# taz.de -- Worte angesichts des Ukrainekriegs: So ratlos wie ich | |
> Immer geht es im Journalismus ums Einordnen, ums Weitermachen. Aber warum | |
> immer weitermachen, wenn man vor Entsetzen erstarrt sein müsste? | |
Bild: „Wir halten Ratlosigkeit für undruckbar, weil das doch gerade nicht un… | |
Hier sollte ein Text über ein Thema stehen. Wie immer. Dafür machen wir | |
schließlich diese Zeitung und dafür lesen Sie das hier. Und bis eben hatte | |
ich zweieinhalbtausend Zeichen Kolumne geschrieben, aber jetzt habe ich | |
alles gelöscht. An dieser Stelle habe ich alle zwei Wochen 3.000 Zeichen | |
Platz, aber gerade scheint mir, wenn ich ehrlich bin, dass nichts geeignet | |
ist, diesen Platz auszufüllen. Das liegt nicht an der Zeichenzahl. | |
Ich bin eine Schreibende, aber käme momentan auch mit 30.000 Zeichen nicht | |
zurecht. Es ist auch nicht so, als ob ich keine Ideen hätte. Ich bin eine | |
Schreibende, und wir Schreibenden haben doch gelernt, dass es niemals | |
nichts zu erzählen gibt. Dass überall Geschichten liegen, für die nicht | |
selten sogar Platz erkämpft werden muss, zwischen allem anderen. | |
Also saß ich bis eben gerade hier und wollte einen Punkt machen – ich | |
dachte mir das so: Du schreibst über Dinge, die du nicht los wirst, über | |
Dinge, die nerven. Du schreibst über deine Kopfhaut, die nach dem ständigen | |
Mützetragen im Winter so trocken ist und juckt. Darüber, wie sie dich nervt | |
und gleichzeitig beruhigt, weil es ein beständiges Nerven ist, jeden | |
Frühling wieder, Jucken und die ersten Krokusse auf dem Grünstreifen, der | |
die Hauptstraße teilt, Jucken und die Erinnerung daran, dass du doch das | |
ganze Jahr lang Sonnencreme benutzen wolltest. | |
Und dann spannst du einen Bogen zu anderen beständig nervigen Dingen, zu | |
[1][Putin-Hitler-Vergleichen] oder dem ewigen Teufelskreis einer verfehlten | |
Coronapolitik. Und dann schreibst du über Dinge, die Deutschland jucken | |
oder eben nicht. Es gäbe viel zu sagen. | |
## Falsch ist das Weitermachen | |
Dann fand ich alles falsch. Nicht die Punkte, die ich machen wollte, nicht | |
die Bilder, die mir dazu einfielen. Was alles falsch macht, ist die | |
Tatsache des Weitermachens, wenn alles erstarrt sein müsste vor [2][der | |
Entsetzlichkeit der Welt]. Wir überspringen dieses Gefühl dauernd, | |
besonders im Journalismus. Wir halten Ratlosigkeit für undruckbar, weil das | |
doch gerade nicht unsere Aufgabe ist. | |
Wer ohnehin keine anderen Werkzeuge hat als Wörter, sollte doch wenigstens | |
im Eindordnen eine Hilfe sein. Im Aufmerksammachen, im Dranbleiben, im | |
Weitermachen. Ich finde das wichtig, trotzdem habe auf die Delete-Taste | |
gedrückt und zweitausendfünfhundert Zeichen dabei zugesehen, wie sie vom | |
Cursor weggefressen wurden. Einordnen, dranbleiben, aufmerksam machen. Wenn | |
die Welt auseinanderbricht, warum brechen wir dann nicht auch mit der Art, | |
in der wir sie beschreiben? | |
Was jetzt hier steht, ist so ratlos wie ich. Das mag verschenkt sein, | |
während sich [3][Ereignisse überschlagen]. Aber heute hat mein Cursor | |
zweieinhalbtausend Zeichen gefressen, weil ich noch nicht fertig bin mit | |
Denken. Was ist der Sinn des Einordnens, wenn die ganze Ordnung in Frage | |
steht? Und wie kann man aufmerksam machen, wenn wir alle überfordert sind | |
von der Vielheit der Dinge? Wenn alles brennt – ich, du, er, sie, es – dann | |
muss es Leute geben, die weitermachen, ja. Aber weitermachen war zum | |
Löschen nie genug. | |
16 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Lin Hierse | |
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