| # taz.de -- Mit dem Elektrorad in der Provence: Radeln wie Gott in Frankreich | |
| > Der Luberon ist nicht nur ein großer Naturpark, die Gebirgskette ist auch | |
| > ein Paradies für E-Biker. Zahlreiche Routen locken die Besucher. | |
| Bild: Das Dorf Gordes im Nationalpark Luberon. | |
| Der Besitzer vom Café de France in Céreste hat ziemlich schlechte Zähne. | |
| Doch er hat kein Problem damit, sie – oder was davon übrig ist – zu zeigen. | |
| Und er lächelt gern. | |
| „Pas d’problème“, sagt er, als wir zur Mittagsstunde nicht zuerst nach | |
| Speisen und Trank fragen, sondern nach einer Steckdose – für unsere | |
| E-Bikes. | |
| „Ah, intéressant!“, pfeift er aus den Stumpen und weist auf die Wand neben | |
| der Eingangstür. Ja, die habe er, zwei sogar und hier vorn auf der Terrasse | |
| an der Straße. Oben im ersten Stock sei zwar auch noch das Restaurant La | |
| Pastorale, aber hier unten könnten wir das Mittagsmahl gemeinsam mit | |
| unseren gefräßigen Drahteseln einnehmen. | |
| Denen ist nach den 27 Kilometern, die wir heute Morgen von Apt bis hierher | |
| gefahren sind, die Puste ausgegangen. Wir wollen aber noch bis Forcalquier. | |
| Über die ausgeschilderte Route „Autour du Luberon“ sind das nochmal um die | |
| 40 Kilometer. Da hilft uns auch der dicke Ersatzakku für unsere E-Bikes | |
| nichts. Wir müssen eine Ladepause machen, und wo wäre das angebrachter als | |
| in Céreste? | |
| Der Ort ist berühmt für seine Traditionsbaguettes. Ein Rosé, so unser | |
| Wohltäter, passe besonders gut dazu. Eine E-Bike-Tour um den Luberon, einem | |
| Gebirgszug in der Region Provence-Alpes-Cote d’Azur (PACA), eine | |
| Eisenbahnstunde nördlich von Marseille, würde man im modernen Tourismus | |
| wohl eine Themenreise nennen: Es ist, als habe sich Frankreich darauf | |
| geeinigt, alle Klischees des Savoir-vivre in eine Radtour zu packen und die | |
| in einer der hübschesten Gegenden des Landes anzusiedeln. Ökologisch | |
| wertvoll natürlich – der Luberon ist auch ein großer Naturpark. | |
| An Vorarbeiten für die Kampagne hat es nicht gefehlt: Bereits 1989 hat der | |
| englische Schriftsteller – und ehemalige Werbetexter – Peter Mayle ein Buch | |
| geschrieben, das die Provence innerhalb kurzer Zeit weltweit zu einem | |
| Traumziel machte. Mayle hatte sich im Luberon angesiedelt, in Ménèrbes um | |
| genau zu sein, und – weil ihm kein rechter Roman einfallen wollte – einfach | |
| ein Buch namens „Mein Jahr in der Provence“ geschrieben. Das mit Anekdoten | |
| über das „authentische“ provenzalische Leben gespickte Büchlein wurde zum | |
| Weltbestseller. | |
| ## Die Pariser den Luberon | |
| Plötzlich träumten nicht nur Engländer, sondern Gourmets und Genießer aus | |
| aller Welt vom friedlichen Leben in einem ausgebauten alten Steinhaus | |
| zwischen Lavendelfeldern und Lammbraten. Das „Phänomen Peter Mayle“ heizte | |
| die Immobilienpreise in der Provence gehörig an. Als vor einigen Jahren die | |
| Strecke Paris-Marseille durch den TGV auf 3 Stunden reduziert wurde, gab es | |
| kaum noch ein Halten: Zu den internationalen Provence- und | |
| Luberon-Liebhabern kamen nun auch die Pariser. | |
| „Die gesehen werden wollen, gehen nach Saint-Tropez, die, die nicht gesehen | |
| werden wollen, in den Luberon“, heißt es. Doch auch für Menschen ohne den | |
| dringenden Wunsch nach einem Steinhaus wurde die Gegend immer attraktiver. | |
| Diese Leute zu sammeln und auf den richtigen Weg zu bringen, dafür sorgt | |
| seit einigen Jahren ein kleines aber höchst effektives und professionelles | |
