# taz.de -- Neonazi-Aufmarsch in Berlin: 350 statt 50.000 Teilnehmer | |
> Einen „Sturm auf den Reichstag“ hatten Rechte für den 9. Mai angekündig… | |
> Es kamen nur wenige und die lauschten wirren Reden. | |
Bild: Die Gegendemonstranten standen am anderen Ufer der Spree. | |
BERLIN taz | 50.000 wollten sie werden, um gemeinsam den Reichstag zu | |
stürmen, sogar eine eigene App sollte es geben. „Wenn der Code 45 auf der | |
App erscheint, stürmen wir los“, hieß es auf rechten Internetseiten. Doch | |
aus der rechtsextremen Großkundgebung, die am Samstag am Hauptbahnhof | |
stattfinden sollte, wurde nichts: Gerade einmal 350 Menschen versammelten | |
sich am Nachmittag, vom angekündigten Reichtagssturm war gar nicht mehr die | |
Rede. | |
Ein Stelldichein der rechten Szene war die Veranstaltung dennoch: Der | |
Berliner NPD-Vorsitzende Sebastian Schmidtke war ebenso unter den | |
Teilnehmern wie der Pro Deutschland-Bundesvorsitzende Manfred Rouhs, der | |
rechte Publizist Jürgen Elsässer, der zu dieser Kundgebung „gegen die | |
Islamisierung und Amerikanisierung Europas“ aufgerufen hatte, und | |
Angehörige der Reichsbürger-Bewegung, nach deren Ansicht Deutschland seit | |
1945 ein besetztes Land und außerdem eine GmbH ist. | |
Dieser Schulterschluss zwischen klassischen rechtsextremen Inhalten und | |
Verschwörungstheorien prägte auch die Redebeiträge: Das deutsche Volk müsse | |
sich endlich gegen die amerikanische Besetzermacht zur Wehr setzen, | |
Flüchtlinge seien eine Bedrohung für die deutsche Kultur und der | |
„Gender-Wahnsinn“ verderbe die Jugend. „Wer Deutschland nicht liebt, soll | |
Deutschland verlassen“, skandierten Teilnehmer. Neben Deutschlandfahnen | |
dominierten Flaggen der islamfeindlichen Organisation German Defence League | |
das Bild. | |
Auf der anderen Seite der Spree unweit des Bundeskanzleramts – die Polizei | |
hatte die Brücken und Straßen rund um die Nazi-Kundgebung abgesperrt – | |
versammelten sich etwa 500 Teilnehmer einer Gegenkundgebung, die das linke | |
„Bündnis 9. Mai“ organisiert hatte. „Wir sind heute hier, damit die Nazis | |
nicht ungestört ihre rassistischen, antisemitischen und | |
menschenverachtenden Ansichten verbreiten können“, so Bündnissprecherin | |
Nina Baumgärtner. | |
## Versuchter Angriff auf Gegendemo | |
Die großen Transparente, die die Gegendemonstranten am Spreeufer | |
ausgespannt hatten, waren auch auf der anderen Seite deutlich zu sehen. | |
Trotzdem: Die beiden Lager waren durch die Polizeiabsperrungen zunächst | |
voneinander getrennt. Kurz vor 16 Uhr änderte sich das plötzlich: Wie aus | |
dem Nichts tauchten etwa 40 Gegendemonstranten rund um die Kundgebung auf, | |
hielten Transparente und störten mit Sprechchören und Trillerpfeifen die | |
rechte Veranstaltung. | |
Etwa die Hälfte der Teilnehmer der Nazi-Kundgebung stürmte daraufhin auf | |
die Gegendemonstranten zu und versuchte, sie anzugreifen; eine aus der | |
Nazi-Kundgebung geworfene Flasche verfehlte nur knapp eine Passantin. Die | |
Polizei hatte zunächst Mühe, die Nazis zurückzudrängen. „In dieser | |
Situation hat sich klar gezeigt, wes Geistes‘ Kind diese Leute sind – da | |
zeigt jemand eine Antifa-Fahne, und sie drehen völlig durch“, sagte dazu | |
Bianca Klose, die vor Ort anwesende Leiterin der Mobilen Beratung gegen | |
Rechtsextremismus Berlin. | |
