| # taz.de -- Zanele Muholi im Gropius Bau: Stolz und verletzlich | |
| > Als Visual Activist agiert Zanele Muholi in der queer- und | |
| > transfeindlichen Gesellschaft Südafrikas. Nun wird ihre Kunst im Berliner | |
| > Gropius Bau ausgestellt. | |
| Bild: Aussschnitt aus Zanele Muholi, Comfort, 2003 | |
| Eine Frau hält schützend die Hände vor ihr Geschlecht. Zu sehen ist nur | |
| diese Geste sowie eine über den Oberschenkel verlaufende breite Narbe. Die | |
| Fotografie „Aftermath“ aus Zanele Muholis erster Serie „Only Half the | |
| Picture“ von 2004 zeigt Trauma und Schmerz einer Überlebenden der immer | |
| noch gängigen sogenannten „korrektiven“ Vergewaltigungen, um queere | |
| Sexualität zu „heilen“ und gleichzeitig vor den Folgen zu warnen. | |
| So wurde 2011 die Fußball-Nationalspielerin Eudy Simelane mehrfach | |
| vergewaltigt, anschließend gesteinigt und dann erstochen, weil sie sich | |
| offen zu ihrer Partnerin bekannt hatte. Wer als Opfer dieser Hassverbrechen | |
| noch lebt, hat bisher überlebt. | |
| [1][Zanele Muholi, geboren 1972 in Umlazi, einem Township von Durban,] und | |
| überwiegend dort lebend und arbeitend, bezeichnet sich selbst als „Visual | |
| Activist“. Muholis Aufbegehren gegen Diskriminierung, Hass und Gewalt ist | |
| die Kamera. Dabei identifiziert sich Muholi als Mensch mit allen Formen der | |
| Diversität und damit als nicht-binär, mit dem Pronomen they/them. | |
| Nach einem Master in Dokumentarfilm und Fotografie in Toronto, ist Muholi | |
| seit 2013 Honorarprofessor*in an der Hochschule der Künste in Bremen. | |
| Muholis Porträts und Selbstporträts, die, nach einer Station in der Tate | |
| Modern in London, erstmals in Deutschland in einer umfassenden Werkschau im | |
| Berliner Gropius Bau zu sehen sind, bilden als politisches Statement ein | |
| wachsendes Bildarchiv der Schwarzen LSBTQIA+-Bewegung Südafrikas. | |
| ## Sichtbarkeit, Selbstermächtigung und Heilung | |
| In einer nach wie vor queer- und transphoben Gesellschaft, die | |
| genderbasierte Gewalt und Mord duldet, geht es in Muholis Arbeiten um | |
| Sichtbarkeit, Selbstermächtigung und Heilung. | |
| Muholi war 22 Jahre alt, als die Apartheid 1994 offiziell beendet wurde, | |
| doch die strukturellen Erfahrungen und Folgen rassischer Klassifizierung | |
| und eines heteronormativen Wertesystems sitzen tief. Die Selbstporträts | |
| sind ein Weg der Selbstheilung. So finden sich auf Muholis | |
| Instagram-Account immer wieder die Hashtags #race_love_gender_politics oder | |
| auch #selflove. | |
| Das Ausmaß des postkolonialen, sich in allen Gesellschaftsbereichen | |
| auswirkenden Rassismus, hat sich schmerzhaft in die Seelen und Körper der | |
| trotz formeller Beendigung der Apartheid bis heute vom Zugang zu | |
| Gleichberechtigung ausgegrenzten Bevölkerung Südafrikas eingegraben. | |
| Vor 1994 waren Schwarze queere Stimmen von der Entstehung einer formellen | |
| Bewegung ausgeschlossen. Während die Körper schwarzer Frauen häufig Teil | |
| der sexualisierten Popkultur sind, stören Schwarze Lesben den durch | |
| Patriarchat, Ausbeutung, Heteronormativiät und Sexismus | |
| strukturell-kulturell geprägten Blick. | |
| ## Behutsame Annäherung und großes Vertrauen | |
| 2002 begann Muholi, die Schwarze LSBTQIA+-Community in verschiedenen | |
| fortlaufenden Serien zu porträtieren und so ein wachsendes visuelles Archiv | |
| zu erschaffen. Die Aufnahmen entstehen in geschützten Räumen in intimem | |
| Rahmen, etwa beim gegenseitigen Waschen oder bei der Zärtlichkeit von | |
| Umarmungen. Es ist eine behutsame Annäherung und zeigt großes Vertrauen, | |
| Würde und Respekt. | |
| Muholi sieht die Porträtierten nicht als Subjekte, sondern als | |
| „Teilnehmende“ und das Bildmaterial als kollaboratives Ergebnis. Die Serie | |
| „Faces and Phases“ war in Deutschland erstmals 2012 auf der documenta in | |
| Kassel zu sehen. Jedes Porträt zeigt ein Gesicht, das sich offen der Kamera | |
| zuwendet, zu einer Biografie wird und zum Dialog einlädt, als Zeichen einer | |
| Bewegung, in der Zugehörige nicht allein sind. Auch Muholis eigenes Porträt | |
| hängt dazwischen. Jenen unter ihnen, die nicht überlebt haben – durch | |
| Hassverbrechen, Suizid oder HIV –, ist im Gropius Bau eine eigene Wand | |
| gewidmet. | |
| In der Selbstporträt-Serie „Somnyama Ngonyama/Hail the Dark Lioness“ | |
