# taz.de -- SPD-Kandidat Jan Stöß über Berlin: „Ich will die Stadt veränd… | |
> Landeschef Stöß will, wenn er das SPD-Mitgliedervotum gewinnt, als | |
> Regierender nicht nur sparen – und traut sich dennoch zu, den BER zum | |
> Erfolg zu bringen. | |
Bild: „Eine Koalition mit der SPD als Juniorpartner wird es mit mir nicht geb… | |
taz: Herr Stöß, wie gut kennen Sie Ihre Partei? | |
Jan Stöß: Ich bin seit 24 Jahren in der Partei aktiv, vom Juso über den | |
Abteilungsvorsitz, als Kreisvorsitzender und nun seit zweieinhalb Jahren | |
als Landesvorsitzender. Ich bin damals mit dem Ziel angetreten, dass die | |
Partei wieder eine größere Rolle spielen soll, dass die Spitze näher an die | |
Basis rückt. Deshalb bin ich auch viel in den Abteilungen unterwegs. Ich | |
würde sagen, ich kenne die Partei ganz gut. | |
Dann können Sie bestimmt eine Prognose abgeben, wie der Mitgliederentscheid | |
über die Nachfolge von Klaus Wowereit ausgehen wird. | |
Da wir erst am Anfang des Verfahrens sind, will ich darüber nicht | |
spekulieren. Aber als Landesvorsitzender gehe ich mit Zuversicht ins | |
Rennen. | |
Es ist aber schon etwas anderes, die Mehrheit der rund 17.000 Mitglieder | |
und nicht die der Delegierten bei einem Parteitag gewinnen zu müssen. Über | |
80 Prozent sind ja reine Beitragszahler und keine Aktiven. | |
Es ist schon mal nicht schlecht, wenn man die Mehrheit des Landesparteitags | |
hinter sich hat. Aber Sie haben recht: Der Mitgliederentscheid ist | |
tatsächlich etwas anderes. Es gibt durchaus eine große Gruppe von | |
Mitgliedern, die nicht bei Abteilungssitzungen auftauchen oder zu den | |
Sommerfesten gehen. Viele Mitglieder arbeiten zum Beispiel in den | |
Bundesministerien, bei der Bundestagsfraktion oder in der | |
Friedrich-Ebert-Stiftung. Die sind in der Bundespolitik engagiert, machen | |
sich aber auch ein Bild über die Politik in Berlin. Auch für diese | |
Mitglieder muss die Berliner Landespartei ein Angebot machen. | |
Als Parteichef hätten Sie auch die Möglichkeit gehabt, für ein anderes | |
Verfahren zu werben als einen Mitgliederentscheid. | |
Ich habe das Mitgliedervotum vorgeschlagen, weil ich davon überzeugt bin, | |
dass es richtig ist, dass alle Mitglieder über den nächsten Regierenden | |
entscheiden sollen. Da freue ich mich drauf. So funktioniert Demokratie. | |
Und derjenige, der sich jetzt der Wahl stellt und Regierender Bürgermeister | |
wird, wird 2016 auch den Wahlkampf bestreiten. Das ist ein guter Auftakt | |
dafür. | |
Und ein innerparteilicher Machtkampf. | |
In einer demokratischen Partei darf es auch mehr als einen Kandidaten | |
geben. Es ist ja in den letzten Wochen viel davon die Rede gewesen, dass | |
sich die SPD in dieser Frage zerlegen wird. Dass sie abstürzen wird. Aber | |
das Gegenteil ist der Fall. Wir hatten schnell eine Einigung auf ein | |
Verfahren, und in den aktuellen Umfragen haben wir vier Prozentpunkte | |
gewinnen können. | |
Was haben Sie denn gedacht an diesem Tag, an dem Sie erfahren haben, dass | |
Klaus Wowereit zurücktreten will? | |
Klaus Wowereit hat mich an diesem Morgen angerufen. Es war sicher für alle | |
eine Überraschung, dass es an diesem Tag passierte. Dass er eine | |
Entscheidung treffen würde, hatte sich aber abgezeichnet. | |
War Ihnen auch sofort klar, dass Sie den Hut in den Ring werfen? | |
Natürlich macht man sich so eine Entscheidung nicht leicht. Es ist eine | |
Herausforderung, die man sich gut überlegen muss. Aber ich traue mir das | |
zu. Wenn dem nicht so wäre, hätte ich im Mai nicht als Landesvorsitzender | |
