Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Hochschulen in der Energiekrise: Präsenzlehre? Nicht um jeden Preis
> Um Energie zu sparen, schränkt die Uni Erfurt die Öffnungszeiten ein. Nun
> macht sie sogar für einige Wochen dicht. Studierende fühlen sich
> übergangen.
Bild: Der Eingang zum Hörsaal: verschlossen
Berlin taz | Der Beschluss der Bildungsminister:innen sollte erst gar
keinen Zweifel aufkommen lassen. Anfang September hielten sie fest, dass
der Präsenzbetrieb an den Hochschulen „gerade nach den Erfahrungen aus der
Pandemie unverhandelbar“ sei. Die reine Onlinelehre, die Isolation, der
psychische Druck für die Studierenden – all das soll es nicht mehr geben.
Deshalb habe es „oberste Priorität“, dass die Hochschulen offenblieben –
auch wenn sich die Energiekrise weiter zuspitzen sollte.
Selbst im Falle eines Energieengpasses werden die Hochschulen weiter
versorgt, [1][versprechen die Minister:innen]. Das hat ihnen die
Bundesnetzagentur zugesagt. Im Gegenzug sollen die Hochschulen jedoch
Energie einsparen. 15 bis 20 Prozent sind – je nach Bundesland und Uni –
das Ziel. Dass das nicht allein mit runtergedrehter Heizung und neuen
Energiesparlampen zu schaffen ist, wird nun deutlich. Viele Hochschulen
schließen jetzt doch ihre Türen – zumindest vorübergehend.
So wie die Universität Erfurt. [2][Ab nächster Woche bleiben dort sämtliche
Gebäude geschlossen und öffnen erst Mitte Januar wieder]. Ähnlich wie auch
die Hochschulen in Trier oder Koblenz, die Universität des Saarlandes oder
die TU Berlin um Weihnachten für mehrere Wochen alles dicht machen. Fallen
in der Zeit Seminare oder andere Veranstaltungen an, sollen sie Online
stattfinden. Zwar lassen die Hochschulen teils einzelne Arbeitsräume offen
und beheizt. Wer aber beispielsweise Bücher aus der Bibliothek ausleihen
oder das ganze Wochenende dort lernen möchte, hat Pech gehabt. „Es ist ein
Rückschlag, dass es uns nach den Coronasemestern jetzt wieder trifft“, sagt
die AStA-Vorsitzende der Hochschule Trier.
Studierende überdurchschnittlich stark von Armut gefährdet
Fast noch mehr als die „erweiterte Weihnachtspause“, wie die Uni Erfurt die
Maßnahme nennt, stören die dortigen Studierenden die bereits geltenden
Einschränkungen: Im September hatte das Präsidium beschlossen, die
Öffnungszeiten der Bibliotheken zu verkürzen. Drei Monate lang, zwischen
Oktober und Neujahr, sollten sie bereits um 20 Uhr schließen und an
Wochenenden überhaupt nicht mehr öffnen. Auch andere Unis wie in Düsseldorf
oder Bielefeld haben die Öffnungszeiten ihrer Bibliotheken eingeschränkt.
„[3][Wir werden wieder vergessen]“, ärgern sich Lea und Inya. Die beiden
Studentinnen der Uni Erfurt haben schon vor Wochen [4][eine Petition] gegen
die Energiesparpläne ihrer Universität gestartet. Darin fordern sie, dass
die Uni nicht einfach die hohen Energiekosten auf Studierende abwälzen
kann. Gegenüber der taz begründen sie: „Wir haben eine enorme Inflation,
die Energiekosten explodieren. Wir haben existenzielle Ängste.“
Tatsächlich trifft die Krise Studierende besonders hart. Mitte November
erst erklärte das Statistische Bundesamt, dass [5][im vergangenen Jahr 75
Prozent der Studierenden, die nicht bei den Eltern leben, von Armut bedroht
waren]. Die [6][Einmalzahlung über 200 Euro], die die Bundesregierung
Anfang 2023 allen Studierenden auszahlen möchte, reicht nach Ansicht der
Betroffenen nicht aus. „Wir reden nicht davon, dass ich mir meinen dritten
Kaffee in der Woche nicht leisten kann, sondern dass ich meine
Jahresendabrechnung Anfang des nächsten Jahres nicht bezahlen kann“,
beschreiben die Erfurter Studierenden Lea und Inya die Situation. Die
Stimmung an der Uni gleiche einem Pulverfass.
