# taz.de -- Gendertraining an Wirtschaftshochschule: Karneval der Männlichkeit… | |
> Wann ist der Mann ein Mann? Wirtschaftsstudenten stellen sich ihren | |
> Männerbildern und erschrecken über sich selbst. Ein Bericht. | |
Bild: Charismatisch, energetisch, egoistisch, süchtig – so wirkt Börsenmakl… | |
Die Väter vielleicht, und überhaupt die Älteren, die haben ein Problem mit | |
ihrer Männlichkeit, die müssen halt den starken Mann markieren, die haben | |
das so gelernt. So heißt es gerne. Und dann wird angefügt: Wir haben das | |
nicht mehr nötig. Mein Sohn kommt gar nicht auf die Idee, „starke“ Frauen | |
seltsam zu finden. Aber stimmt das? Mein jährlicher Realitycheck mit | |
Jungerwachsenenkontakt und angehenden Managern stand an. Diesmal hieß das | |
Seminar: „Männer. Leistung. Risiko“. | |
15 Männer und zwei Frauen waren mit von der Partie. Mein Plan war | |
aufgegangen: Vermeidet man im Veranstaltungstitel die Wörter Gender, Frauen | |
oder Chefin, erregt man das Interesse auch von Männern. Das Prinzip | |
funktioniert überall. In diesem Fall konnte ich Studierende zwischen 20 und | |
22 Jahren gewinnen. | |
Der zentrale gemeinsame Grund, sich eine Woche lang mit Männlichkeit, | |
Leistung und Burn-out zu beschäftigen, war: Ausnahmslos wollten sie einmal | |
sowohl Erfolg als auch Familie haben. Dass bereits ein gutes Leben kein | |
Selbstläufer ist, vom perfekten nicht zu reden, war auch allen klar und die | |
Suizide im Topmanagement in den letzten Jahren fanden sie beunruhigend. | |
Also erhoffte man sich Tipps für eine zukunftsfeste Männlichkeit. Und fast | |
alle Studenten empfanden es als unangenehm, sich ständig als richtiger Mann | |
beweisen zu müssen. | |
Was zeichnet eine richtige Männlichkeit aus? Klares Gruppenstatement: Man | |
muss sich hart und entschlussfreudig zeigen. Bei jedem ersten Kontakt | |
stünde dieses Theater an. Zart werden dürfe man nur bei Leuten, die man | |
schon gut kenne. Wenn überhaupt. Meine Güte, hab ich mich verzählt? Sind | |
wir wirklich schon im 21. Jahrhundert? | |
Eine der beiden Studentinnen kommentierte das Bekenntnis ihrer Kommilitonen | |
spitz, sie wolle aber immer einen richtigen Mann, nicht nur als Rollenspiel | |
am Anfang. Und ihre Freundin bekundete ein wenig später, dass sie mit ihrem | |
Geschlecht kein Problem hätte, noch nie wäre sie diskriminiert worden, | |
außer von Feministinnen. | |
## Blowjob im Ferrari | |
Und so wurde der Druck, sich in der Männergemeinschaft als richtiger Mann | |
und als richtige Frau, also Nicht-Feministin, auszuweisen, zum | |
Ausgangspunkt der gemeinsam angetretenen Lernreise. Zweiter Programmpunkt: | |
„The Wolf of Wall Street“. Martin Scorsese verfilmt hier die | |
Lebensgeschichte des Börsenmaklers Jordan Belfort und inszeniert eine Art | |
Karneval zeitgemäßer menschenverachtender Männlichkeit. Und wie wirkt der | |
Antiheld auf den Nachwuchs? „Charismatisch, energetisch, egoistisch, | |
süchtig.“ | |
Der von Leonardo DiCaprio mit einer gewissen Ironie gespielte Belfort wird | |
im Ferrari eingeführt, während seine blonde Frau ihm einen bläst. Die | |
Kamera zeigt sie von hinten, das Symbol Blondine benötigt kein Gesicht, | |
auch keinen Namen. Eine Minute später schmeißt er im Büro einen | |
Kleinwüchsigen gegen eine Dartscheibe, zum Spaß. Später wird er alle seine | |
Freunde und Kollegen verraten, seine Frau vergewaltigen und seine Tochter | |
fast umbringen, – und natürlich die Ersparnisse der kleinen Leute verzockt | |
haben. Doch diese Brutalität wurde schlicht nicht gesehen. Erst nachdem ich | |
die Szenen erneut zeigte, kam sie zu Bewusstsein. | |
In der Wahrnehmung der Studierenden hatte der Marker Erfolg gleich Reichtum | |
die durchaus grob ausgestellte Gewalttätigkeit der Finanzbranche | |
ausradiert. Das Erschrecken der Studierenden über ihre Ignoranz war echt. | |
Ein Fragezeichen schlich sich in unser Seminar. | |
