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# taz.de -- Die Wahrheit: Die menschliche Spezies am Abend
> Zwei Frauen, ein Mann, ein Mysterium: Wo kommen plötzlich diese
> Außerirdischen her, die wie Kinder aussehen?
Einst lebte ich in einem gemeinsamen Haushalt mit zwei Frauen, Gadrobe und
Kanone. Die beiden fanden mich wegen meiner Lebensweise seltsam, denn ich
versteckte mich vor der Welt. Eines Abends wollte ich überprüfen, ob die
menschliche Spezies noch existierte, verließ mutig mein Zimmer und
überquerte den Flur. In der Küche traf ich auf Gadrobe, sie saß schon
wieder essend am Tisch.
„Nach dem Abendessen habe ich etwas gekocht“, erklärte sie. Ich nickte und
merkte an, wie unerschwinglich teuer es sei, sich zu ernähren. Wie um meine
Worte zu bestätigen, erinnerte sich Gadrobe: „Mutter Natur sagte einmal zu
mir: Ich bezahle doch keine 3.000 Rubel für eine Dose Linsen! Ihre Agenten
standen an der Straßenecke und rissen sich um die Evolution.“
„Unvergleichlich!“, rief ich. „Du bist Poesie, Gadrobe! Poesie!“ Sie
wechselte abrupt das Thema und fragte in geschäftsmäßigem Ton: „Wie läuft
unsere Aktion?“ Damit meinte sie unser im Handelsblatt veröffentlichtes
Angebot zur „Erhöhung der finanziellen Sicherheit“ mit dem Wortlaut „Mac…
Sie sich selbst ein Weihnachtsgeschenk und überweisen Sie uns bis zu
180.816,60 Euro.“
„Die Sache stagniert“, antwortete ich, „wir stoßen auf Widerstand. Wie du
weißt, wird die Welt von schlechten Menschen dominiert.“ Gadrobe erwiderte:
„Um voranzukommen, bedarf es der Gabe, sich seine Feinde in
formalingefüllten Glasbehältern vorstellen zu können.“ Die letzte Silbe war
kaum verklungen, als Kanone mit wirrem Haar hereinkam. Sie trug ihren
zerfetzten Schlafanzug und wirkte bekümmert. „Das Puppenspiel gegen
Dänemark musste kurz nach dem Startschuss abgebrochen werden“, klagte sie,
„wo finde ich Trost?“
Gadrobe erbarmte sich: „Guck mal hier: eine Handpuppe, am Glassturz für
Küchenflüche riechend. Kann dich das aufrichten?“ Weil meine Gegenwart nun
überflüssig war, begab ich mich in den gefährlichen Raum außerhalb des
Hauses. Indem ich die unter dem Begriff „Gehen“ bekannt gewordene
Fortbewegungstechnik anwandte, kam ich zu einem Haus, dessen Besitzer dabei
war, seinen Familiennamen in noch vom Weltall aus lesbaren Riesenlettern
aufs Dach zu malen. Ich wollte den Mund öffnen, um ein tiefgründiges
Gespräch mit ihm zu führen, da landete plötzlich ein kleines Raumschiff in
dem an Zierrat reichen Vorgarten. Zwei ganz und gar irdische Kinder kamen
aus einer Luke und stritten gut verständlich über typische
Kinderangelegenheiten. Dann begaben sie sich an Bord zurück und flogen so
schnell, wie sie erschienen waren, wieder fort.
Was für ein unglaubliches Erlebnis! Wir hatten leibhaftige Außerirdische
gesehen! Dass sie wie menschliche Kinder gewesen waren, fand ich zwar
enttäuschend, aber immerhin – es gab sie! Aufgeweichten Verstands kreischte
ich von kosmischer Offenbarung und Anbruch eines neuen Zeitalters. Der sein
Dach beschriftende Mann erklärte mir lachend, das alles sei nur inszeniert
worden, um mich darauf aufmerksam zu machen, dass meine
Krankenversichertenkarte bald ablaufen würde.
24 Jul 2015
## AUTOREN
Eugen Egner
## TAGS
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Außerirdische
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Insekten
Jugend
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Kriminalität
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Wald
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