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# taz.de -- Die Wahrheit: Ein enorm wichtiger Auftrag
> Wenn die Regierung beschließt, dich an einem Sonderprojekt arbeiten zu
> lassen, solltest du auf keinen Fall deinen Bedürfnissen folgen.
Die Regierung hat Folgendes beschlossen: An den Masten der Fußgängerampeln
sollen in kindgerechter Bedienungshöhe Vorrichtungen installiert werden,
mit denen es möglich ist, den Autoverkehr fernzusteuern und die Gedanken
der Menschen aufzuzeichnen. Entwicklung und Ausführung obliegen dem
staatseigenen Betrieb, bei dem ich seit meinem zwölften Lebensjahr dank
Beziehungen arbeite. Wir Angestellten sollen nun von einem Moment auf den
anderen alles hinwerfen, womit wir beschäftigt sind, um uns dem neuen
Projekt zu widmen.
Dabei haben wir erst vor ein paar Tagen dringende Order erhalten, sämtliche
Darstellungen sitzender Menschen aus der europäischen Kunst- und
Filmgeschichte zu tilgen, was ein ziemlich aufwendiges Geschäft ist. Ich
wage, einen entsprechenden Einwand vorzubringen. Ab sofort gelte
ausschließlich die jüngste Anordnung, versichert daraufhin die
Betriebsleitung. Jede anderslautende sei Makulatur und somit hinfällig.
„Das ist doch was für dich“, sagen meine Kolleginnen und Kollegen zu mir,
auf schäbige Art und Weise bemüht, die unmögliche Herausforderung auf mich
abzuwälzen. Es muss hinter den Kulissen zur Zahlung von Bestechungsgeldern
gekommen sein, denn plötzlich vertritt die Betriebsleitung offiziell die
Ansicht, nur ich könne das von der Regierung Verlangte leisten. Man richtet
mir einen vollkommen neuen Arbeitsplatz in einem eigenen Büro ein, legt
eine ausgehängte Tür auf zwei Sägeböcke und spendiert obendrein ein paar
Farbstifte.
Nun bin ich aber neben meiner beruflichen Tätigkeit auch Mensch, also in
nicht unwesentlichem Maße Säugetier, und habe meine kreatürlichen
Bedürfnisse. Deshalb entferne ich mich unter fadenscheinigen Vorwänden
immer öfter vom Arbeitsplatz, laufe in der Stadt umher, trinke tagsüber
Alkohol und beginne aus meinem Geltungsbedürfnis heraus unbekömmliche
Affären. Ich lasse mich gehen.
Unweigerlich gerate ich in Schwierigkeiten, als die Regierung nach einiger
Zeit erste Ergebnisse sehen will. Ich suche mein Glück in dreisten
Ausflüchten, versuche, Mitleid zu erregen, nehme schließlich Zuflucht zu
Drohungen – es hilft mir alles nichts. Zwar werde ich nicht entlassen, wohl
aber in die Buchhaltung des staatseigenen Betriebs versetzt, bei dem ich,
wie schon erwähnt, seit meiner Jugend arbeite.
Menschen wie ich brauchen, um bestehen zu können, sehr viel Glück, und
tatsächlich habe ich welches: Der Zufall kommt mir zu Hilfe. Zwischen den
Buchungsbelegen, die ich vor dem Wegwerfen chronologisch sortieren soll,
finde ich eine alte Rechnung über das an Fußgängerampeln in kindgerechter
Bedienungshöhe erfolgte Anbringen von Vorrichtungen, mit denen es möglich
ist, den Autoverkehr fernzusteuern und die Gedanken der Menschen
aufzuzeichnen. Dergleichen muss also bereits im Einsatz sein! Für diese
Entdeckung werde ich von Betriebsleitung und Regierung belobigt und darf
weiterhin Darstellungen sitzender Menschen aus der europäischen Kunst- und
Filmgeschichte tilgen.
17 Apr 2015
## AUTOREN
Eugen Egner
## TAGS
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