| # taz.de -- Wohnsituation von Studierenden: Dann zieh doch zurück zu den Eltern | |
| > Das Studierendenwerk Berlin hat die Mieten in seinen Wohnheimen wegen | |
| > steigender Energiekosten stark erhöht. Student:innen starten eine | |
| > Petition. | |
| Bild: Wohnen im Studierendenwohnheim wird teuer | |
| Berlin taz | Ein Doppelwumms hat die Mieter:innen von Wohnheimen des | |
| städtischen Studierendenwerks zu Beginn des neuen Wintersemesters | |
| getroffen. Anders, als man vielleicht denken könnte, handelte es sich dabei | |
| aber nicht um Entlastungen. Im Gegenteil: Gleich zweimal, zum September und | |
| dann erneut zum November, hat das Studierendenwerk die Mieten unter Verweis | |
| auf die gestiegenen Energiepreise stark erhöht. Laut Zahlen, die das Werk | |
| der taz auf Nachfrage vorgelegt hat, stieg die Miete in deren 32 Wohnheimen | |
| durchschnittlich um 111 Euro. Insgesamt gibt es in den Heimen etwa 9.200 | |
| Plätze. Im Wohnheim Pfalzburger Straße müssen Student:innen nun sogar | |
| 170 Euro mehr bezahlen. | |
| „Würde ich nicht ohnehin 20 Stunden die Woche arbeiten, ich wüsste nicht, | |
| wie ich mein Zimmer noch bezahlen kann“, sagt Fabian H. zur taz. Er | |
| studiert Politikwissenschaft und lebt in einem Wohnheim des | |
| Studierendenwerks, sein voller Name ist der Redaktion bekannt. Seine Miete | |
| wurde von 360 auf 503 Euro angehoben – das ist eine Steigerung von fast 40 | |
| Prozent. „Ich dachte erst, das wäre ein Scherz“, sagt H. Er habe sich | |
| direkt an die Beratungsstelle des Studierendenwerks gewandt – doch dort | |
| habe man ihm nur gesagt, er könne ja zu seinen Eltern zurückziehen, wenn er | |
| sich die Miete nicht mehr leisten könne. | |
| ## Student:innen starten Petition | |
| Gegen die Preissteigerungen regt sich nun Widerstand in der | |
| Studierendenschaft. [1][In einer Petition] gegen die Mieterhöhungen heißt | |
| es, Studierende würden in der Krise „von der Politik übergangen“. Rund 370 | |
| Menschen haben unterschrieben. Bisher haben Bafög beziehende Studierende | |
| einen einmaligen Betriebskostenzuschuss von 230 Euro erhalten. In Aussicht | |
| gestellt hat der Bund zudem eine Energiekostenpauschale von 200 Euro für | |
| alle Studierenden sowie einen weiteren Nebenkostenzuschuss – wie und wann | |
| der kommt, ist aber noch unklar. | |
| „Die Entlastungen müssen ja nicht nur für ein paar Monate reichen“, sagte | |
| David Tzafrir zur taz, der die Petition verfasst hat. Für eine Krise, die | |
| noch mehrere Jahre gehen könne, seien die bisherigen Zusagen „völlig | |
| unzureichend“. Wenn nun auch noch die Wohnheime anfingen, sich preislich an | |
| den privaten Wohnungsmarkt anzugleichen, würde es „für viele kritisch“. | |
| Insbesondere internationale Studierende und solche aus ärmeren Haushalten | |
| würden von den Mieterhöhungen hart getroffen. | |
| ## Bafög-Zuschuss reicht nicht aus | |
| Lange galten Wohnheime als Garantie für bezahlbaren studentischen Wohnraum. | |
| Auch per Senatsbeschluss ist festgelegt, dass Wohnheime bezahlbar sein | |
| sollen. Als Vergleichswert dafür, was das bedeutet, wird oft der maximal | |
| mögliche [2][Bafög]-Zuschuss für Wohnen von 360 Euro monatlich genannt. | |
| Laut den der taz vorliegenden Zahlen liegen die Durchschnittsmieten im | |
| Studierendenwerk inzwischen mit 371 Euro leicht darüber – in einigen | |
| Wohnheimen des Werks wird noch deutlich mehr verlangt. | |
| Laut Jana Judisch, Pressesprecherin des Studierendenwerks, sind die | |
| Mieterhöhungen für die Studierenden nur ein Vorgeschmack von dem, was auf | |
| alle Mieter:innen zukommt. Privatvermieter:innen würden die | |
| Energiekosten im kommenden Jahr über die Nebenkosten auf die | |
| Mieter:innen umlagern. Das Studierendenwerk dagegen erhöhe nun die | |
| Mieten in allen Neuverträgen vorsorglich, obwohl die Energiepreise für das | |
| Werk erst im kommenden Jahr steigen. Die überflüssig gezahlten Mieten | |
| sollen über das kommende Jahr hinweg durch ein Rabattsystem ausgeglichen | |
| werden. | |
| Trotz der Mieterhöhungen rechnet das Werk für das kommende Jahr mit einem | |
| Defizit von 5 Millionen Euro im studentischen Wohnen, sagt Judisch. Denn | |
| erhöht werden nicht alle Mieten auf einmal. Hintergrund ist, dass | |
| Studierende in Wohnheimen ihre Mietverträge bis zum Ende des Studiums immer | |
| wieder erneuern müssen – und genau dann greift die Mieterhöhung. Um das | |
| schneller durchzusetzen, hat das Werk die regulären Vertragslaufzeiten von | |
| Mietverträgen von 24 Monaten auf ein Jahr heruntergesetzt. Auch diese | |
| Praxis wird in der Petition kritisiert. | |
| ## Forderungen an die Berliner Politik | |
| „Laut den aktuellen Preisprognosen brauchen wir 13 Millionen Euro, um die | |
| Mieten auf dem Niveau vom August zu halten“, sagt Judisch. Damit liegt der | |
| Ball wieder bei der Berliner Politik. Hans-Christoph Keller, Pressesprecher | |
| der zuständigen Wissenschaftsverwaltung, verweist aber zunächst auf den | |
| Bund. Auf die Frage, was der Senat plane, um die Studierenden zu entlasten, | |
| nennt Keller lediglich zwei Angebote, die schon vor der Krise bestanden: | |
| Neben der Möglichkeit über den Notfallfonds des Studierendenwerks eine | |
| Einmalzahlung zu beantragen, sind das Angebote der Unis für „psychologische | |
| Beratung“ – ein Vorschlag, der einen gewissen Zynismus beinhaltet. | |
| Konstruktiver ist da der Ansatz von Tobias Schulze, dem | |
| wissenschaftspolitischen Sprecher der Linken. Durch die Mieterhöhungen | |
| könnten sich viele den Aufenthalt in Berlin nicht mehr leisten, sagte er | |
| der taz. „Wir müssen ein klares Signal senden, dass Student:innen hier | |
| weiter studieren können.“ Sein Plan: Die 13 Millionen Euro über den | |
| Nachtragshaushalt ausgleichen, der Mitte November beschlossen werden soll. | |
| Schulze zeigt sich optimistisch: „Ich gehe davon aus, dass wir das | |
| hinbekommen.“ | |
| 28 Oct 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.openpetition.de/petition/online/stopp-der-extremen-mieterhoehun… | |
| [2] /Beschlossene-Bafoeg-Reform/!5859831 | |
| ## AUTOREN | |
| Timm Kühn | |
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