# taz.de -- Die Wahrheit: Das Mantelproblem | |
> Sich zwischen zwei Filmen zu bewegen, von denen einer nur unter einem | |
> Mantel abläuft, wenn der Mantel selbst nicht fortläuft, ist nicht leicht. | |
Am Abend begleitete ich meine Cousine ins Kino. Beim Einlass in den Saal | |
wurden Brillen verteilt, die helfen sollten, den Film besser zu verstehen. | |
Ich ließ mir gleich mehrere geben. Obwohl ich fremd in dieser Weltgegend | |
war, kannte ich doch den Brillenwart, der mich freundlich grüßte. Ich hätte | |
ihn gern nach seinem Befinden gefragt, kam aber nicht dazu, denn der | |
Publikumsstrom trug mich unaufhaltsam fort zu den Sitzplätzen. | |
Nachdem ich neben meiner Cousine Platz genommen und meinen Mantel abgelegt | |
hatte, setzte ich die Brillen auf. Trotzdem verstand ich den Film nicht. | |
Gleich in der ersten Szene fraß die Hauptdarstellerin einem | |
Schauspielerkollegen die Armbanduhr vom Handgelenk. Danach sah ich nicht | |
mehr hin. Ich nahm die Brillen ab, zog meinen Mantel über mich und dachte | |
mir einen anderen Film aus. | |
In diesem anderen Film wurde ich gebeten, bei der Kasse vorzusprechen. | |
Peinlich berührt stand ich auf, um mich vor aller Augen zwischen zahllosen | |
Rückenlehnen und Knien hindurchzuzwängen, bis ich endlich den Gang | |
erreichte. An der Kasse erwartete mich eine Kriminalkommissarin mit der | |
Nachricht, mein Mantel treibe sich in der Welt herum und begehe Straftaten, | |
darunter auch Maßstabsverhetzung. Nun sollte ich die Unschuld des Mantels | |
beweisen, von dem ich beteuerte, ihn auf meinem Sitz zurückgelassen zu | |
haben. Um das zu überprüfen, hätte das Saallicht eingeschaltet werden | |
müssen. | |
Aus Höflichkeit gegenüber dem Publikum beschlossen wir, zu warten, bis der | |
Film zu Ende war. Vorher aber endete der, den ich nicht verstand. Ich | |
musste wieder unter meinem Mantel hervorkommen und ihn anziehen, um das | |
Kino zu verlassen. | |
Draußen schlug meine Cousine vor, etwas essen zu gehen, und wusste auch ein | |
neues Lokal ganz in der Nähe. Es hieß Schreckliche Wagnisse mit Speisen. | |
Als von Natur aus starker Esser hatte ich nichts dagegen. In dem gar nicht | |
gut besuchten Restaurant hängten wir unsere Mäntel auf und setzten uns an | |
einen Tisch. Der Kellner brachte die Karte, die Cousine wählte das | |
Kartoffeltrauma. | |
## „Mir bitte Fleisch“ | |
„Sehr wohl“, sagte der Kellner, „und der Herr?“ – „Mir bitte Fleisc… | |
antwortete ich. Daraufhin entfernte sich der Kellner, kam jedoch wenig | |
später zurück. Ich dachte, er hätte unsere Bestellung vergessen, | |
stattdessen teilte er mir aber mit, mein Mantel hänge nicht mehr an der | |
Garderobe. Sofort lief ich hin und überzeugte mich: Jawohl, mein Mantel war | |
weg. | |
„Hoffentlich bekommen Sie ihn zurück“, äußerte der Kellner mitfühlend. … | |
Hoffnung“, erwiderte ich, „ist das wichtigste Organ und daher das größte.… | |
Die Kriminalpolizei wurde eingeschaltet und fand heraus, dass mein Mantel | |
nicht gestohlen worden war, sondern sich aus eigener Kraft entfernt hatte. | |
Er streifte mutwillig umher und war bereits zahlreicher Delikte schuldig. | |
Meine Befürchtung, dafür verantwortlich gemacht zu werden, wurde von der | |
Polizei nicht entkräftet. | |
Diese neue Entwicklung berührte mich ausgesprochen unangenehm. Alle, die | |
schon etwas Derartiges erlebt haben, werden nachempfinden können, wie mir | |
zumute war. | |
25 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Eugen Egner | |
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