# taz.de -- Radfahren in den Niederlanden: Die großen Abfahrer | |
> Die Tour de France startet in den Niederlanden. Dort ist Radfahren | |
> Alltagskultur. Mit politischem Druck gelang es, den Autoverkehr | |
> zurückzudrängen. | |
Bild: Fest im Griff der Tour de France: Utrechts Innenstadt trägt Gelbes Triko… | |
Utrecht taz | In dem Schuppen vor dem Bahnhof von Utrecht haben 20.000 | |
Fahrräder Platz. Die Stadt, in der am Samstag die Tour de France ihren | |
Grand Depart, die große Abfahrt, zelebriert, beweist, dass man die | |
Niederlande getrost als Herzland des Radsports bezeichnen kann. Und damit | |
ist zugleich der Beweis erbracht, dass man manchmal auch | |
Kommerzveranstaltungen eine gute Seite abgewinnen kann. | |
Die Niederlande mögen nicht die Erfinder der Fortbewegung auf zwei Rädern | |
sein, aber bei ihnen wurde sie zur Kultur. Erfunden hat das Fahrrad | |
bekanntlich der badische Forstbeamte Karl Freiherr von Drais um 1817. Auch | |
das früheste Radrennen der Welt führte nicht durch die Niederlande, sondern | |
durch Paris 1867. Und das erste Rennen zwischen zwei Städten fand 1869 auch | |
in Frankreich statt, nämlich von Paris nach Rouen. Sogar der eigenen | |
Produktion dieser Fortbewegungsmittel ging zunächst der Zwang zum Import | |
voraus: Die ersten Hollandräder wurden erst 1869 in Deventer gebaut. | |
Die Holländer sind also keine großen Erfinder im Fahrradgewerbe. Doch ihre | |
Radkultur drückt sich unter anderem in der von Touristen bestaunten | |
Vorfahrtregelung für Radfahrer bei Kreisverkehren aus. Oder in den 20.000 | |
Rädern vor dem Bahnhof von Utrecht. | |
Radkultur in den Niederlanden ist aber vor allem dies: dass man alles per | |
Rad erledigt. Verliebte Paare fahren Händchen haltend jeder auf seinem Rad | |
nebeneinander durch den Berufsverkehr. Eltern transportieren Kinder vorn im | |
Korb oder hinten im Anhänger. Manch Fahrradfahrer führt ein zweites für | |
einen Freund mit sich. Ein anderer stellt sich sogar auf den Gepäckträger | |
und genießt die erhöhte Perspektive. | |
Man sieht holländische Reisende, die entspannt den Rollkoffer nach sich | |
ziehen, wenn sie mit dem Rad zum Bahnhof fahren. Wieder andere lassen sich | |
vom angeleinten Hund ziehen. Manche Radfahrer spannen bei Regen den Schirm | |
auf, halten dabei nicht mal an und fahren einfach weiter. Und die Polizei | |
schaut bei all diesen alltäglichen Geschicklichkeitsübungen freundlich zu. | |
## Langsam – aber konsequent | |
Dass Radfahren in den Niederlanden bei Politik und Polizei gleichermaßen | |
eine hohe Wertschätzung genießt, hat Gründe. Stau, Smog und Unfalltote | |
durch den zunehmenden Autoverkehr sowie die durch steigende Ölpreise | |
ausgelöste Energiekrise sind hier zu nennen. Als 1971 die Zahl der | |
Verkehrstoten auf mehr als 3.000 Menschen, darunter 450 Kinder anstieg, | |
hielten engagierte Mütter Transparente mit der Aufschrift „Stop | |
Kindermoord“. | |
Die Politik reagierte, langsam zwar, aber immerhin konsequent. Die | |
Radinfrastruktur wurde ausgebaut. 26 Euro jährlich gibt die | |
Fahrradwelthauptstadt Groningen mittlerweile pro Kopf für Investitionen in | |
den Fahrradverkehr aus. In Amsterdam sind es 25 Euro. In London, das seit | |
einigen Jahren aufholt, waren es laut einer von der BBC zitierten Statistik | |
der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit immerhin 11,50 | |
Euro. | |
Berlin, mit knapp 1,6 Millionen Fahrten mit dem Rad pro Tag wenigstens in | |
dieser Disziplin Europas Radhauptstadt, dümpelte mit 2,40 Euro | |
Investitionsmittel pro Jahr und pro Nase deutlich hinterher. Sollte es den | |
Senat reizen, mal wieder wegen eines Grand Departs der Tour vorzufühlen, | |
dann sollte zunächst hier draufgepackt werden. | |
In dem Kontext der Ausgaben für fahrradfreundliche Städte wirken dann auch | |
die etwa vier Millionen Euro, die Utrecht für den Grand Depart an | |
Veranstalter Amaury Sport Organisation (A.S.O.) zahlte, als schlaue | |
Investition. | |
## Dopingmissbrauch aufgearbeitet | |
Auf den Profiradsport wirkten sich die Folgen der „Kindermoord“-Kampagne | |
übrigens auch aus. Die Radrevolution im holländischen Alltag korrelierte | |
mit den goldenen Zeiten des heimischen Profiradsports in den siebziger und | |
achtziger Jahren. | |
Als es hingegen die ersten Todesfälle von vornehmlich holländischen und | |
belgischen Radprofis aufgrund frühen Epo-Dopings gab, endete die | |
Erfolgsspur. Aus dem Jahr 1989 datiert das letzte Gelbe Trikot eines | |
holländischen Profis bei der Tour. Im Herbst 1989 und Frühjahr 1990 starben | |
die ersten, mit Dopingkonsum in Verbindung gebrachten Profis. Sie waren die | |
Versuchskaninchen eines ganzen Gewerbes. Dem Leistungssport des | |
Tourgastgebers brachte dieser bizarre Erfahrungsvorsprung kein Glück. | |
Anders als in Deutschland arbeitete eine Kommission des Verbands den | |
Dopingmissbrauch auf. Man kann aus der Vergangenheit lernen. Große | |
Hoffnungen beim Grand Depart in Utrecht. | |
3 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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