# taz.de -- Wissenschaftler über Dschihadisten: „Ein Glaube, der unmoralisch… | |
> Sind Dschihadisten Unmenschen? Sie stehen fern zivilisierten Verhaltens, | |
> doch glauben selbst, moralisch zu handeln, sagt George Joffe. | |
Bild: Deutsche Kämpfer nach ihrer „Ausbildung“ zu Gotteskriegern | |
taz: Herr Joffe, sind die Kämpfer des Islamischen Staates Barbaren? | |
George Joffe: Sie haben ihren eigenen speziellen Wertekodex, der für sie | |
rechtfertigt, was sie tun. Es gibt also einen Rahmen, in dem sie operieren. | |
Dennoch ist ziemlich klar, dass ihre Taten in jeder anderen zivilisierten | |
Gesellschaft absolut unakzeptabel wären. Sie stehen außerhalb dessen, was | |
als zivilisiertes Verhalten gilt. Ohne ihre Taten entschuldigen zu wollen: | |
Sie wollen das Verhalten replizieren, das der Westen lange gegen Muslime | |
gezeigt hat. | |
Sie sehen sich als Rächer? | |
Vor allem als Befreier. Sie glauben, die wörtliche Interpretation des Islam | |
durchzusetzen, wie sie der Prophet Mohammed im sechsten Jahrhundert | |
verkündet hat. Die Mehrheit der Muslime hält das für eine falsche | |
Interpretation ihrer Religion, aber der Islamische Staat steht für eine | |
mächtige Minderheit. Das Recht, den Islam so zu interpretieren, nimmt | |
übrigens auch Saudi-Arabien für sich in Anspruch. Der Islamische Staat | |
setzt diese Sicht noch konsequenter um. | |
Junge Männer sind früher schon in den Krieg gezogen, weil sie eine Sache | |
für gerecht hielten. Haben die Krieger des IS und die Männer, die ab 1936 | |
in den linken Internationalen Brigaden gegen den spanischen General Franco | |
gekämpft haben, etwas gemeinsam? | |
Ich wäre mit solchen Vergleichen vorsichtig. Die romantische Verklärung mag | |
bei manchen ähnlich sein, der Wunsch, eine bessere Welt zu schaffen, aber | |
das ließe sich auch für die sagen, die vor 50 oder 60 Jahren in den | |
algerischen Unabhängigkeitskrieg gezogen sind. Der IS hat allerdings eine | |
Weltsicht, die in jeder Hinsicht zutiefst intolerant, repressiv und | |
inakzeptabel ist. Deshalb ist es umso wichtiger zu verstehen, warum | |
Menschen, die glauben moralisch zu handeln, sich derart unmoralisch | |
verhalten. | |
Vielleicht erscheinen uns die Taten nur hier im Westen unmoralisch. | |
Nein. Es wäre schwer zu leugnen, dass es gewisse grundsätzliche Prinzipien | |
der Moral gibt, die unabhängig vom kulturellen Hintergrund gelten. Wir alle | |
wollen ein gutes Leben haben, wir hätten gern die Einrichtungen, die ein | |
solches Leben möglich machen, und wir wollen gleichwertig mit anderen | |
Menschen behandelt werden. Deshalb sind politische Glaubensbekenntnisse, | |
die die Möglichkeit eines solchen Lebens verneinen und die einen selbst zum | |
Opfer machen, per Definition unmoralisch. | |
Ist der Begriff Barbar nützlich, um zu zeigen, dass sich jemand außerhalb | |
der Regeln eines zivilisierten Miteinanders stellt? | |
Der Begriff nützt derzeit vor allem Leuten im Westen, um den Islam zu | |
dämonisieren. Und zwar vor allem denen, die säkulare Positionen vertreten. | |
So werden wir aber nie verstehen, warum Menschen die Welt so sehen wie der | |
Islamische Staat und weshalb so viele diese Organisation unterstützen. Wenn | |
wir nicht zur Kenntnis nehmen, dass Muslime in bestimmten Regionen der Welt | |
sich immer wieder als Opfer westlicher Aggression wahrnehmen, über | |
Jahrzehnte, Jahrhunderte, werden wir nie begreifen, warum sie eine so | |
gewalttätige Sicht auf Werte entwickelt haben, die wir als vernünftig und | |
zivilisiert ansehen. | |
21 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Bastian Fernandez | |
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