# taz.de -- Gender in der Musiktheorie: Das Weib und das Tongeschlecht | |
> Dur sei männlich – Moll weiblich, heißt es. Sind Hierarchien in der | |
> Harmonielehre wirklich ein gesellschaftliches Problem? | |
Bild: Ob Tori Amos wohl lieber in Dur oder in Moll spielt? | |
Es gibt Leute, die halten Gender für einen ernsthaften Forschungszweig mit | |
dem löblichen Fernziel einer verständigeren und damit gerechteren | |
Gesellschaft. Es gibt aber auch Leute, die halten Gender für einen | |
gebärkraftzersetzenden Wahn, mit dem linksversiffte Gutmenschen an der | |
Abschaffung der Arten arbeiten und damit die Natur selbst hintertreiben. | |
Ich hingegen halte es mit der marxistischen Dialektik und betrachte die | |
soziale Konstruktion von Geschlechtlichkeit als einen Nebenwiderspruch, mit | |
dessen durchaus wünschenswerter Aufhebung durch angewandte Gendertechnik | |
der hegemoniale Grundwiderspruch völlig unberührt bliebe. | |
Im Übrigen handelt es sich bei Gender nachweislich um ein Instrument der | |
javanischen Gamelanmusik, womit wir – endlich! – beim Thema wären. Es gibt | |
nämlich Leute, die bringen diese modische Ideologie auf die Musiktheorie | |
zur Anwendung. | |
Die feministische Linguistin Luise F. Pusch beispielsweise ist immer für | |
erfrischende Interventionen zu haben. Vor Kurzem forderte sie versuchweise | |
eine Frauenquote im Cockpit. Die Debatte um die „Söhne“ oder eben auch | |
„Töchter“ im Text der österreichischen Nationalhymne ergänzte sie um den | |
schönsten aller Vorschläge: „Heimat bist du großer Töne“. | |
Pusch spielt auch Klavier, und da fielen ihr die Parallelen zwischen Musik- | |
und Gendertheorie auf, namentlich die „Tatsache, dass die Stammtöne zwei | |
Varianten haben, die jeweils penibel gekennzeichnet werden, im Deutschen | |
mit den Endungen /-es/ oder /-is/. Während in den Männersprachen, wie wir | |
aus leidvoller Erfahrung wissen, nur die weibliche Variante gekennzeichnet | |
wird, im Deutschen meist mit der Endung /-in/. Die männliche Variante der | |
menschlichen Spezies wird im Gegensatz dazu nicht gekennzeichnet. Sie fällt | |
mit der Stammform zusammen“, worin der männliche Herrschaftsanspruch über | |
„das andere Geschlecht“ zum Ausdruck komme. | |
## Riepel, Schumann, Wagner | |
Oder eben nicht, wie der barocke Musiktheoretiker Joseph Riepel noch 1755 | |
zeigte. Riepel bezeichnete Dur als männliches und Moll als weibliches | |
Tongeschlecht, bezieht sie doch „ihre Wesenheit von dem männlichen her“, | |
bildet also nur eine bizarre Sonderform männlicher Normalität. Dem folgte | |
später der Komponist Robert Schumann, als er sagte: „Dur ist das handelnde | |
männliche Prinzip, Moll das leidende weibliche.“ Für Richard Wagner war die | |
ganze Kunstform feminin: „Musik ist ein Weib“, erklärte er kategorisch und | |
schränkte biologistisch ein, ihr Organismus sei „ein nur gebärender, nicht | |
aber zeugender“, wofür es den männlich befruchtenden Gedanken des Dichters | |
bedürfte. | |
Wenn derlei Gequatsche unsäglich ist, dann wegen seiner zeittypischen | |
Beschränktheit. Wer aber in musikalischen Dingen ernsthaft eine | |
„Replizierung von Geschlechterkonnotationen“ beklagt, übersieht, dass es | |
eben – Notationen sind. Musik ist die Organisation schwingender | |
Luftmoleküle und als solches höchst abstrakt. Die Notation ist ein Versuch, | |
so etwas wie eine musikalische Sprache zu verschriftlichen, also Zeichen | |
und Zuschreibungen für real existierende Unterschiede zu finden. Es gibt | |
nun einmal hohe und tiefe Töne. Dualismen sind Differenz in Reinform und | |
ziehen zwangsläufig dichotomische Zuschreibungen wie eben hoch oder tief, | |
stark oder schwach, männlich oder weiblich förmlich an. Das ist eine Binse, | |
kein Forschungsergebnis. | |
## Frauenquote von 0,87 Prozent | |
Haben aber nicht die Wiener Philharmoniker erst seit 1997 eine sagenhafte | |
Frauenquote von knapp 0,87 Prozent? Wo werden denn, um nur ein weiteres von | |
deprimierend zahllosen Beispiel zu nennen, heute noch die Werke einer Lili | |
Boulanger aufgeführt? Hier scheint mir das eigentliche Problem zu liegen – | |
nicht in den harmonischen Hierarchien in der Musik selbst. | |
Wer sich darüber beklagen möchte, dass noch immer zu wenig Frauen an den | |
Steuerknüppeln von Kampfbombern sitzen, sollte seine Klage vielleicht nicht | |
unbedingt auf die physikalischen Grundlagen der Luftfahrt stützen. | |
Übrigens sind bei einem Flügel nur die Halbtöne (!) auf schwarze (!) Tasten | |
aus postkolonialem Elfenbein verbannt. Könnte man auch mal drüber | |
nachdenken. | |
20 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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