| # taz.de -- Psychoanalytikerin über Fremdes: „Widersprüche muss man aushalt… | |
| > Der Andere stellt jeden von uns durch sein Anderssein infrage, sagt die | |
| > Aachener Psychoanalytikerin Monika Huff-Müller. | |
| Bild: Offen sein für das Unbekannte: Flüchtling unter dunklen Wolken | |
| taz: Frau Huff-Müller, Sie haben auf dem Psychoanalytikerkongress in Berlin | |
| einen Vortrag über Fremdheitstoleranz und Ambivalenzfähigkeit gehalten. Was | |
| hat die Psychoanalyse zur derzeitigen Debatte über Flüchtlinge beizutragen? | |
| Monika Huff-Müller: Mit den Flüchtlingen aus Syrien erlebten wir zunächst | |
| eine Begrüßungskultur, die schnell in eine Ablehnung umschlug. Hier zeigen | |
| sich Elemente, die uns aus der psychoanalytischen und psychotherapeutischen | |
| Forschung und Arbeit bekannt sind. Begegnungen mit Menschen, verstärkt mit | |
| Menschen aus anderen Kulturen, haben immer zwei Seiten. Es geht zum einen | |
| darum, die Menschen zu verstehen, sich einzufühlen, empathisch zu sein. | |
| Andererseits gibt es auch viel Befremdliches. Diesen Aspekt des Befremdens | |
| muss man annehmen, ernst nehmen und sich damit beschäftigen. Nur so kann | |
| ich eine Beziehung aufbauen. In diesem Sinne brauchen wir neben der | |
| Begrüßungskultur auch eine Befremdungskultur. | |
| Was heißt das für die konkrete Arbeit? | |
| Entheimatete und traumatisierte Flüchtlinge stellen Therapeuten vor neue | |
| Herausforderungen. Der Analytiker ist gefordert, mehr über den | |
| gesellschaftlichen Hintergrund seines Analysanden zu erfahren. | |
| Muss er nun Kulturwissenschaftler werden? | |
| Nein, aber er muss Fragen stellen und sich auseinandersetzen mit der | |
| anderen Kultur. Die psychoanalytische Methodik sollte um den Aspekt einer | |
| kulturellen Empathie, aber auch um den Aspekt der kulturellen | |
| Differenzierung erweitert werden. Beide Aspekte sind die Voraussetzung, um | |
| einen Umgang mit Fremdheit und Differenz zu entwickeln. Der andere stellt | |
| jeden von uns durch sein Anderssein infrage. In der therapeutischen | |
| Beziehung muss der Analytiker das Fremde beständig im Blick haben. Dabei | |
| findet er Modelle für den Umgang mit dem Fremden und dem Nichtwissen. | |
| Fremdheit produziert häufig Angst, Abwehr. Wie geht der Therapeut damit um? | |
| Allein schon die Erfahrung des Fremden ist ambivalent. Die Begrüßungskultur | |
| weist darauf hin, dass wir ein angeborenes Gemeinschaftsgefühl haben, das | |
| eine Grundlage von Beziehung und Bindung darstellt. Wir sind zur Annahme | |
| befähigt. Gleichzeitig löst das Unbekannte Angst aus. Diese Angst braucht | |
| erst mal einen Platz genauso wie die Fremdheit. Mit Angst kann man nicht | |
| lieben, mit Angst kann man keine Gemeinschaft halten, Beziehungen pflegen | |
| oder Freundschaften schließen. Angst ist antisozial. Mit Angst kann man nur | |
| hassen, wüten, ablehnen oder sich zurückziehen. Angst ist ein Killervirus | |
| des Gemeinschaftsgefühls. Aber wir erleben ja gerade in unseren Therapien, | |
| dass Menschen irrational, spaltend und ängstlich sind und durch den | |
| therapeutischen Prozess ambivalenzfähig, regulierend und mutig werden | |
| können. | |
| Das heißt Änderung ist möglich, aber was kann man aus der Psychoanalyse | |
| verwenden, um gesellschaftlich verfestigte Bilder und Vorurteile gegenüber | |
| Fremdheit aufzulösen? | |
