# taz.de -- Wikipedia-Eintrag von Christian Lindner: Wer bin ich? | |
> Kaum ein Wiki-Eintrag wurde 2012 so oft geändert wie der vom | |
> FDP-Hoffnungsträger. Die „Wirtschaftswoche“ übte Kritik und machte | |
> inoffizielle Verbesserungsvorschläge. | |
Bild: Maskenspiele: Die Versionsgeschichte von Lindners Biografie beinhaltet Be… | |
An viele Hoffnungsträger kann sich die dahinsiechende FDP nicht mehr | |
klammern. Als einer der letzten gilt Christian Lindner. Je tiefer der Stern | |
des amtierenden FDP-Bundesvorsitzenden Philipp Rösler sinkt, desto | |
strahlender erscheint das 34-jährige Polittalent aus Nordrhein-Westfalen. | |
Genau das wirft jetzt die WirtschaftsWoche (WiWo) [1][Lindner] vor. Dessen | |
Wikipedia-Eintrag sei 2012 „auffallend oft zum Positiven verändert worden“, | |
schreibt das konservative Blatt. Der Verdacht: Lindner lässt seinen | |
Lebenslauf „aufhübschen“. Die FDP weist den Vorwurf empört zurück. | |
In der Tat wurde kaum ein Wikipedia-Eintrag eines aktiven deutschen | |
Politikers im vergangenen Jahr so häufig geändert, wie der [2][Christian | |
Lindners]: rund 350 Mal. „Das Pikante: Ein bedeutender Teil scheint aus | |
Lindners Umfeld zu stammen“, glaubt die WirtschaftsWoche (WiWo) | |
herausgefunden zu haben. Sie wirft dem Partei- und | |
Landtagsfraktionsvorsitzenden der nordrhein-westfälischen FDP vor, „dass | |
Lindner oder sein Umfeld die machtpolitische Verschnaufpause im NRW-Landtag | |
offenbar auch dazu nutzt, die Deutungshoheit über die Biografie des | |
Liberalen zu erreichen“. | |
Unbestritten ist, dass Lindner immer wieder versucht hat, Einfluss auf | |
seine Darstellung in der Online-Enzyklopädie zu nehmen. Bei dem | |
Wikipedia-Eintrag gäbe es „immer wieder sachlich falsche | |
Tatsachenbehauptungen, etwa zu seinen politischen Positionen, seiner | |
früheren Berufstätigkeit oder sogar seiner Konfessionszugehörigkeit“, | |
begründet das der Sprecher der NRW-FDP, Moritz Kracht. „In diesen Fällen | |
senden wir Korrekturvorschläge an Wikipedia.“ | |
## Jede Änderung muss bestättigt werden | |
Etwas Anstößiges kann Kracht darin nicht erkennen. Schließlich lebe | |
Wikipedia „als freies und nicht kommerzielles Online-Lexikon von der | |
Mitwirkung aller, da nur so die Richtigkeit der Einträge sichergestellt | |
werden kann“. Außerdem müsse ja jede Änderung vom Autorenkollektiv | |
bestätigt werden. „Bei strittigen Fragen haben wir uns auf der | |
Diskussionsseite klar zu erkennen gegeben.“ | |
Ob Krachts Aussage in jedem Fall stimmt, ist schwer überprüfbar. Einiges | |
spricht dafür, dass es auch Änderungsversuche ohne offenes Visier gab. So | |
erscheint die Vorstellung doch recht lebensfremd, jener anonyme Schreiber, | |
der im Sommer 2012 unter der IP-Adresse 93.184.129.133 mehrere Dutzend | |
Änderungen vornahm, könnte nicht aus dem Dunstfeld der Düsseldorfer | |
FDP-Landtagsfraktion stammen. | |
Mal kürzte der Anonymus „alte Einzelforderungen aus 2011“ weg, mal wurde | |
von ihm eine Passage „sprachlich verbessert“, mal strich er eine kritische | |
Aussage mit der Begründung: „Einen Satz aus irgendeiner Rede herauszupicken | |
und dann als neoliberal zu bezeichnen ist nicht objektiv.“ Da sich die | |
IP-Adresse dem nordrhein-westfälischen Landtag zuordnen lässt, wird im | |
Diskussionsteil zum Lindner-Artikel gemutmaßt, ein „übereifriger | |
Fraktionspraktikant“ könne sich hier verlustiert haben. | |
Wie auch immer: Ist es statthaft, wenn ein Politiker versucht, Einfluss auf | |
seinen Wikipedia-Eintrag zu nehmen? Das Problem: Wikipedia ist häufig die | |
erste Quelle, die jemand zur Information nutzt. Entsprechend groß ist die | |
Wirkung. „Die Wikipedia ist die mächtigste NGO des digitalen Zeitalters“, | |
schrieb Dietmar Bartz unlängst in der [3][taz]. | |
## Diffamierungsversuche | |
Aber wie „klassische“ Enzyklopädien ist sie weder vor Fehlern noch vor | |
Manipulationsversuchen gefeit. Auch Scherzbolde haben längst das das | |
Mitmachlexikon [4][für sich entdeckt]. Weniger komisch ist es jedoch, wenn | |
der Wikipedia-Eintrag eines Politikers zum Kampffeld politischer Interessen | |
wird. Wer sich die Versionsgeschichte der Biografie Christian Lindners | |
anschaut, stößt nicht nur auf das Begehren seiner Unterstützer, kritische | |
Sätze herauszustreichen, sondern auch auf Versuche, den FDP-Star zu | |
diffamieren. | |
Ein Beispiel: In einer Talkshow hatte Lindner vor eineinhalb Jahren | |
freimütig eingeräumt, schon einmal gekifft zu haben. Das nahm ein Anonymus | |
