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# taz.de -- Kolumne Kulturbeutel: Kunstwerke auf Rädern
> Die Rennrad-Geometrie hat sich seit Jahrzehnten kaum geändert.
> Stromlinienoptimierte Sonderanfertigungen sind Geschichte – und
> Kunstobjekte.
Bild: Mit diesem Rad legte Miguel Indurain 1994 in einer Stunde 53,327 Kilomete…
Früher liefen die Bremskabel noch in geschwungenen Linien hoch über dem
Lenker. Die Fahrer banden sich Ersatzschläuche wie einen Rucksackverband
über Brust und Rücken. Und die Rahmen bestanden meist aus schmalen
stählernen Rohren. Ein Rennrad sah aus, wie ein Rennrad eben aussieht.
Irgendwie ist das bis heute so, auch wenn andere Materialien eingesetzt
werden, die Rohre bisweilen arg fett daherkommen und die Felgen wie
aufgeblasen wirken. Die Geometrie der Rennräder hat sich über die Dekaden
kaum geändert.
Heutzutage sehen sogar die Zeitfahrmaschinen aus wie Rennräder. Das
Reglement sieht vor, dass Räder, die in Rennen benutzt werden, ungefähr so
aussehen müssen wie Räder, die man im Laden kaufen kann. Die irrwitzigen
Sonderanfertigungen, mit denen der schottische Tüftler Graeme Obree oder
Miguel Indurain, der spanische Tour-de-France-Dauersieger der 90er Jahre,
Stundenweltrekorde auf der Bahn aufgestellt haben, dürfen nicht mehr
verwendet werden. Die Zeiten, die mit den stromlinienoptimierten Rennern
aufgestellt wurden, sind aus den Bestenlisten gestrichen worden.
Die Renner selbst sind zu Kultgegenständen geworden, zu Studienobjekten von
Designjüngern, zu Kunst. Als Mitte Mai im noblem Wiener Auktionshaus
Dorotheum die Fahrradsammlung des Wiener Designers und Architekten Michael
Embacher versteigert wurde, sind die Räder bewundert worden wie die
Schöpfungen der größten Maler in der Menschheitsgeschichte.
Ein oranges Klapprad aus dem Hause Duemila von 1968, dessen
götterbotentauglich geformter Kettenschutz besonders auffällig daherkommt,
hat für über 1.000 Euro den Besitzer gewechselt. Ein 8,3 Kilo leichter
Alu-Renner aus dem Jahre 1937, dem in Berlin jeder Connaisseur absolute
Hipstertauglichkeit attestieren würde, ist für über 8.000 Euro ersteigert
worden.
Und eine Replik jener viel besungenen Zeitfahrmaschine, mit der der
Italiener Franceso Moser 1984 satte 51,151 Kilometer in 60 Minuten gefahren
ist und damit einen damals fabelhaften Stundenweltrekord aufgestellt hat,
war jemand 18.750 Euro wert. Der Altmeister persönlich hat das Rad
signiert, was den Wert wohl mehr erhöht hat als das Vorleben des Gefährts.
## Lasergesinterter Lenker
Das hatte sich ein österreichischer Rennradler anfertigen lassen,
wahrscheinlich um mal ganz nach oben in die Radsportwelt aufzusteigen.
Gelungen ist dies jenem Mann namens Bernhard Rassinger indes nicht. Der
Titel des österreichischen Staatsmeisters von 1985 ist sein einziger großer
Erfolg geblieben – und den hat er auf einem gewöhnlichen Rennrad errungen.
Das elegante Moser-Bike mit den vollverkleideten Laufrädern und dem
riesigen Hinterrad kaufte er sich erst danach. Heute kann er immerhin von
sich sagen, dass er einmal ein Kunstwerk besessen hat.
Ob das Rad, mit dem der britische Superradler Bradley Wiggins vor ein paar
Wochen einen neuen Stundenweltrekord aufgestellt (54.526 Kilometer) hat,
jemals als Kunstwerk in die Designgeschichte eingehen wird, ist ungewiss.
Zumindest der Rahmen entspricht dem Reglement und ist allein deshalb
relativ uninteressant. Spannender wird es da schon, wenn man sich den
Lenker betrachtet. Der ist speziell für Wiggins ausgedruckt worden. Ein
lasergesintertes Teil ist dieser Lenker – persönlich angepasst an die
ergonomischen Bedürfnisse von Bradley Wiggins.
So geht’s nicht, sagt da Alex Dowsett, der Engländer, dessen bis dato
bestehenden Stundenweltrekord Wiggins gebrochen hat. Und irgendwie hat er
ja recht. In welchem Fahrradladen kann man sich schon einen Lenker
ausdrucken lassen – noch dazu im selektiven Lasersinterverfahren? Eines
jedoch steht fest: Zumindest dieses elegante Etwas mit den flügelgleichen
Auflageflächen für die Unterarme hat das Zeug zum Kunstwerk.
10 Jul 2015
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
## TAGS
Stundenweltrekord
Kunst
Design
Tour de France
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Radsport
E-Bikes
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