# taz.de -- EU-Reform des Saatgutrechts: Fehlalarm bei Facebook | |
> Eine Falschmeldung über die EU-Reform des Saatgutrechts wird tausendfach | |
> verbreitet – und löst Empörung aus. Das nutzt die Agrarministerin. | |
Bild: Ilse Aigner, immer dicht dran an der Basis, bei den entrechteten Kleingä… | |
BERLIN taz | Wenn es um Saatgut geht, werden viele Menschen emotional. Denn | |
wer die Samen hat, kann bestimmen, was wir essen. Deshalb ist es nicht | |
verwunderlich, dass die geplante Reform des EU-Saatgutrechts derzeit auf | |
Internetseiten ein riesiger Aufreger ist. Das Problem: Die wichtigsten | |
Argumente sind falsch. | |
Den Aufruhr in Deutschland hat vor allem das Internetportal Deutsche | |
Wirtschafts Nachrichten (DWN) ausgelöst. Es behauptete in [1][einem Artikel | |
vom Dienstag], die EU-Kommission wolle den Anbau von alten und seltenen | |
Pflanzensorten „im privaten Garten“ unter Strafe stellen. Und: „Geht es | |
nach den Plänen der Kommission, dürfen Kleinbauern oder Privatleute ihr | |
selbst gezüchtetes Saatgut in Zukunft nicht einmal mehr verschenken.“ Denn, | |
so wird argumentiert, die Samen seien ja nicht amtlich zugelassen. Künftig | |
solle diese Zulassung aber auch für alte und seltene Sorten Pflicht sein. | |
Der DWN-Artikel nennt keine Quelle für die Behauptungen. Immerhin verweisen | |
die beiden in dem Text zitierten österreichischen Umweltorganisationen | |
[2][Arche Noah] und [3][Global 2000] auf einen Verordnungsentwurf, den die | |
federführende Generaldirektion der EU-Kommission Ende des Jahres 2012 | |
erstellt hat. | |
In diesem Papier steht ausdrücklich, dass die neuen Regeln EU-weit nur für | |
Akteure gelten sollen, die „professionell“ zum Beispiel anbauen oder | |
züchten. Allerdings wäre es Landwirten und Gärtnereien danach tatsächlich | |
verboten, nicht zugelassene Sorten weiterzugeben. Doch das ist nichts | |
Neues: „Da es sich dann um ein gewerbliches Inverkehrbringen handelt, ist | |
das schon jetzt in Deutschland nicht erlaubt“, sagt der zuständige | |
Referatsleiter im Bundessortenamt, Hermann Freudenstein, der taz. Sehr wohl | |
steht in dem Kommissionsentwurf hingegen, dass historische Sorten künftig | |
einfacher zugelassen werden sollen als zum Beispiel kommerzielles | |
Hochleistungssaatgut. | |
## Vage Quellenlage | |
Auf eventuelle Fehler in dem Artikel angesprochen, blieben die DWN bei | |
ihrer Darstellung. Die Redaktion berief sich in einer Mail an die taz auf | |
„Quellen aus Brüssel und insbesondere aus der alternativen Landwirtschaft“. | |
Die Angaben sind so vage, dass sich die Quellen nicht überprüfen lassen. | |
Nun arbeitet für die DWN zwar angeblich ein „Team von | |
Top-Wirtschaftsjournalisten, Korrespondenten und Reportern“, aber | |
normalerweise sind sie kein einflussreiches Medium. [4][„Herausgeber“ ist | |
Michael Maier], einst Chefredakteur von Berliner Zeitung und Netzeitung. | |
Der Saatgut-Artikel jedoch wurde auf mehr als 160.000 Facebook-Seiten | |
verlinkt. | |
Nach eigenen Angaben wurde auch das Bundesagrarministerium von Ilse Aigner | |
(CSU) auf den DWN-Text aufmerksam. Im Moment besonders um Wählerstimmen im | |
agrarindustriefeindlichen Bayern bemüht, [5][sagte Aigner] dem | |
Handelsblatt: „Es darf nicht so weit kommen, dass Privatgärtner für ein | |
paar Samenkörnchen eine amtliche Zulassung vorzulegen haben.“ | |
Daraufhin stellte die Vertretung der EU-Kommission in Deutschland [6][noch | |
einmal klar]: „Privatgärtner können auch in Zukunft ihr Saatgut wie bisher | |
verwenden.“ Aigner habe ja nicht behauptet, dass die EU-Kommission das | |
Verbot wolle, verteidigte ein Ministeriumssprecher das Zeitungszitat. | |
Es gibt tatsächlich gut begründete Kritik an dem Kommissionspapier. Zum | |
Beispiel bemängeln Biozuchtorganisationen, dass die Zulassung ihrer Saaten | |
noch schwieriger als bisher werden könnte. Gebhard Rossmanith, Chef des | |
Ökolieferanten Bingenheimer Saatgut AG, will aber erst mal abwarten. Er | |
weist darauf hin, dass die verschiedenen Generaldirektionen der Kommission | |
sich noch nicht auf eine gemeinsame Linie geeinigt hätten: „Wir warten auf | |
den endgültigen Entwurf der Kommission, den sie am 6. Mai beschließen will. | |
Erst dann werden wir uns detailliert dazu äußern.“ | |
25 Apr 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/04/23/eu-will-anbau-von-obs… | |
[2] http://saatgutpolitik.arche-noah.at/saatgutverordnung | |
[3] http://helfen.global2000.at/de/freiheit-f%C3%BCr-die-vielfalt | |
[4] http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/impressum/ | |
[5] http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/landwirtschaft-aigner-lehnt… | |
[6] http://ec.europa.eu/deutschland/press/pr_releases/11327_de.htm | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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