| # taz.de -- Zwangsarbeit und Fußball: Schuften und kicken | |
| > Nicht allen Zwangsarbeitern war in der NS-Zeit das Fußballspielen | |
| > verboten. Eine Ausstellung zeigt, dass es sogar Länderkämpfe unter ihnen | |
| > gab. | |
| Bild: Bram Appel, der Niederländer, der 1942 nach Berlin verschleppt worden wa… | |
| Berlin taz | Das Länderspiel der Niederlande gegen Italien muss hart | |
| umkämpft gewesen sein. Am Ende siegten die niederländischen Fußballer knapp | |
| mit 4:3. Bei der Begegnung hatte keine Seite Heimrecht. Sie fand in Berlin | |
| statt, am 20. August 1944, mitten im Zweiten Weltkrieg. Die Spieler waren | |
| auch keine Profis. Es waren Zwangsarbeiter. Sie durften in ihrer kargen | |
| Freizeit – üblich war ein halber Tag in der Woche – mit dem Segen der | |
| Deutschen Arbeitsfront Fußball spielen. Die Nazis erhofften sich davon eine | |
| höhere Arbeitsleistung. | |
| In Berlin erinnert eine Ausstellung anlässlich der Fußball-EM in | |
| Deutschland an Ereignisse wie dieses Spiel. „Ganz Europa kickte in Berlin“ | |
| ist der Name der Schau, und sie findet nicht zufällig in einer eher engen | |
| Baracke statt. | |
| [1][Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit] ist in ehemaligen | |
| Unterkünften von Menschen untergebracht, die in der Reichshauptstadt | |
| schuften mussten. Mehr als 8 Millionen Menschen waren von den Nazis nach | |
| Deutschland gezwungen worden, als Ersatz für die deutschen Männer an der | |
| Front. | |
| Nicht allen von ihnen war es erlaubt zu kicken. [2][Frauen schon mal gar | |
| nicht]. Aber auch den meisten Männern aus Osteuropa blieb es verboten. Sie | |
| galten den Nazis als minderwertige „Untermenschen“, denen ein solches | |
| Privileg der Freizeitgestaltung nicht zustand, ebenso wenig wie ein Ausgang | |
| aus ihren Lagern oder ein Essen, das satt machte. | |
| Die Macherinnen der Schau berichten, dass sie keinen einzigen Beleg für | |
| sowjetische Spieler gefunden hätten. Dafür aber das Foto eines Schilds mit | |
| der Aufschrift: „Polen ist das Betreten des Sportplatzes bei Strafe | |
| verboten.“ | |
| Doch manche spielten trotzdem. Sie hielten sich nicht an die Verbote, trotz | |
| strenger Strafen. So wie der Pole Tadeusz Brzeski, der 1940 nach Hamburg | |
| verschleppt worden war und gut Deutsch sprach. „Ich fand Interessierte und | |
| gründete eine Fußballmannschaft“, wird Brzeski in der Ausstellung zitiert. | |
| Sie spielten gegen Holländer. „Viel Freude und Aufregung“ habe es da | |
| gegeben. | |
| ## Länderwettkämpfe unter Zwangsarbeitern | |
| Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen aus westlichen Staaten war das | |
| Fußballspielen dagegen erlaubt. Betriebe hielten sogar Sportplätze für sie | |
| bereit, auf denen die Männer an „Sporttagen“ auftreten durften. Trikots und | |
| Bälle stellten Lagerleitung oder Firmen. So kam es zu Turnieren zwischen | |
| Betrieben, die ab 1942 in einer Berliner „Lager-Liga“ kickten. Bald darauf | |
| spielten Zwangsarbeiter verschiedener Nationen gegeneinander. | |
| Beim Spiel der Niederlande gegen Flandern im Juni 1943 soll es 15.000 | |
| Zuschauer gegeben haben, und als die Niederlande auf Serbien traf, gab es | |
| am Rande wilde Prügeleien. Zumindest auf den Rängen waren auch Frauen | |
| erlaubt, so wie für die Tschechin Vaclava Svobodová, die stolz auf ihre | |
| „Argus-Füchse“ war, als die einen Pokal gewonnen hatten. | |
| Fußballtechnisch besonders versierte Spieler konnten schließlich auch in | |
| deutschen Vereinen mitspielen. [3][So wie Bram Appel]. Der Niederländer, | |
| der 1942 nach Berlin verschleppt worden war, galt als echter Goalgetter und | |
| durfte bei Hertha BSC antreten. Selbst der Völkische Beobachter berichtete | |
| über seine Tore, freilich ohne zu erwähnen, dass er ein Zwangsarbeiter war. | |
| „Weil ich für die Hertha ein wichtiger Spieler war, hatte ich immer genug | |
| zu essen“, sagte Appel nach dem Krieg, der so zwar halbwegs durch die | |
| Schufterei gekommen war, aber nach 1945 bei seinen Landsleuten als | |
| Kollaborateur galt. Erst 1955 durfte Appel wieder in der holländischen | |
| Nationalmannschaft spielen. | |
| Für die meisten Zwangsarbeiter wie für die Zuschauer war das Fußballspiel | |
| wohl eine willkommene Abwechslung vom immensen Arbeitsdruck, den Schikanen | |
| der Aufseher und der fehlenden Privatsphäre in den Schlafbaracken. Das | |
| Spiel konnte den Lebenswillen bewahren. | |
| Für einige aber endete der NS-Terror tödlich. Julius Hirsch war vor der | |
| NS-Machtübernahme einer von zwei jüdischen Spielern in der deutschen | |
| Nationalmannschaft gewesen. 1933 kam er seinem Ausschluss von seinem | |
| Karlsruher Heimatklub durch den Austritt zuvor. | |
| Juden durften fortan nicht mehr in deutschen Vereinen Sport treiben. Hirsch | |
| spielte für jüdische Klubs. Ab 1939 musste er Zwangsarbeit leisten. Im | |
| Frühjahr 1943 wurde Hirsch nach Auschwitz deportiert und ermordet. Seinem | |
| Schicksal wird in dieser kleinen Ausstellung gedacht. | |
| Ganz Europa kickte in Berlin. Fußball und Zwangsarbeit im | |
| Nationalsozialismus – Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Britzer | |
| Straße 5, Berlin-Schöneweide. | |
| 12 Jul 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Klaus Hillenbrand | |
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