| Büro. | |
| Stéphanie Bailly ist eine liebenswerte, kurzhaarige Französin, die – nach | |
| einem Jahr Studium in Berlin – ausgezeichnet Deutsch spricht. Mit ein paar | |
| Kollegen residiert sie in einem freundlichen Büro in Robion, mitten im | |
| Luberon und organisiert von dort das Netzwerk „Vélo Loisir Luberon“, (das | |
| sich seit Neuestem „Vélo Loisir Provence“ nennt, weil noch andere Routen | |
| hinzugekommen sind). | |
| ## Kulinarische Highlights | |
| Vélo Loisir – was man mit „Muße auf dem Fahrrad“ übersetzen könnte �… | |
| ein Projekt, das dem Frankreich der Tour de France eine ausgesprochen | |
| gemütliche und lustvolle Variante gegenüberstellt. Die zu erwartenden | |
| Dopingskandale des Projektes werden sich vor allem um die Einnahme solcher | |
| Substanzen wie gutem provenzalischen Wein und vorzüglichem Essen drehen. | |
| Die sportlichen Höchstleistungen der von dem Büro liebevoll ausgearbeiteten | |
| Touren halten sich in Grenzen, die kulturellen, und kulinarischen | |
| Highlights lassen die Tour de France dagegen ziemlich blass aussehen. | |
| Ein wenig davon zeigt uns Stéphanie persönlich und begleitet uns auf der | |
| ersten Halb-Etappe bis nach Oppède le vieux – eine besondere Perle des | |
| Luberon. „Überall die ans Herz greifende Schönheit des Niedergangs“, hei�… | |
| es in einem Reiseführer von 2001 über den Ort. Geschichte, wohin man | |
| blickt. Der Dichter des „Kleinen Prinzen“, Antoine de Saint-Exupéry soll | |
| hier kurz vor seinem Tod die Langsamkeit entdeckt haben. | |
| ## Alze Prachtbauten und Ruinen | |
| Ganz in der Nähe, in Lacoste, feierte der Marquis de Sade etwas früher noch | |
| seine Orgien. Alte Prachtbauten mit Renaissancefassaden, verfallene Gebäude | |
| und dann mittendrin das hübsch verschlafen gelegene „petit café“. | |
| Das steuert Stéphanie an. „Pausen sind genauso wichtig wie das Fahren.“ | |
| Angeboten wird ein dreigängiges Mittagsmenu, wobei man sich zwischen | |
| Kalbsnierchen in Porto, einem eher schlanken „Lapin“ oder einem Kabeljau | |
| entscheiden kann. Über die „croustade de chèvre“ und die feinen Desserts | |
| kein Wort. Aber es ist schwer über den Luberon zu schreiben, ohne immer | |
| wieder aufs Essen zu kommen. | |
| Gestärkt machen wir uns auf den fast schon schweißtreibenden Weg zu den | |
| Ockerminen von Bruoux, kurz vor Apt. Das sind über 30 Kilometer und es geht | |
| am Ende ganz schön aufwärts. Stéphanie hat uns – dramaturgisch wertvoll – | |
| für den ersten Tag normale Fahrräder besorgt. | |
| Über alte, sauber asphaltierte Bahntrassen geht es Richtung Gargas. Vor den | |
| beeindruckenden abgeschabten gelben Hügeln treffen wir Nathalie, die uns | |
| mit einem hübschen Kauderwelsch aus Deutsch und Französisch durch die | |
| kathedralenartigen Stollen der alten Mine führt. | |
| ## Blütezeit des Ockerabbaus | |
| Von 1884 bis in die 1950er Jahre wurden hier auf einer Länge von 40 | |
| Kilometer pro Jahr etwa 1.300 Tonnen ockerhaltigen Sandes abgebaut. „Der | |
| Ockerabbau erlebte in diesen Jahren zusammen mit dem Kautschuk seine | |
| Blütezeit – aber dann auch seinen Niedergang“, berichtet Nathalie. Das | |
| Pigment wurde Kautschuk zur Verdickung beigemischt, und man machte | |
| Schnuller und Fahrradschläuche daraus. Heute, im Plastikzeitalter, wird | |
| hier nichts mehr abgebaut. Als Ausflugsziel aber hat Vélo Loisir in seine | |
| Route „les Ocres à vélo“ eingebaut. | |
| Apt mit der feinen Herberge La Providence, einem jener Mayle’schen | |
