# taz.de -- Bürgerdialog der Bundesregierung: Wir müssen reden | |
> Kanzlerin und Vizekanzler wollen wissen, was die Wähler wichtig finden. | |
> Doch beim Dialog auf Augenhöhe geht es vor allem um schöne Bilder. | |
Bild: Es geht um den Eindruck. | |
BERLIN taz | Erich Honecker hat sich gern mit Bauarbeitern gezeigt, Helmut | |
Kohl traf sich mit der Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley, Wladimir Putin mit | |
seinen Soldaten. Wunderbare Bilder entstanden bei derlei Gelegenheiten, | |
Bilder, die im nächsten Wahlkampf noch sehr hilfreich sein konnten. An | |
diesem Montag nun starteten Angela Merkel und Sigmar Gabriel ihren | |
Bürgerdialog. Es geht um den guten Eindruck – Augenhöhe, Miteinander, | |
derlei. | |
Im Berliner Gasometer, wo sonst Günther Jauchs Talksendung aufgezeichnet | |
wird, treffen Kanzlerin und Vizekanzler auf WählerInnen; in diesem Fall | |
handelt es sich um Vertreter von Verbänden, Organisationen, aus Kirche, | |
Wirtschaft und Wissenschaft. Eine Stunde sieht das Protokoll für das vorab | |
verabredete Gespräch vor. Das ist wenig. Aber es handelt sich heute | |
lediglich um einen Auftakt. | |
„Gut leben in Deutschland – Was uns wichtig ist“, lautet das Motto dieser | |
und der kommenden mehr als hundert Veranstaltungen, mit denen die | |
Bundesregierung als eine Art rollende Politik-Talkshow durch die Lande | |
tingeln wird. Auf diese Weise will man herausfinden, ob die Arbeit von | |
PolitikerInnen mit den Vorstellungen der BürgerInnen übereinstimmt und vor | |
allem, wo das nicht so ist. In Zeiten von Pegida und AfD sind das Fragen | |
von zunehmender Relevanz. | |
Der in Berlin startende „Zukunftsdialog“ ist das umfassendste – und, weil | |
es offen ist, auch das risikoreichste – Gesprächsangebot, das eine | |
Regierung hierzulande je unterbreitet hat. Was macht Lebensqualität in | |
Deutschland aus? Was bedeutet es, gut zu leben? Über diese Fragen soll | |
diskutiert werden. Gut möglich, dass Populisten die Veranstaltungen für | |
ihre Zwecke missbrauchen. Aber gerade sie sind auch ein guter Grund für den | |
Dialog. | |
Hier im Gasometer ist von Störungen irgendwelcher Art nichts zu spüren. Die | |
Kanzlerin gibt sich zugewandt pragmatisch. Sie sei neugierig auf den | |
Zukunftsdialog, sagt sie, „wir geben zu, dass wir nicht alles wissen“. Der | |
in letzter Zeit dünnhäutig wirkende Vizekanzler erhält Gelegenheit, Seite | |
an Seite mit Merkel Kompetenz zu demonstrieren. Die Frage nach dem ihm | |
persönlich Wichtigsten beantwortet er mit „Die beiden Mädels“. Damit meint | |
er seine Töchter. Und er spricht sich, anders als Merkel, im Grundsatz für | |
Volksabstimmungen aus, vorbehaltlich der Gefahr einer | |
„Stimmungsdemokratie“. | |
## Erfreutes Nicken | |
Ein Schülervertreter, ein Gewerkschafter, ein Politikberater und ein | |
Bildungsvertreter stehen an diesem Tag als Bürgerdarsteller zur Verfügung. | |
Frauen mit Expertise waren anscheinend nicht auffindbar. „Demokratie ist | |
keine Dienstleistung“, erklärt der Schülervertreter sein Engagement für den | |
Zukunftsdialog, man müsse da schon mitmachen. Die Kanzlerin nickt erfreut. | |
Über ihr Verhältnis zu ebendiesen Mitmachern sagt sie, sie hoffe immer, | |
„dass ich das wirkliche Leben sehe“. | |
Oft fehle die Zeit zum Reden. Die Stunde der Wahrheit komme, wenn die | |
Regierung mit unliebsamen Wahrheiten konfrontiert werde. Und wenn die | |
Bürger eben nicht nur reden, sondern auch Ergebnisse sehen wollten. Auch | |
Gabriel spricht über den Respekt voreinander. Der bedeute übrigens auch, | |
eigene Positionen zu vertreten. Im Übrigen sei die Große Koalition „besser | |
als unser Ruf“. | |
Und wie geht es nun weiter? Landauf, landab soll der Dialog zwischen | |
BürgerInnen und Politik geführt werden, und das den ganzen Sommer über. | |
Veranstaltet werden die Runden jeweils von gesellschaftlichen | |
Multiplikatoren, also Gewerkschaften, Vereinen, Volkshochschulen. Die laden | |
ein, die Bundesregierung bezahlt einen Moderator und schickt zu jeder | |
Veranstaltung zwei Berichterstatter. | |
## Gut zu gebrauchen | |
Diese wiederum speisen ihre Beobachtungen in eine Arbeitsgruppe ein. | |
Herauskommen soll ein Indikatorensystem, das die Vorstellungen der | |
Wählerschaft, wie Lebensqualität im 21. Jahrhundert aussehen könnte, | |
umreißt, und das wiederum soll in einen Aktionsplan münden. Einen | |
Aktionsplan mithin, der für eine künftige Bundesregierung keineswegs | |
bindend sein wird. | |
„Alle 80 Millionen werden wir wahrscheinlich nicht treffen“, sagt die | |
Kanzlerin, „deshalb versuchen wir, aus dem, was wir hören, etwas Messbares | |
zu machen.“ | |
Die Veröffentlichung des Berichts ist für Mitte 2016 geplant. Eher wenig | |
wird man dann übrigens im Kanzleramt und in den Bundesministerien darüber | |
wissen, was die Ostdeutschen unter Lebensqualität verstehen. Von den | |
aktuell 137 geplanten Veranstaltungen finden nur 20 rechts der Elbe statt. | |
Also dort, wo laut Studien Politikferne und Ressentiments besonders groß | |
sind. Aber keine Bange, schöne Bilder wird es selbst dort geben. | |
Und die sind im dann beginnenden Bundestagswahlkampf bestimmt gut zu | |
gebrauchen. | |
14 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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