| # taz.de -- Zeuge von Polizeimaßnahme vor Gericht: Besser gar nicht hinschauen | |
| > Werner P. wollte Polizeigewalt bezeugen – jetzt ist der Hamburger wegen | |
| > Verleumdung angeklagt. Einmischung in Polizeiaktionen wird so | |
| > kriminalisiert. | |
| Bild: Vielleicht künftig besser nicht ansprechen: Bundespolizisten im Einsatz | |
| Bremen taz | Werner P. hat Zivilcourage gezeigt: Als der Journalist gesehen | |
| hat, wie einem Menschen aus seiner Sicht heraus Unrecht geschehen ist, ist | |
| er auf ihn zugegangen und hat sich als Zeuge angeboten. So könnte man die | |
| Geschichte sehen. | |
| Die Staatsanwaltschaft Hamburg sieht sie anders. P. steht aktuell im | |
| Amtsgericht St. Georg vor Gericht, doch nicht als Zeuge für den Vorfall, | |
| sondern selbst als Angeklagter. Denn laut Staatsanwalt hat er versucht, | |
| eine Polizeikontrolle zur Überprüfung von Personalien „zu stören“. Und | |
| dann, das ist der eigentliche Vorwurf, habe er auch noch eine Verleumdung | |
| in die Welt gesetzt. | |
| Um zu verstehen, was passiert ist, kann man zurückgehen zu einem | |
| Samstagabend, Mitte Februar 2020. P. war den Tag über als Journalist auf | |
| einer Demo in Neumünster, wo [1][gegen ein Nazikonzert protestiert worden | |
| war]. Nun, gegen zwanzig vor neun, kommt er wieder am Hamburger | |
| Hauptbahnhof an. Als er den Bahnsteig an Gleis 12 entlanggeht, sieht er | |
| eine Gruppe Menschen aus seinem Zug, die von der Polizei aufgehalten wird; | |
| so weit stimmen die Schilderungen überein. | |
| ## Ein Mann wird auf den Boden befördert | |
| Er sieht, so erzählt P. weiter, wie einer aus der Gruppe zu Boden geht, | |
| „unter Einwirkung von Polizeihandeln“, wie P. heute vorsichtig formuliert. | |
| „Einer aus der Gruppe“, das ist G., der ebenfalls als Journalist auf der | |
| Demo gewesen war. „Ich habe gespürt, wie ich sehr unsanft auf den Boden | |
| katapultiert wurde“, erinnert sich G. gegenüber der taz, „das ging alles | |
| ganz schnell.“ | |
| „Ich bin dann hingegangen, habe meinen Presseausweis gezeigt und gefragt, | |
| was dieses Polizeihandeln soll“, erzählt P. Die Polizei habe ihm zu | |
| verstehen gegeben, dass er verschwinden solle. „Ich habe gesagt, dass ich | |
| nicht verschwinde, weil ich in der Berichterstattung bin“, so P. | |
| Und dann? „Dann soll ich dem Betroffenen so was gesagt haben, wie,Die haben | |
| dich doch geschlagen',“sagt P. Und das wiederum bewertet die | |
| Staatsanwaltschaft heute [2][als Verleumdung, als „unwahre Tatsache“ also], | |
| die geeignet sei, das Ansehen der Polizisten zu schädigen, und diese | |
| „unwahre Tatsache“ habe P. „wider besseren Wissens verbreitet“. | |
| ## Opfer von Polizeigewalt werden oft verklagt – aber Zeugen? | |
| Opfer von Polizeigewalt kennen die [3][Situation, dass auf eine Anzeige | |
| häufig eine Gegenanzeige folgt]. „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ ist | |
| der Vorwurf aus dem Strafgesetzbuch, der in solchen Fällen gern bemüht | |
| wird. Zeug*innen von Polizeihandeln werden regelmäßig am Filmen gehindert | |
| [4][mit Verweis auf die „Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes“]. Dass | |
| Zeug*innen selbst eine Anklage erwartet, ist allerdings bisher nicht der | |
| Normalfall. | |
| Die Staatsanwaltschaft Hamburg kann zu dem konkreten Fall nichts mehr sagen | |
| – der liegt schließlich mittlerweile in den Händen des Gerichts. Sprecherin | |
| Liddy Oechtering äußert sich aber allgemein. „Dass Zeugen sich irren, kommt | |
| in Prozessen ständig vor“, sagt sie. „Für einen Verleumdungsvorwurf reicht | |
| das aber noch nicht.“ Hinzu kommen muss die Absicht zur Lüge: „Für ein | |
| Verfahren muss die Anklage davon ausgehen, dass jemand bewusst vorsätzlich | |
| gelogen hat.“ | |
| Genau das hält P.s Anwältin, Daniela Hödl, für sehr fragwürdig. Eigentlich | |
| hatte sie sich deshalb gute Chancen ausgerechnet, dass der Vorwurf noch in | |
| der Verhandlung am Donnerstag ausgeräumt werden könne. Schließlich gebe es | |
| Videomaterial – und das zeige deutlich, dass der Journalist G. von mehreren | |
| Beamten gepackt und zu Boden gerissen worden sei. Einer habe ihm dabei eine | |
| Art Stoß versetzt. | |
| ## Eine „unwahre“ Aussage – oder eine ungenaue | |
| Das Gericht ließ sich davon nicht überzeugen. Ein weiterer Verhandlungstag | |