Dann wechselten wir auf die vermeintliche Loser-Seite: Wann verliert ein | |
Mann seine Männlichkeit, wann also gibt es ein wirkliches Problem? Auch | |
hier half die Popkultur weiter. | |
## Liegende Männer, stehende Frauen | |
Die auf Fox laufende amerikanische TV-Serie „New Girl“ präsentiert eine | |
unaggressive, emotionale, dialogbezogene Männer-WG plus Jess, sie ist der | |
weibliche Neuankömmling. Die Endzwanziger sind ständig pleite. Gleichzeitig | |
sind diese Anti-Männer natürlich allesamt gut aussehend, durchtrainiert und | |
durchgestylt, so wie die Studis übrigens auch. In einer Szene nun liegen | |
Nick und Schmidt auf dem Bett ihrer Mitbewohnerin und wollen diese | |
überreden, sich für die bevorstehende Hochzeit bitte sexy anzuziehen. Nick | |
muss unbedingt mit ihr angeben können. Jess spurt zunächst nicht so recht, | |
doch einige Pointen später findet sich ein Kompromiss. Alles gut? Das | |
Seminar sieht das anders. | |
Nick und Schmidt stehen unter Zwang, Jess zwingt ihnen ihren Willen auf! | |
Wieder sehen wir uns die Szene erneut an. Was lässt den aufgebrachten | |
Studenten das Feilschen um das richtige Outfit als Unterwerfungsszene | |
lesen? Die Antwort lautet: Die Männer liegen, die Frau steht. Und außerdem: | |
Die reden alle so kameradschaftlich miteinander, gar nicht als Mann und | |
Frau! Nicken in der Runde. | |
Ein Mann ohne Dominanzgebahren ist kein richtiger Mann, sondern ein | |
falscher. Eine wortgewandte, stehende Frau ist eine Domina, also auch | |
falsch. Mit dieser Aussage sind nicht alle einverstanden, aber nur einer | |
sagt etwas dagegen. Und es ist dann noch ein Stück Arbeit, bis wir trotz | |
des Geld-ist-geil-Ideals bei den „Loosern“ ein Genießen entdecken, das den | |
jungen Männern keine Herrschaft über andere erlaubt, aber die Freiheit | |
gibt, Spaß zu haben, ohne dafür andere demütigen zu müssen. | |
## Kaffeepause! Dringend! | |
Bleibt zu erwähnen, dass die Zahlen von den wenigen weiblichen Sprechrollen | |
in Film und Fernsehen, nämlich rund 31 Prozent weibliche Hauptfiguren im | |
deutschen Kinderfernsehen und 33 Prozent Sprechrollen für Frauen in den 100 | |
erfolgreichsten Hollywoodfilmen, offenen Unmut auslöste. | |
Auch dass nur 35 Prozent der Frauen in Schulbüchern als berufstätig | |
dargestellt werden – und, Überraschung! – nur 14 Prozent der von Leitmedien | |
befragten Experten weiblich sind, wurde nicht goutiert. „Jetzt hören Sie | |
schon auf. So schlimm ist es doch gar nicht, das sind doch nur Zahlen!“ Die | |
Studis wollten jetzt dringend ihre Kaffeepause. | |
Doch, es ist so schlimm. Und jetzt bloß nicht mit dem Finger auf die jungen | |
Leute zeigen! Geschlechtergerechtigkeit ist in so gut wie keinem Milieu und | |
in so gut wie keiner Altersklasse eine Aufgabe, die männlicherseits als | |
Messlatte für Leistung oder Kompetenz anerkannt wird. Auch der Alltag in | |
der taz führt das täglich vor. Die Studis spiegeln also nur den allgemeinen | |
Reformstau. Unsere Gesellschaft ist emanzipativ so weit gekommen, wie man | |
eben ohne Männer als Agent of Change kommt. Ausnahmen bestätigen die Regel. | |
Und solange die Repräsentation von Frauen und Männern sich im staatlich | |
finanzierten TV nicht vervielfältigt, solange an Schulen die Frauenbewegung | |
nicht auch Thema im Geschichtsunterricht ist, Gleichstellung und der | |
Frauenanteil in der Berufswelt nicht in der Sozialkunde unterrichtet wird | |
und der Ethikunterricht Religionen nicht in Hinblick auf aggressive | |
Männlichkeit ausleuchtet, wird sich daran nichts ändern. Meine | |
Wirtschaftshochschule mit ihrem Gendertraining ist da eine einsame | |
Ausnahme. Sie hat begriffen, dass Gerechtigkeit eine Gemeinschaftsaufgabe | |
ist, keine Frauenfrage. Vielleicht kriegen das andere im 21. Jahrhundert ja | |
auch noch hin. | |
10 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
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