| Wir können in unseren westlichen Gesellschaften eine Entwicklung zum | |
| Autoritären beobachten. Die Attraktion des Autoritären entsteht aus der | |
| Unfähigkeit, Differenz und Ambivalenz zu ertragen. Diese Unfähigkeit führt | |
| zu Spaltungsmechanismen und ähnlichen unreifen Abwehrmechanismen. Lieber | |
| Regression als Chaos. Lieber aggressive gekränkte Zurückweisung als | |
| differenziertes Betrachten. Spaltungen aufzulösen ist ein Ziel der | |
| Psychoanalyse. | |
| Was bedeutet es, Ambivalenz zu ertragen? | |
| Ambivalenz kann als Fähigkeit beschrieben werden, das bewusste Wahrnehmen | |
| von Konflikten zu tolerieren und auszuhalten, mich selbst und den anderen | |
| in seinen guten und schlechten Eigenschaften wahrzunehmen. Es gilt | |
| auszuhalten, dass meine Sicht der Welt nicht geteilt wird, und sie trotzdem | |
| nicht aufzugeben. Ambivalenz impliziert, dass das Subjekt sich der | |
| miteinander in Konflikt liegenden aggressiven, rivalisierenden, | |
| selbstbehauptenden und abhängigen Anteile seiner selbst und des anderen | |
| bewusst wird. Motive sollen nicht abgespalten, projiziert, verleugnet oder | |
| verdrängt werden. | |
| Beispielsweise Konflikte, die durch andere Wertvorstellung entstehen? | |
| Integrationsprozesse sind immer von der Fähigkeit, Widersprüche | |
| auszuhalten, abhängig und Konfliktfähigkeit bedeutet eben auch die | |
| Fähigkeit, mit Kränkungen umzugehen. Und zwar auf beiden Seiten. | |
| Ambivalenz als eine Fähigkeit, die Menschen in ihren guten und negativen | |
| Eigenschaften wahrzunehmen und zu ertragen? | |
| Dies ist eine große Errungenschaft der Psyche und signalisiert ein starkes | |
| Ich. Ambivalenzfähigkeit ist zentrales Ziel in einer Psychotherapie: Dieser | |
| Prozess hat eine affektregulierende Zivilisiertheit zum Ziel. | |
| Spannungszustände auszuhalten, sie zu regulieren, das wäre ein | |
| Reifungsprozess im Gegensatz zur regressiven kindlichen Abwehr. So können | |
| auch Wertekonflikte ausgetragen werden. | |
| Psychoanalyse also nicht als die Wissenschaft vom Verdrängten, sondern als | |
| Entwicklungspotenzial? | |
| Es geht immer noch um Verdrängtes, da es immer um die Bearbeitung des | |
| Unbewussten geht. Für viele gilt die Psychoanalyse als überholt, weil man | |
| den Beginn der Psychoanalyse um 1900 im Blick hat. Aber auch wenn es viele | |
| verwundert, die psychoanalytische Methode verändert sich analog zu den | |
| gesellschaftlichen Realitäten. Zu Freuds Zeiten kämpfte das Individuum | |
| primär mit Trieb-Gewissenskonflikten. Sexualität ist heute oft nicht mehr | |
| der Knackpunkt. Wir sind heute viel eher damit konfrontiert, dass Patienten | |
| Entwicklungsschritte nicht vollziehen. Sich aus dem Elternhaus zu lösen und | |
| eine eigene Identität zu finden, eine bedeutsame Bindung einzugehen oder | |
| ein Gefühl für den eigenen Wert zu entwickeln und zu erhalten, das sind die | |
| Kernfragen heutiger Behandlung. Die Psychoanalyse ist eine Wissenschaft, | |
| die sich ständig weiterentwickelt, was sich auch in der Ausbildung junger | |
| Therapeuten niederschlägt. Heute begleiten wir weniger Über-Ich- Konflikte, | |
| sondern Konflikte, die mit Selbstwert zu tun haben, mit der Ich-Regulation | |
| oder mit Beziehungsängsten und Beziehungswünschen. | |
| 24 Oct 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Edith Kresta | |
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