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# taz.de -- Berliner Philharmoniker: Demokratie an ihren Grenzen
> Die Suche nach einem Nachfolger für Chefdirigent Simon Rattle spaltet die
> Berliner Philharmoniker. Doch ein Kompromiss wäre der falsche Weg.
Bild: Einer wartet ja bekanntlich immer. Hier Medienvertreter auf die Philharmo…
Wäre das, was die Berliner Philharmoniker am Montag in Berlin-Dahlem
aufgeführt haben, ein Musikstück, dann am ehesten jenes von John Cage, das
[1][„4’33’’“] heißt – vier Minuten, dreiunddreißig Sekunden –, …
aber laut Partitur frei wählbar ist. Bei den Philharmonikern dauerte es
elfeinhalb Stunden und die 123 anwesenden Musiker hielten sich an das, was
Cage mit der Regieanweisung „Tacet“ streng festgelegt hat: Sie schwiegen,
zumindest vor Publikum.
Und verrieten auch nach dem Ende ihrer Zusammenkunft nichts von dem, was
sich wirklich in den Gemeinderäumen der Jesus-Christus-Kirche in Dahlem
abgespielt hat.
Sie waren dort zusammengekommen, um sich einen neuen Chefdirigenten zu
wählen. Die Berliner sind das einzige Orchester weltweit, das derart
basisdemokratisch organisiert ist. Es lässt sich niemanden vorsetzen,
sondern sucht selbst. Der muss es dann vielen recht machen; mindestens
denen, die die 128 Planstellen innehaben, ungezählten Konzertkritikern, die
sie sehr genau beobachten, und einem Millionenpublikum weltweit, das an
Konzertabenden in Scharouns Philharmonie strömt oder in die Digital Concert
Hall, die das Liveerlebnis für Zuhause bietet und archiviert.
Ein globaleres Orchester gibt es nicht; der Mann an der Spitze steht also
im Blick einer Menge Menschen und ist Nachfolger solcher Pultgrößen wie
Wilhelm Furtwängler und Herbert von Karajan, den Erschaffern jenes
sagenumwobenen Klangs, den manche in Spuren noch wahrnehmen, in seiner
Breite aber vermissen – und die Weiterentwicklungen in musikalische
Regionen dies- und jenseits der großen Symphonik deutsch-österreichischer
Provenienz unter Claudio Abbado und Simon Rattle für Eintrübungen halten.
## Den Gesang der Spatzen interpretiert
In Cages „4’33’’“ geht es darum, den Klang ohne Musik zu hören. Stil…
Dahlem – am historischen Ort der Karajan-Kathedrale, wo die nach dem Krieg
heimatlosen Philharmoniker probten und aufnahmen – gingen wartende
Journalisten dazu über, die in voller Blüte stehenden Kastanien zu
beschreiben, in den Gesang der Spatzen ein „Cha-illy“
hineinzuinterpretieren, den Namen des Italieners, der auch als
philharmonikabel gilt.
Und sie fotografierten eine Markierung in Kreuzgestalt, jene Stelle, an der
die Verkündigung des Wahlergebnisses stattfinden sollte. Die war erstmals
für 14 Uhr angekündigt, dann für 17, 18.30 und schließlich 19 Uhr. Bis sich
die Tore öffneten und nach 11.27’33’’ vier ziemlich erschlagen wirkende
Musiker vor die Presse traten, die Orchester- und die Medienvorstände, an
ihrer Seite der Intendant, der in dieser Sache nichts und bei den
Philharmonikern auch sonst kaum etwas zu sagen hat.
Peter Riegelbauer, seit 1981 Kontrabassist und langjähriger
Orchestervorstand, sagte, es habe eine lebhafte und konstruktive
Auseinandersetzung gegeben, nur – „leider“ – ohne Ergebnis. Die Frage n…
einem Richtungsstreit beantwortete er mit einem Nicken, sagte aber mit
Hinweis auf die geheime Wahl wenig.
## Wieder also nur: Spekulationen
Wieder also nur: Spekulationen. Sehr wahrscheinlich, dass es um Christian
Thielemann geht und sich das Orchester nun explizit in Thielemänner und
Nicht-Thielemänner spaltet. Die, die den konservativen Kapellmeister,
derzeit in Dresden tätig und einst Karajan-Schüler, mit Hang zum deutschen
Klang wollen, und die, die einen anderen wollen, eine verlässliche Größe
wie den Italiener Riccardo Chailly, oder einen jener jungen
Repertoiresurfer, die der Zukunft zugewandt sind – Andris Nelsons, Yannick
Nézet-Séguin, Gustavo Dudamel.
Vielleicht stößt die Basisdemokratie an ihre Grenze, zerrüttet das
Orchester. Sie müssen zusammen proben, Höchstleistungen bringen – und sind
im Innersten uneins. Längstens ein Jahr wollen sie weiter beraten – was
aber kann den Konflikt lösen?
Sie werden bis zur Entscheidung nicht schlechter spielen, sich zu
Konzertabenden vereinen. Und was ist falsch daran, wenn die 124
Wahlberechtigten gründlich darüber diskutieren, auch streiten, wohin sie
wollen und wie ihre Ansprüche am besten befriedigt werden? Ein
Kompromisskandidat wäre keine Lösung; sollen sie ruhig noch etwas Cage
spielen.
12 May 2015
## LINKS
[1] http://www.youtube.com/watch?v=JTEFKFiXSx4
## AUTOREN
Felix Zimmermann
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Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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