zum Anlass für folgende Wikipedia-Ergänzung: „Ob es zwischen diesem | |
Ereignis und seinen erkennbar geröteten Augen während seiner Antrittsrede | |
als Generalsekretär der FDP einen Kausalzusammenhang gab, konnte nicht | |
abschließend erörtert werden. Ebenso wenig wurde thematisiert, wie Lindners | |
theoretische und praktische Bezugnahme auf andere Drogen aussieht.“ Der | |
Eintrag wurde schnell wieder gelöscht. | |
Fragwürdig wird es indes, wenn es nicht nur um die Streichung von | |
Verunglimpfungen oder die Korrektur falscher Tatsachendarstellungen geht. | |
So kritisiert die WirtschaftsWoche, dass es sich bei den Beiträgen, die | |
vermutlich aus dem Lindner-Umfeld stammen, nur selten darum gehe, Fakten | |
hinzuzufügen. Stattdessen werde „die Deutung von Ereignissen verschoben“. | |
Die Zeitung sieht hier einen „Graubereich zwischen Imagepflege und | |
Manipulation“. | |
Besonders heikel sei der Umgang mit Lindners missratenem Ausflug in die | |
glitzernde Welt der New Economy. Die von ihm kurz nach seinem erstmaligen | |
Einzug in den NRW-Landtag im Mai 2000 mitgegründete Moomax GmbH verbrannte | |
in der kurzen Zeit ihrer Existenz rund 2 Millionen Euro, über einen | |
Risikokapitalfonds stammten 1,4 Millionen Euro von der | |
öffentlich-rechtlichen KFW-Bank. | |
## „Solide Finanzen statt teure Versprechen“ | |
Ende 2001 musste die Insolvenz eingeleitet werden. Eine unerfreuliche | |
Episode für jemanden, der für sich im vergangenen NRW-Landtagswahlkampf mit | |
dem Spruch „Solide Finanzen statt teure Versprechen“ werben ließ. Seit | |
Jahren tobt deshalb bereits auf Wikipedia ein Streit um die angemessene | |
Darstellung der Pleite. | |
So ließ Lindner gleich mehrfach sein Büro intervenieren:„Hallo, wir haben | |
den Abschnitt noch einmal überarbeitet, und würden uns freuen, wenn Ihr die | |
Version von Christian Lindner akzeptieren könntet“, hieß es beispielsweise | |
im Juni 2011. Rückfragen könnten „gern an Christian Lindner direkt“ | |
gerichtet werden. | |
Doch dabei soll es nicht geblieben sein. Auch gegen die Quellen, auf die | |
sich kritische Wikipedaner berufen haben, soll aus FDP-Kreisen interveniert | |
worden sein. So habe ein Mitarbeiter Lindners im vergangenen Jahr | |
vergeblich versucht, einen Tagesspiegel-Artikel aus dem Jahr 2004 löschen | |
zu lassen, schreibt die WirtschaftsWoche. Auch ein Porträt, das 2010 im | |
Karriereportal im Handelsblatt Verlag erschien, hätte nachträglich | |
korrigiert werden sollen. Verfasst hatte es Konrad Fischer, der auch Autor | |
des jetzt erschienenen WirtschaftsWoche-Artikels ist. | |
Er habe Fischer freundlich um die Berichtigung einer unrichtigen | |
Tatsachenbehauptung in seinem früheren Beitrag gebeten, antwortet Moritz | |
Kracht auf taz-Anfrage. „Herr Fischer selbst hat uns daraufhin übrigens | |
eine Form der Bearbeitung von Wikipedia vorgeschlagen, der wir nicht folgen | |
wollten“, so der Sprecher der NRW-FDP. „Das hätte nicht unserer | |
transparenten Vorgehensweise entsprochen.“ Vor diesem Hintergrund sei es | |
„hanebüchen“, jetzt der FDP „Manipulation“ vorzuwerfen. | |
## Sonderbarer Vorschlag | |
Aus dem E-Mail-Verkehr zwischen Kracht und Fischer, der der taz vorliegt, | |
geht hervor, dass der Journalist tatsächlich der FDP einen etwas | |
sonderbaren Vorschlag unterbreitete: In die Biografie auf der Homepage | |
Lindners könnte ja ein Satz eingefügt werden, der der gewünschten Änderung | |
entspricht. „Sie können dann bei Wikipedia den Artikel so bearbeiten, dass | |
Sie den entsprechenden Satz rausnehmen, als Begründung haben Sie dann eine | |
widersprechende Quelle“, schreibt Fischer. „Das wird von Wikipedia dann | |
auch akzeptiert, da die Stelle dann als nicht mehr eindeutig belegt gilt“. | |
Das erscheine ihm „die für alle Seiten einfachste Lösung, oder?“ | |
Auf Nachfrage der taz kann Fischer an seinem Vorgehen nichts Fragwürdiges | |
entdecken. Schließlich lebe Wikipedia davon, dass sich auch Betroffene | |
beteiligen. Er kritisiere im konkreten Fall nur, dass sich Lindner offenbar | |
nicht immer zu erkennen gebe. | |
10 Jan 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.wiwo.de/politik/deutschland/wikipedia-manipulation-der-perfekte-… | |
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Lindner | |
[3] /Online-Enzyklopaedie-Wikipedia/!108078/ | |
[4] /Falschmeldungen-bei-Wikipedia/!108723/ | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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