| im November soll Klärung bringen, vermutlich wird G. als Zeuge geladen. Was | |
| dabei zusätzlich geklärt werden kann, ist für Hödl nicht ganz ersichtlich. | |
| Dass P.s Aussage „unwahr“ sei, könnte mit dem Video bereits aus der Welt | |
| sein, findet sie. „Sollte es jetzt wirklich um den Unterschied zwischen | |
| Schlagen und Stoßen gehen?“, fragt die Anwältin. „Dann ist doch die Frage, | |
| ob das bereits eine unwahre Tatsache ist – oder nur ungenau ausgedrückt.“ | |
| Auch weitere Gründe sprechen für sie gegen eine Straftat. Laut Anklage soll | |
| P. zu G. gesagt haben: „Ich habe gesehen, wie er dich geschlagen hat.“ | |
| Hödl: „Die Person weiß doch selbst, ob sie geschlagen wurde oder nicht.“ | |
| Die Verbreitung „falscher Tatsachen“ könne so kaum gegeben sein. Die | |
| Staatsanwaltschaft konkretisiert in ihrem Strafbefehl allerdings auch | |
| zusätzlich, die Aussage sei „für anwesende Passanten vernehmbar“ gewesen. | |
| ## Einmischung wird kriminalisiert | |
| Für die Anwältin steckt hinter der Anklage etwas anderes als die Angst vor | |
| der Verbreitung falscher Tatsachen. „Es wird hier versucht, jegliche Frage, | |
| jegliche Einmischung in polizeiliche Maßnahmen zu kriminalisieren“, sagt | |
| sie. Der Zeuge von der Polizei habe in der Verhandlung immer wieder betont, | |
| dass P. den Einsatz gestört habe. Auch in der Anklageschrift ist das zu | |
| lesen. „Es wird also schon als störend empfunden, wenn jemand auf die | |
| Polizei zugeht und sie anspricht. Das soll in Zukunft verhindert werden.“ | |
| Irritiert ist die Anwältin auch, dass der Fall nicht nur angezeigt, sondern | |
| auch als relevant genug für eine Verhandlung eingestuft wurde. „Es gibt | |
| viele Vorfälle, die rechtlich einen Straftatbestand erfüllen“, sagt sie. | |
| „Aber ob die dann wirklich verfolgt werden, ist eine andere Sache. Ich | |
| vermute mal, hätte ich eine ähnliche Anzeige aufgegeben, wäre die nicht vor | |
| Gericht gelandet.“ | |
| 30 Oct 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Rechtsrock-Abend-in-Neumuenster/!5659858 | |
| [2] https://dejure.org/gesetze/StGB/187.html | |
| [3] https://kop-berlin.de/beitrag/wenn-opfer-zu-tater-innen-kriminalisiert-werd… | |
| [4] /Prozesse-zu-Bild--und-Tonaufnahmen/!5611087 | |
| ## AUTOREN | |
| Lotta Drügemöller | |
| ## TAGS | |
| Polizeigewalt | |
| Polizei Hamburg | |
| Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg | |
| Zeuge | |
| Polizei | |
| Hamburg | |
| Polizeigewalt | |
| Polizei Hamburg | |
| Polizeigewalt | |
| Polizei Berlin | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Polizei | |
| Polizei | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Beschwerdestelle der Polizei in Hamburg: Nur fünf Ermittlungen | |
| Mehr als tausend Beschwerden sind bei der Hamburger Polizei seit März 2021 | |
| eingegangen. Nur den wenigsten Beamt:innen drohen Konsequenzen. | |
| Hamburger Prozess um „Schülerlotsen“: Zu Recht beleidigt? | |
| Weil er einen Polizisten als „Schülerlotsen“ bezeichnet hatte, ist Ale | |
| Dumbsky wegen Beleidigung angeklagt. Am Dienstag hat der Prozess begonnen. | |
| Polizisten in Köln suspendiert: Verdacht auf Körperverletzung | |
| Fünf Polizisten werden verdächtigt, bei einem Einsatz übermäßige Gewalt | |
| gegen einen Mann angewendet zu haben. Der starb zwei Wochen später. Jetzt | |
| wird ermittelt. | |
| Liegestütze auf dem Berliner Holocaust-Mahnmal: Mehr Nachhilfe für die Polizei | |
| Im Vergleich zu rechtsextremen Chatgruppen sind Turnübungen eher ein | |
| Miniskandal. Warum die Polizei die Kritik trotzdem ernst nehmen sollte. | |
| 17-jähriger über Rassismus: „Das Polizeiproblem ist massiv“ | |
| Musa Farhan wechselt die Straßenseite, wenn er die Polizei sieht. Im April | |
| attackierten Beamten den 17-jährigen nach einer Demo gegen Racial | |
| Profiling. | |
| „Copservation“ über Polizeivergehen: „Das Einzelfall-Narrativ ist absurd… | |
| Das Netzwerk „Copservation“ will polizeiliches Fehlverhalten dokumentieren. | |
| Fast jeden Tag erhalten die Mitglieder in sozialen Medien Berichte über | |
| Vergehen. | |
| Jugendlicher über Polizeigewalt: Kein Vertrauen in die Polizei | |
| Ein Hamburger Polizist schlug einem Jugendlichen mit der Faust ins Gesicht. | |
| Der 15-Jährige und seine Familie sprechen mit der taz über das Erlebte. |