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# taz.de -- Die Wahrheit: Eltern und Katzen
> Die nächsten Verwandten sind nicht immer leicht auffindbar. Manche
> verschwinden sogar auf mysteriöse Weise. Dann heißt es kreativ werden.
Was würde eine Person tun, die jemand auf die Idee gebracht hat, ihre
verstorbenen Eltern lebten vielleicht in einem anderen Stadtteil weiter?
Ist das nicht eine interessante Frage? Können Sie sich in eine solche Lage
versetzen? Strengen Sie sich bitte etwas an, egal ob Ihre Eltern noch leben
oder nicht. Nutzen Sie Ihre Fantasie!
Stellen Sie sich vor, Ihre verstorbenen Eltern seien Zoologen gewesen,
spezialisiert auf Katzen und Katzenartige. Eines Tages wären die beiden von
einem Institut beauftragt worden, an einem Projekt in Malaysia zu
arbeiten, um seriöse Erkenntnisse über die Existenz einer Katzenart zu
gewinnen, um die sich seit Menschengedenken grausige Legenden rankten,
während nur wenig Konkretes bekannt war. Ein paar Spuren schienen so
vielversprechend, dass es sich lohnte, zwei kompetente Forscher darauf
anzusetzen. Der wissenschaftlich begründete Nachweis für das Vorkommen
einer neuen Gattung in freier Natur wäre eine Sensation gewesen.
Ab und zu erhielten Sie, die Sie dies jetzt zur Übung Ihres
Vorstellungsvermögens lesen, Briefe, selten auch Anrufe, von Ihren Eltern.
Selbstverständlich verlautete darin nichts vom Stand der Forschungen, denn
für die Mitarbeiter an dem Projekt bestand Schweigepflicht. Wohl gab es
aber Andeutungen, dass das Unternehmen problematisch war. Dann kam lange
keine Nachricht mehr. Schließlich erfuhren Sie vom Institut, Ihre Eltern
seien einer Krankheit erlegen. Der Vorfall wurde als mysteriös bezeichnet.
Jetzt machen Sie sich auf, um Ihre Eltern in einem Stadtteil jenseits der
Bahnlinie zu suchen, weil jemand zu Ihnen gesagt hat: „Vielleicht leben
deine verstorbenen Eltern auf der anderen Seite der Bahnlinie weiter.“ Der
Stadtteil ist wahrlich nicht attraktiv, in einer derartigen Umgebung können
Sie sich Ihre Eltern nicht vorstellen. Doch wer weiß schon, was
Verstorbenen gefällt ... Bei Ihrer Suche gehen Sie unsystematisch vor, wie
Ihnen sehr schnell klar wird. Wie soll man so etwas aber auch planen?
Auf Ihrer planlosen Suche bilden Sie sich nunmehr ein, soeben aus einem
Heim für schwachsinnige Kinder entflohen zu sein, weil Ihnen das eine
gewisse Aura und somit das nötige Selbstbewusstsein verleiht. Allerdings
müssen Sie vorsichtig sein und genau überlegen, wen Sie im Zusammenhang mit
Ihrer fiktiven Identität ins Vertrauen ziehen.
Wenn nämlich jemand das Jugendamt informiert, riskieren Sie, von der
Polizei aufgegriffen und, da Sie Vollwaise sind, ins Heim für
schwachsinnige Kinder eingeliefert zu werden. Ihre Chancen, jemals wieder
freizukommen, wären, wie Sie sich vorstellen können, minimal. Gehen Sie
also lieber schweigend ans Werk und halten Sie die Augen offen.
Doch selbst dann können Sie kaum ernsthaft erwarten, Ihre Eltern gleich
beim ersten Mal auf der Straße zu erblicken oder ihre Adresse zu erfahren.
Es bedarf schon mehrerer Anläufe. Halten Sie durch, versuchen Sie es immer
wieder. Katzen weisen Ihnen den Weg.
18 Aug 2015
## AUTOREN
Eugen Egner
## TAGS
Katzen
Eltern
Recherche
Insekten
Jugend
Groteske
Kriminalität
Vergangenheit
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