# taz.de -- Die Wahrheit: Die schwarze Armee | |
> Winzige dunkle Gestalten belagern eine Millionenstadt. Dort fürchtet man | |
> von den beinlosen Wesen überrannt zu werden. | |
Die ganze Ebene war bis zum Horizont übersät mit kleinen schwarzen, | |
anscheinend nur aus Oberkörpern bestehenden Gestalten, die in militärischer | |
Marschordnung, doch ohne einen Laut auf uns zu kamen. Wie sie sich | |
fortbewegten, war für menschliche Augen nicht zu erkennen. Man konnte | |
meinen, ihre Beine befänden sich im Erdboden und sie schritten darin wie in | |
bauchhohem Wasser voran, sodass hinter ihnen der Boden sofort wieder eine | |
glatte Oberfläche bildete. An ihrem oberen Ende, auf dem, was ihr Kopf sein | |
musste, trugen die wie geteert wirkenden Gestalten spitze Mützen oder | |
Kapuzen. Sie streckten außerdem ihre Arme in die Höhe und schwangen | |
flaschenartige Gegenstände. | |
Damit konnten wir überhaupt nichts anfangen. Einer von uns meinte, der | |
Anblick erinnere ihn an eine Abbildung auf dem Etikett einer irgendwann | |
geleerten, leider schon fortgeworfenen Weinflasche. Ich vermochte bei | |
diesem Thema nicht mitzureden, weil ich Abbildungen auf Flaschenetiketten | |
von Natur aus nicht verstehe. | |
Doch für solche Betrachtungen war jetzt kaum die rechte Zeit, wir empfanden | |
das Nahen der beinlosen schwarzen Armee als überaus beängstigend. | |
Möglichkeiten zur Verteidigung gegen eine solche Übermacht bestanden keine, | |
in Kürze würden wir überrannt werden. | |
Zu unserem unbeschreiblichen Glück zog die Invasion aber an uns vorbei. | |
Schon bald war nichts mehr von ihr zu sehen. Wir atmeten alle auf, jedoch | |
nur für den Augenblick. Denn wenn wir selbst auch verschont geblieben | |
waren, musste nun – und nicht ohne Grund – befürchtet werden, die nahe | |
Millionenstadt könne das Ziel der zahllosen, selbst bei Tageslicht | |
gespenstisch wirkenden schwarzen Zwerge sein. | |
Deshalb beeilten wir uns, Freunde und Familienangehörige in der Stadt, aber | |
auch die Behörden vor der sich nähernden Gefahr zu warnen, obwohl uns allen | |
klar war, dass für eine planvolle Evakuierung keine Zeit bleiben würde. Wir | |
konnten nur inständig hoffen, das plötzliche Bekanntwerden solch drohenden | |
Unheils möge nicht auch noch eine Panik auslösen. | |
Bange Stunden durchlebten wir. Umso größer war dann unsere Erleichterung, | |
als die Katastrophe ausblieb. Weder in der Stadt noch im Umland hatte ein | |
massenhaftes Auftreten von kleinen schwarzen Gestalten stattgefunden. | |
Einige Tage später tauchte die schwarze Armee zum zweiten Mal auf und | |
bedeckte wieder die gesamte Ebene bis zum Horizont. Diesmal zog sie in | |
entgegengesetzter Richtung an uns vorbei. Ähnliches ist dann nie wieder | |
vorgekommen. | |
Wegen unserer besorgten Anrufe gelten wir den Leuten in der großen Stadt | |
seither als verrückte Provinzler. Man unterstellt uns lange und breite | |
Drogenexzesse und geistig-seelische Zerrüttung. Das kränkt uns ungemein in | |
unserer Würde, denn wir wissen sehr gut, was wir damals gesehen haben. | |
Unsere Sorge um die Lieben hat letztlich zum Zerwürfnis mit ihnen geführt. | |
Sie sind nicht länger unsere Lieben. Inzwischen bestehen keinerlei | |
diplomatischen Verbindungen mehr mit der Stadt. | |
19 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Eugen Egner | |
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