# taz.de -- Zweite Staffel „Top of the Lake“ auf Arte: Die Frau im Koffer | |
> Die Serie erzählt mit komplexen Frauenfiguren von sexualisierter Gewalt | |
> und Selbstbestimmung. Moralische Maßstäbe werden infrage gestellt. | |
Bild: Elisabeth Moss („Mad Men“) als Kommissarin Robin Griffin und Gwendoli… | |
Ein Koffer wird an die Meeresoberfläche vor dem Strand in Sydney gespült. | |
Ein langer schwarzer Haarschopf quillt daraus hervor. Innendrin die Leiche | |
einer schwangeren asiatischen Frau ohne Gesicht. Kommissarin Robin Griffin | |
(Elisabeth Moss), Spezialistin für Sexualdelikte, übernimmt den Fall. Doch | |
vier Jahre nachdem sie in ihrer Heimat Neuseeland einen Pädophilen-Ring | |
aufgedeckt und auf den korrupten Polizeichef geschossen hat, kämpft sie | |
immer noch mit mobbenden Kollegen und Depression infolge einer | |
posttraumatischen Belastungsstörung. | |
Die Ermittlungen führen Griffin und ihre Polizeikollegin Miranda Hilmarson | |
(Gwendoline Christie) auf die Spur der Betreiber eines Vorstadtbordells. | |
Sie treffen auf den schmierigen Vermieter Alexander Braun (David Dencik), | |
einen 42-jährigen Deutschen, der sich als Feminist und Frauenbefreier | |
inszeniert, weil er den jungen asiatischen Prostituierten schmutzige | |
englische Ausdrücke beibringt. Braun selbst ist mit der noch 17-jährigen | |
Australierin Mary (Alice Englert) zusammen, die sich als Griffins leibliche | |
Tochter entpuppt. Als Teenager wurde die Polizistin selbst Opfer einer | |
Gruppenvergewaltigung und hatte ihr Baby zur Adoption freigegeben. | |
Die zweite Staffel der herausragenden Serie „Top of the Lake“ von Autorin | |
und Regisseurin Jane Campion („Das Piano“) und Garth Davis schließt nahtlos | |
an die etablierten Themenkomplexe um sexualisierte Gewalt, Ausbeutung und | |
Traumabewältigung an, erweitert sie sogar noch um die Sujets wie | |
Mutterschaft, Identität und weiblicher Selbstbestimmung. | |
Hauptdarstellerin Elisabeth Moss wird nach ihrer Rolle als Peggy Olson in | |
„Mad Men“ in diesem Jahr für die Serien-Adaption des Margaret-Atwood-Romans | |
„The Handmaid’s Tale – Der Report einer Magd“ erneut mit Lob überhäuf… | |
und das zu Recht. Moss kann eine ungeheure Eindringlichkeit erzeugen, sie | |
bringt für die Zuschauer den seelischen Ballast dieser bisherigen Rollen | |
als zusätzliche Ebene in die Figur von Robin Griffin ein. | |
So sind es überhaupt erneut die fantastischen Frauenfiguren, die „Top of | |
the Lake – China Girl“ zu einem Erlebnis machen. Neben Moss agiert die | |
hünenhafte Gwendoline Christie, die einem Millionenpublikum als ernste | |
Ritterin Brienne von Tarth im Fantasy-Epos „Game of Thrones“ bekannt wurde | |
und diese Rolle mit Witz und anrührender Emotionalität wunderbar | |
untergräbt. Die Figur von Marys Adoptivmutter hat Campion mit | |
Hollywood-Star Nicole Kidman besetzt und ebenfalls markant entgegen ihrem | |
Image als ewig jung wirkende Schönheit angelegt. Dabei zeigen ihre langen | |
grauen Haare und sichtbaren Alterungserscheinungen, wie faszinierend und | |
facettenreich das Frauenbild in Film und Fernsehen sein kann. | |
Doch auch die Männerfiguren werden von Campion und Davis mit einer | |
entsprechenden Ambivalenz ausgestattet. Adoptivvater Pyke Edwards (Ewen | |
Leslie) ist nach der Trennung von seiner Ehefrau, im Zuge ihres Coming-outs | |
und der zeitgleichen Emanzipation seiner Tochter überfordert auf der Suche | |
nach einer neuen Rolle im Leben. Griffins Polizeichef entpuppt sich in | |
seiner leitenden Funktion als ebenso unsicher und zwiegespalten wie im | |
Umgang mit seiner Affäre zu Hilmarson. Und trotz seines abstoßenden und | |
gewalttätigen Auftretens weiß selbst der vermeintliche Bösewicht Braun zu | |
irritieren, indem er mit seinen verqueren Interpretationen und Ansichten | |
immer wieder gesetzte moralische Bewertungsmaßstäbe infrage stellt, sowohl | |
die der handelnden Figuren als auch der Zuschauer. | |
Trotz seiner im Grunde simplen, in unzähligen Krimis und Psycho-Thrillern | |
erprobten Handlungsebene, erschafft auch die zweite Staffel von „Top of the | |
Lake“ erneut eine vollkommen eigene und eigenartige Welt, deren Sichtweise | |
auf die Gesellschaft in dieser konsequenten Form in Film und Fernsehen | |
weiterhin viel zu selten zu sehen ist. Wer sich immer noch fragt, welche | |
zusätzlichen Erzählperspektiven die Präsenz von mehr Frauen vor und hinter | |
der Kamera eröffnen könnte, muss auf diese Serie verwiesen werden. | |
7 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Jens Mayer | |
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