der SPD kandidieren dürfen – denn damit ist natürlich auch die Aufgabe | |
verbunden, die Partei in die Wahl 2016 zu führen. | |
Was haben Sie gedacht, als mit Michael Müller aus dem Zweikampf zwischen | |
Ihnen und dem Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh plötzlich ein Dreikampf | |
wurde? | |
Das hat mich nicht überrascht. Mit den drei Persönlichkeiten haben wir auch | |
die Möglichkeit, die unterschiedlichen Akzente und Politikansätze deutlich | |
zu machen. Mit der Kandidatur von Michael Müller stehen darüber hinaus zwei | |
verschiedene Wege für die SPD zur Abstimmung. | |
Welche Wege sind das? | |
Michael Müller verkörpert als langjähriger Weggefährte und Stellvertreter | |
Klaus Wowereits eine Fortsetzung der bisherigen Politik. Ich stehe dafür, | |
dass wir jenseits der Erfolge, die wir in Berlin haben, in einigen | |
Bereichen auch einen Neuanfang und frischen Wind brauchen. | |
In einigen? In welchen? | |
Berlin hat sich verändert. Es ist heute eine andere Situation als 2001. Die | |
Stadt wächst, und sie wächst rasant. Diese neue Zeit braucht neue | |
Antworten. Das heißt, wir müssen wieder mehr in unsere Infrastruktur | |
investieren, mehr für sozialen Ausgleich in der auseinanderdriftenden Stadt | |
sorgen. Wir müssen die Verwaltung des Landes so ausstatten, dass sie gut | |
funktioniert. Wir müssen auch dafür sorgen, dass mehr private Investitionen | |
in der Stadt stattfinden. Sparen alleine reicht nicht mehr. | |
Machen Sie es sich nicht ein wenig einfach, wenn Sie die jahrelange | |
Erfahrung, die Stadtentwicklungssenator Müller mitbringt, auf das Stichwort | |
Kontinuität reduzieren und Ihre mangelnde Erfahrung mit Neuanfang | |
umschreiben? | |
Das ist keine PR-Maßnahme, sondern tiefe Überzeugung. Ich will die Stadt | |
wirklich verändern und nicht nur darüber reden. Das ist die Frage, die die | |
Mitglieder entscheiden müssen: Soll alles so bleiben, wie es ist, oder | |
haben wir die Kraft zur Veränderung? Ich bin davon überzeugt, dass sich die | |
SPD nach 25 Jahren Regierungsverantwortung auch aus sich selbst heraus | |
erneuern muss, um weiter erfolgreich zu sein. | |
Bislang kennen Sie Verwaltung nur aus Bezirkssicht. Reicht das, um | |
Regierungschef zu werden? | |
Das Amt eines Bezirksstadtrats für Finanzen, Kultur, Bildung und Sport in | |
Friedrichshain-Kreuzberg ist durchaus eine politische Herausforderung, | |
übrigens auch der SPD-Vorsitz dort. | |
Und dennoch bleibt es die Bezirksperspektive. | |
Als langjähriger Verwaltungsrichter und Anwalt im öffentlichen Recht kenne | |
ich die Verwaltung in den Bezirken, aber genauso im Land und im Bund, ihre | |
Stärken und Schwächen, ziemlich gut. Ich bin Landesvorsitzender, Mitglied | |
im Parteivorstand und Metropolenbeauftragter der Bundes-SPD und bringe eine | |
Menge politische Erfahrung mit. Im Übrigen geht es bei einem politischen | |
Amt nicht darum, wer schon am längsten dabei ist, sondern, wer die besten | |
Ideen dafür hat, wie es weitergehen soll. | |
Welcher Stil wäre der des Regierungschefs Jan Stöß? Manche sagen Ihnen ja | |
nach, dass Sie mit Menschen fremdeln. | |
Ach ja? Ich habe jetzt lesen müssen, ich sei als Gute-Laune-Wessi eine | |
Wowi-Kopie. Ich mag es tatsächlich, auf Menschen zuzugehen, ich kann aber | |
auch zuhören. Für mich ist es keine Belastung, bei Sommerfesten und bei den | |
Veranstaltungen vor Ort unterwegs zu sein. Ich finde das toll. Das war | |
schon immer so. | |
Wie ist es mit der Botschaft nach außen? Klaus Wowereit war ein Regierender | |
