# taz.de -- Analyse des Terrorismus: Muttersöhnchen und „innere Opfer“ | |
> Der renommierte Psychoanalytiker Arno Gruen liefert eine sehr verkürzte | |
> Erklärung der Morde von Paris. Es ist eine Ansammlung von Banalitäten. | |
Bild: Terrorist aus Paris: Die Globalisierung und die Mütter sollen schuld sei… | |
Vorneweg: Mit der Publikation dieses Büchleins haben sich Autor und Verlag | |
keinen Gefallen getan. Der vorliegende, bereits 2002 unter anderem Titel | |
publizierte, aktualisierte Essay wird weder den Ansprüchen des auf | |
psychoanalytische Literatur spezialisierten Klett-Cotta Verlags noch dem | |
Renommee seines Autors gerecht. Arno Gruen, Jahrgang 1923, hat als | |
emigrierter deutscher Jude, US-amerikanischer Staatsbürger und | |
Psychoanalytiker eine Reihe grundlegender Arbeiten zur Tiefenpsychologie | |
persönlicher Identität und den psychosozialen Bedingungen menschlicher | |
Autonomie verfasst. | |
Nun haben er und sein Verlag einen Essay recycelt, in dem Gruen vor mehr | |
als zwölf Jahren, nach dem massenmörderischen Angriff auf die Twin Towers, | |
den schon damals unzulänglichen Versuch unternommen hat, die Ursachen | |
dieser Verbrechen zu erklären und praktische Konsequenzen zu ihrer | |
künftigen Verhinderung zu entfalten. | |
Indes: Die sehr kurzen, geläufig geschriebenen Kapitel lesen sich wie eine | |
Ansammlung von Sottisen und Banalitäten, die sich kein Drehbuchschreiber, | |
der linke Stammtische charakterisieren wollte, treffender hätte ausdenken | |
können. So verblüfft schon der erste Satz der Kapitels „Der Terrorismus“ … | |
seiner inneren Widersprüchlichkeit: „Terrorismus gab es schon immer, weil | |
unsere Zivilisation ihn fördert.“ „Schon immer“ – also seit der | |
Menschwerdung des Affen? Aber wenn nicht, welches genau ist dann „unsere | |
Zivilisation“? Gruen hält es nicht für nötig, das zu erläutern. | |
Seine Diagnose sowohl der Twin-Tower-Attentäter als auch der jugendlichen | |
Dschihadisten aus den französischen Vorstädten identifiziert zwei | |
Ursachenkomplexe: hier die Globalisierung, dort verwöhnende Mütter. So ruft | |
er zum Kampf gegen einen „wirtschaftlichen Primat“ auf, der sich | |
ausschließlich an Profit und Wettbewerb orientiert“. Gehe doch schon die | |
von Karl Marx analysierte Globalisierung über die Bedürfnisse der Menschen | |
hinweg, nehme ihnen ihre persönlichen und wirtschaftlichen Grundlagen und | |
wecke so das „innere Opfersein“. | |
## Der Globalisierung Einhalt gebieten | |
Der kapitalismuskritischen Diagnose folgt eine im engeren Sinn | |
psychologische – soll man das wirklich „psychoanalytisch“ nennen? – The… | |
„Die selbstmörderischen Terroristen haben“, so Gruen unter Bezug auf den | |
Autor Ronald Sampson, „eine Muttergeschichte“: Es geht um verwöhnende | |
Mütter, „die in einer Männerwelt unterdrückt und verachtet werden, denen | |
weder Ehrgeiz noch Kreativität zugestanden werden und die deshalb bestrebt | |
sind, ihre eigenen Bedürfnisse nach Selbstbestimmung und Anerkennung durch | |
ihre Kinder zu verwirklichen“. Damit ist klar, wie die Demokratie zu retten | |
ist: durch einen Erziehungsstil, der Kinder auf keinen Fall verwöhnt, sie | |
dafür umso liebevoller annimmt, sowie durch eine Politik, die der | |
Globalisierung Einhalt gebietet. | |
All dies ist dem Autor gewiss, ohne eine einzige detaillierte | |
Fallgeschichte – stets die Stärke der Psychoanalyse – beziehungsweise eine | |
einzige entwicklungssoziologische Studie oder wenigstens Statistik zu | |
präsentieren. Dass die von ihm verteidigte Demokratie eine politische | |
Ordnung ist, also ein Ensemble von Regeln und Normen darstellt, scheint | |
seinem therapeutischen Blick ebenfalls entgangen zu sein: „Das Bedürfnis | |
nach Strukturen ist kennzeichnend für Menschen, die kein eigenes Selbst | |
haben.“ | |
13 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Micha Brumlik | |
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