |
| von Erschleichen die Rede sein, wenn die Schwarzfahrer mit großen Schildern | |
| ganz bewusst auf sich aufmerksam machten. | |
| Was sie aber eigentlich antreibt: dass die Mobilitätskosten im öffentlichen | |
| Nahverkehr insbesondere für Arbeitslose und Geringverdiener zu hoch seien. | |
| Für ein Konzept eines fahrscheinlosen Nahverkehrs, der etwa | |
| steuerfinanziert organisiert sein könnte, hatte zum Beispiel die | |
| Piratenpartei immer wieder geworben. Auch argumentieren die AktivistInnen, | |
| dass die ökonomischen Folgekosten der Schwarzfahrerverfolgung | |
| unverhältnismäßig hoch seien: die Gefängnisse zu voll mit Schwarzfahrern, | |
| die Gerichte unnötig überlastet – und überhaupt, all die teuren und | |
| wartungsanfälligen Fahrscheinautomaten, die niemand bräuchte, wenn es erst | |
| gar keine Tickets mehr gäbe. | |
| Zumindest eines stimmt: Dass das Schwarzfahren in Deutschland als Straftat | |
| geahndet wird, sorgt vor deutschen Gerichten seit jeher für regen | |
| Dauerbetrieb. Die Rechtsprechung ist allerdings uneinheitlich. | |
| Im Fall von Dirk Jessen hatte ihn ein Gericht in erster Instanz zu einer | |
| Strafzahlung von 500 Euro verurteilt – bei einem materiellen Schaden von | |
| 5,20 Euro. Das Gericht argumentierte: Gerade weil Jessen so dreist sei, | |
| müsse eine besondere Abschreckungswirkung her. Hiergegen war Jessen | |
| juristisch vorgegangen. Das Landgericht München hob das Urteil nun in | |
| zweiter Instanz auf – und stellte das Verfahren gegen eine Geldauflage von | |
| 40 Euro ein. Jessen bedankte sich – und fuhr fahrscheinfrei nach Hause. | |
| Auch in Gießen stehen diese Woche verschiedene Termine in Sachen | |
| Schwarzfahren an. Dort stand am Dienstag der notorische Schwarzfahraktivist | |
| Jörg Bergstedt vor Gericht, am Freitag hat er dort gleich noch einen | |
| zweiten Prozesstermin. Bergstedt sammelt Ticket-Knöllchen wie andere | |
| Menschen Briefmarken. Die An- und Abfahrt in Gießen gestalteten er und | |
| seine BegleiterInnen am Dienstag wieder schwarzfahrerisch – und ließen sich | |
| dabei auch ganz bewusst erwischen. Ziel erfüllt: Für weitere Prozesse ist | |
| gesorgt. | |
| 3 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Kaul | |
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