Bürgermeister, der ein guter Botschafter für das kreative Berlin war. | |
Das Kulturversprechen gehört zum großen Freiheitsversprechen Berlins. | |
Deshalb ist es gut, wenn der neue Regierende Bürgermeister auch | |
Kultursenator bleibt. Das will ich tun, damit die Kultur ihren besonderen | |
Stellenwert behält. Jemand hat gesagt: Die Kultur ist für Berlin so wichtig | |
wie der Hafen für Hamburg. Und das stimmt. | |
Mit Wowereits Rücktritt wird auch der Posten des Aufsichtsratschef beim BER | |
frei. Wollen Sie sich da einen ähnlich schlanken Fuß machen wie Dietmar | |
Woidke in Brandenburg und außen vor bleiben? | |
Wer neuer Aufsichtsratschef wird, bestimmt ja Berlin nicht alleine. Da | |
werden wir uns mit Brandenburg und dem Bund abstimmen. Vor allem mit | |
Brandenburg müssen wir wieder an einem Strang ziehen. Aber natürlich ist | |
das die zentrale Frage, die sich an den nächsten Regierenden Bürgermeister | |
richtet. Traut man es sich zu? Und trauen es einem die anderen zu, dieses | |
Projekt zu einem Erfolg zu bringen. | |
Trauen Sie es sich zu? | |
Sonst dürfte ich nicht für das Amt des Regierenden Bürgermeisters | |
kandidieren. | |
Das heißt, Sie würden auch den Posten des Aufsichtsratschefs übernehmen? | |
Der neue Regierende Bürgermeister wird sich, unabhängig von der | |
Aufgabenverteilung im Aufsichtsrat, reinknien müssen. Ich bin dazu bereit. | |
Wie stehen Sie denn zur Olympiabewerbung? | |
Berlin ist eine sportbegeisterte Metropole. Berlin kann also sicher | |
Olympische Spiele ausrichten. Ich war in London und habe die tolle Stimmung | |
beim Marathon erlebt. Das ist auch für Berlin eine große Chancen. Auf der | |
anderen Seite bleibt es dabei: Diese Spiele müssen sich der Stadt anpassen. | |
Und nicht die Stadt den Spielen. Das muss das IOC akzeptieren. | |
Eine Angst vor Olympia ist auch die vor steigenden Mieten. | |
Die Bewerbung kann einen Beitrag für mehr Wohnungen leisten, und die | |
brauchen wir in der Stadt. Wir müssen aber auch die Mieter schützen, die | |
schon eine Wohnung haben. Und die verstärkt betroffen sind von der | |
Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Wir dürfen Politik nicht nur | |
für die machen, die neu dazukommen, sondern auch für die, die hier heute | |
leben. | |
Ein solches Umwandlungsverbot scheiterte bislang an der CDU – auch weil | |
sich der Regierende nicht einmischte. Würden Sie das wieder auf die | |
Tagesordnung bringen und zur Not auch von Ihrer Richtlinienkompetenz | |
Gebrauch machen? | |
Das müssen wir mit großer Entschiedenheit wieder auf die Tagesordnung | |
setzen. Dieses Verbot trägt dazu bei, dem unseligen Spekulationsmodell | |
Umwandlung plus Scheinmodernisierung einen Riegel vorzuschieben. | |
Bei der Wahl 2016 wird die SPD vielleicht nicht mehr die stärkste Kraft | |
werden. | |
Doch. | |
Falls aber nicht, werden Sie dann die erste rot-rot-grüne Koalition | |
schmieden? | |
Ich stehe mit meiner Person dafür, dass verschiedene Koalitionsoptionen | |
möglich sind. Ich habe dafür gekämpft, dass die SPD vor den | |
Bundestagswahlen keine Optionen mehr ausschließt. So werden wir es auch im | |
Land halten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Zusammenarbeit in der | |
Koalition fortgesetzt wird. Aber natürlich auch nicht, dass es Gespräche | |
mit Grünen und Linken geben wird. | |
Würden Sie die Koalition denn auch als Juniorpartner fortsetzen? | |
Eine Koalition mit der SPD als Juniorpartner wird es mit mir nicht geben. | |
11 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
Uwe Rada | |
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