| verweist Muholi mit Titeln in ihrer Muttersprache isiZulu auf ihre/seine | |
| Vorfahren, vor allem auf die geliebte, ersehnte und abwesende Mutter | |
| Bester, die 40 Jahre als Hausmädchen unter erniedrigenden Bedingungen für | |
| eine weiße Familie arbeiten musste, um ihre acht Kinder zu ernähren, Muholi | |
| wuchs als jüngstes Kind bei einer fremden Großfamilie auf. | |
| Die Bester-Porträts zeigen Muholi stolz mit einer Krone aus Putzschwämmen | |
| oder Wäscheklammern. Ein weiterer Verweis sind die „MaID-Portraits“, eine | |
| Wortverbindung aus Hausmädchen und Identität. Die Serie bezieht sich auch | |
| auf die Sangoma-Tradition südafrikanischer Heiler*innen, die zu heilende | |
| Personen mit ihren Ahnen zu verbinden. | |
| ## Der sogenannte Bleistifttest | |
| Muholi wollte eine künstlerische Ausdrucksform finden, um die eigenen | |
| schmerzhaften Erfahrungen im Rückgriff auf historische Momente zu | |
| verarbeiten. So zeigt das Selbstporträt „Nolwazi II“ (isiZulu für | |
| Lexikon/Information) Muholi mit Bleistiften im Haar, ein Verweis auf den | |
| absurden, aber offiziell von Behörden durchgeführten „Bleistifttest“, der | |
| während der Zeit der Apartheid angewandt wurde, um Menschen rassisch zu | |
| klassifizieren. | |
| Blieb der Bleistift im Haar, war es „Afrohaar“. Die rassische Zugehörigkeit | |
| wurde in einem Passbuch vermerkt, das jede als nichtweiß klassifizierte | |
| Person ständig mit sich führen musste und das auch Zutrittsbeschränkungen | |
| zu bestimmten Orten enthielt, wie etwa zu den Stränden von Durban oder | |
| Kapstadt. | |
| So zeigt die Serie „Brave Beauties“, neben den | |
| Miss-(Black)-Lesbian-Selbstporträts eine der wenigen Farbserien Muholis, | |
| Transgender-Frauen und ehemalige Gay-Schönheitsköniginnen, mit denen Muholi | |
| seit vielen Jahren zusammenarbeitet. Muholi platziert die Teilnehmenden an | |
| politisch wirkmächtigen Orten, wie dem Constitutional Hill in Johannesburg. | |
| Im Sitz des Verfassungsgerichts und ehemaligen Gefängniss „Old Fort“, | |
| bekannt als „Number Four“, waren während der Apartheid Dissidenten | |
| inhaftiert, darunter auch Nelson Mandela. Die größte Fotografie der | |
| Ausstellung jedoch zeigt die „Brave Beauties“ am Strand von Durban als | |
| Zeichen der Rückeroberung des öffentlichen Raumes. Muholi nennt es | |
| „Queering the Spaces“. Es ist ein glückliches, ein stolzes Bild. | |
| ## Sich in seiner Haut wohlfühlen | |
| Im Februar 2021 gründete Muholi die „BaMu Arts Foundation / Muholi Arts | |
| Project“, um Kunst und Bildung im ländlichen Raum erfahrbar zu machen sowie | |
| durch kreativen Ausdruck und diskursives Denken die Erzählung der | |
| anerzogenen Abwertung zu verändern und Heilung zu ermöglichen: Sich selbst | |
| zu vertreten, zu akzeptieren, zu feiern, sich in seiner Haut wohlzufühlen | |
| und schön zu finden. | |
| Bereits auf der Pariser Weltausstellung 1900 hatte der afroamerikanische | |
| Soziologe und Civil-Rights Aktivist [2][W. E. B. Dubois] versucht, mit | |
| seinem Bildarchiv „The American Negro“ durch eine öffentliche, | |
| selbstbewusste Darstellung Schwarzer Menschen, den Ängsten und Vorurteilen | |
| zu begegnen, die durch die rassistischen Abbildungen von geschwärzten | |
| Gesichtern und übergroßen Lippen hervorgerufen wurden. | |
| Seit Dubois und bis heute ist jedoch die Schwarze Frauen- und | |
| Queer-Bewegung als Teil der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung weitgehend | |
| unsichtbar. Muholi erweitert den visuellen Aktivismus um die Darstellung | |
| der Schwarzen LSBTQIA+-Bewegung und entwirft damit ein universelles | |
| Narrativ. | |
| Muholis Arbeiten schaffen Sichtbarkeit, um Veränderungen in queer-phoben | |
| Räumen herbeizuführen und die Realitäten von Menschen zu dokumentieren, | |
| deren Leben als Teil des Kanons ausgeschlossen wird. Sie werfen die Frage | |
| auf, wie Selbstermächtigung wirksam werden sowie Machtstrukturen | |
| offengelegt und verändert werden können. Dabei bleiben Muholis Arbeiten in | |
| ihrer Radikalität, ihrer Ehrlichkeit und ihrem Stolz Formen von | |
| Beharrlichkeit, Zärtlichkeit und Zuflucht. | |
| 2 Dec 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.google.com/search?client=firefox-b-e&q=%23muholi+taz | |
| [2] https://de.wikipedia.org/wiki/W._E._B._Du_Bois | |
| ## AUTOREN | |
| Maxi Broecking | |
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