Für Benjamin Steinitz von der Recherche- und Informationsstelle | |
Antisemitismus (RIAS) war diese Kundgebung ein Beispiel für eine neue | |
Strategie der extremen Rechten: „Dass Anhänger von Verschwörungstheorien, | |
klassisch organisierte Neonazis und Rechtspopulisten gemeinsame Sache | |
machen, beobachten wir im Internet schon länger“, sagt er. „Dass diese | |
Mischung aber auch auf der Straße gemeinsam auftritt, ist eine | |
vergleichsweise neue Entwicklung.“ | |
Kurz vor Ende der Gegenkundgebung kam es dort noch zu einer Situation mit | |
der Polizei, die für Unruhe sorgte: Nach einer Festnahme eines | |
Gegendemonstranten, der versucht hatte, einem zur Provokation in die | |
Gegenkundgebung gelaufenen Reichsbürger die Fahne abzunehmen, verlor ein | |
Polizist offenbar für einen Moment die Kontrolle: Er jagte sein | |
Polizeifahrzeug mit einem Satz in die Menge der Gegendemonstranten, eine | |
Frau konnte sich nur durch eine Sprung zur Seite vor dem Fahrzeug retten. | |
Das Bündnis 9. Mai erwäge, Anzeige gegen den Beamten zu stellen, so | |
Sprecherin Baumgärtner. | |
10 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
## TAGS | |
Protest | |
Berlin | |
Schwerpunkt Neonazis | |
Reichsbürger | |
Schwerpunkt Neonazis | |
Nazis | |
European Maccabi Games | |
Razzia | |
Schwerpunkt Neonazis | |
Tag der Arbeit, Tag der Proteste | |
Angriff | |
Tröglitz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Reichsbürger-Bewegung: Rechte Intensivtäter spielen Polizei | |
Die Staatsanwaltschaft Dresden ermittelt gegen rechtsextreme Reichsbürger. | |
Diese erkennen die Bundesrepublik nicht an. | |
Ex-Landser-Sänger in Berlin: Polizei ignoriert Nazikonzert | |
Szeneintern wird für ein Lunikoff-Konzert geworben, das Samstag an einem | |
geheimen Ort stattfinden soll. Die Karten verkauft NPD-Chef Schmidtke. | |
Sauffestival in Berlin ohne Nazis: Odin-Trunk gibt‘s nicht mehr | |
Das Bierfestival war lange ein Wohlfühlort für Neonazis. Das hat sich | |
geändert – dank einer intensiven Beratung und eines engagierten | |
Veranstalters. | |
Online-Meldestelle für Antisemitismus: „Die Gefühle der Opfer zählen“ | |
Für Betroffene antisemitischer Übergriffe gibt es eine neue Meldeplattform | |
im Internet. Ein noch immer aktuelles Problem soll sichtbarer werden. | |
Razzien bei „Oldschool Society“: Mit blutigem Beil und SS-Rune | |
Migranten nannten sie „Primaten“, Asylheime und Moscheen waren ihr Ziel. | |
Die OSS-Anhänger präsentierten sich offen im Netz. | |
Kommentar Bilanz 1. Mai: Ein Fest für Neonazis | |
Der 1. Mai waren vielerorts so friedlich wie nie, dabei inhaltlich und in | |
der Form vielfältig. Die Flüchtlingspolitik aber wurde von den Falschen | |
thematisiert. | |
Protest gegen NPD-Kundgebungen: Rechtsextreme auf verlorenem Posten | |
Mehr als 1.000 Menschen demonstrieren gegen zwei Kundgebungen der Neonazis. | |
Angriffe von Neonazis: Deutlich mehr rechte Gewalttaten | |
In den ersten beiden Monaten des Jahres gab es bereits 98 Angriffe von | |
Neonazis, deutlich mehr als im Jahr zuvor. Dabei seien 67 Menschen verletzt | |
worden. | |
Rechte Gesinnung in Deutschland: Tröglitz ist kein Einzelfall | |
Anschläge mit rechtsradikalem Hintergrund gibt es bundesweit. In | |
Sachsen-Anhalt sind ausländerfeindliche Einstellungen aber besonders | |
verbreitet. |