| Traum-Steinhäuser, wird zum Wendepunkt unserer sechstägigen Tour. Ab nun | |
| haben wir die E-Bikes, ab nun können wir uns ganz der Landschaft, den | |
| Gerüchen und den sinnlichen Genüssen der Provence widmen. Man mag es für | |
| ein Rentnervergnügen halten, mit elektrischer Verstärkung durch die | |
| Landschaft zu rollen. Doch der eingebaute Rückenwind bringt den Luberon für | |
| uns zum Tanzen. | |
| Und die Entfernungen schrumpfen: Die Strecke Forcalquier – Manosque, | |
| immerhin fast 30 Kilometer, schaffen wir bei durchgehend strömendem Regen | |
| in weniger als eineinhalb Stunden. Ein bisschen Strampeln möcht’ schon | |
| sein. Aber auch diese Regentour ist keine Tour der Leiden, sondern ein | |
| Vergnügen, das jede Autofahrt in dieser Gegend als ein läppisches, | |
| stinkendes Brutalo-Tourismus-Unternehmen erscheinen lässt. | |
| ## Helden der Landstraße | |
| Nein, wir von Vélo Loisir sind die Helden der Landstraße. Lance Armstrong | |
| und Konsorten, die sich oft am nahen Mont Ventoux herumtreiben, sind | |
| dagegen blinde Leistungsfetischisten ohne jedes Savoir-vivre. Man sieht ja | |
| was aus ihnen geworden ist. | |
| Radfahren, so scheint Frankreich erkannt zu haben, ist eine zu fröhliche | |
| Sache, um sie den Profis zu überlassen. Das Land hat es verdient, nicht mit | |
| hechelnder Zunge sondern mit genussvoll schnalzender bereist zu werden. Die | |
| Arbeit, die Vélo Loisir seit Jahren in die Planung und den Ausbau der | |
| Routen gesteckt hat, ist bemerkenswert. | |
| Das Netzwerk, ein Zusammenschluss von Fahrradverleihern, Reisebüros, | |
| Unterkünften, Restaurants und kulturellen Einrichtungen, hat eine | |
| Infrastruktur aufgebaut, die den Luberon von seiner liebenswertesten Seite | |
| zeigt. Besonders hilfreich auf diesen „voies vertes“ sind dabei – neben d… | |
| umfangreichen Infos – auch die vielen Schilder, die an wirklich jeder | |
| Kreuzung den Weg weisen. Und zwar im und gegen den Uhrzeigersinn: Man kann | |
| den Luberon links wie rechts herum tanzen, verloren geht hier keiner. Und | |
| selbst wenn: Wo der Weg das Ziel ist, kann man auch von ihm abkommen. | |
| Es sind – wie gesagt – ohnehin die Pausen, die die Tour rund und prall | |
| machen: Eine Fahrt mit der Montgolfiere in Forcalquier, eine Weinprobe in | |
| Mirabeau, der Samstagsmarkt in Pertius, Spaziergänge durch die liebliche | |
| Altstadt von Manosque oder das imposant gelegene Lauris … | |
| ## Lavendel und Rosmarin | |
| Man kann sie schon verstehen, die Liebe zum südfranzösischen Steinhaus. Im | |
| L’Ousteau du Luberon in Villelaure begrüßt uns gar ein tibetanischer Mönch, | |
| der hier mit seinen Schülern meditiert. Dazu der Duft von Lavendel und | |
| Rosmarin, die Eichenwälder, in denen Trüffel „angebaut“ werden, der Wein, | |
| die Olivenbäume, die Zypressen. Und in den Städtchen: die Platanen. Ein | |
| Ambiente, das in einem schnell dieses französische Gefühl auslöst, das nach | |
| Ziegenkäse, Côte du Luberon, Wildschwein und Baguette dürstet – und nach | |
| ein bisschen Strom, um mit vollem Akku den nächsten Ort anzusteuern. | |
| Natürlich kann man die Tour um den Luberon auch mit normalen Fahrrädern | |
| machen. Das E-Bike bringt einfach ein Luxus-Sternchen mehr. Gott in | |
| Frankreich hätte es benutzt. Warum nicht auch alle anderen über 50? | |
| *Die Reise wurde vom regionalen Tourismusbüro Provence-Alpes-Côte d’Azur | |
| und von Vélo Loisir Provence unterstützt. | |
| 14 May 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Pampuch | |
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