Hochschulen rechnen mit Verdopplung der Energiekosten
Auch Gina Meier, Stura-Vorsitzende in Erfurt, kritisiert die Entscheidungen
des Unipräsidiums. Unter anderem weil diese ohne den Stura gefällt worden
seien, wie sie betont. Erst im Nachgang und auf Eigeninitiative der
Studierenden wurden diese in den neugebildeten Energiekrisenstab
aufgenommen. „Doch an den Entscheidungen war nicht mehr zu rütteln“, so
Meier. Vergessen scheinen [7][die Worte, die Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier während der Pandemie an die Studierenden richtete]: „Jetzt ist
es umgekehrt auch an uns, den Älteren, Solidarität mit Ihnen zu zeigen! Die
Gesellschaft darf nicht darüber hinwegsehen, wie die junge Generation aus
dieser Jahrhundertkrise hervorgeht.“ Doch sieht Solidarität so aus?
Carmen Voigt, Pressesprecherin der Uni Erfurt, rechtfertigt die Maßnahmen
mit der Forderung der Bundesregierung, dass öffentliche Einrichtungen
signifikant Energie einsparen sollen. Für die Hochschulen ist besonders
wichtig zu wissen, wer die hohen Strom- und Heizkosten übernimmt. Zwar
profitieren die Hochschulen von der Dezembersoforthilfe des Bundes. Diese
Zuschüsse können aber höchstens einen Teil der horrenden Energiekosten
abdecken. So geht beispielsweise die TU Berlin davon aus, im kommenden Jahr
90 bis 140 Millionen Euro für Strom, Gas und Fernwärme berappen zu müssen.
Bisher lagen die Kosten dafür nach eigenen Angaben bei 24 Millionen Euro
pro Jahr. An der Uni Erfurt rechnet man 2023 mit einer Verdopplung der
Energiekosten gegenüber 2021.
Manche Bundesländer wie Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein haben
ihren Hochschulen aus diesem Grund ein Sondervermögen in Aussicht gestellt
– doch längst nicht alle. Der Sprecher der Hochschulrektorenkonferenz
(HRK), Christoph Hilgert, fordert deshalb dringend Hilfe von Bund und
Ländern. „Auf die guten Worte, dass sie trotz Energiepreiskrise geöffnet
bleiben sollen, müssen nun weitere politische Taten folgen, die das
sicherstellen“, so Hilgert. Auch GEW-Vorsitzender Andreas Keller forderte
jüngst: „Nach vier Semestern mit pandemiebedingten Einschränkungen müssen
die Hochschulen im Winter warm und offen bleiben.“
Studierende machen auf sich aufmerksam – Mit Erfolg!
Doch am Ende zahlen wohl die Hochschulen die Rechnung. Ob und welche
Unterstützung die Unis neben den Dezembersoforthilfen erhalten, ist
vielerorts noch unklar, auch in Erfurt. Aus dem Thüringer
Wissenschaftsministerium heißt es, die Hochschulen seien im Sondervermögen
des Landes vorgesehen, sofern sie ihre Bedarfe konkret beziffern. Das
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) verweist auf taz-Anfrage
auf die Strom- und Gaspreisbremse, die Hochschulen „für das gesamte Jahr
2023 und bis ins Frühjahr 2024 vor starken Preisanstiegen“ schützen sollen.
Für die energieintensive Forschung sei ein Härtefallfonds über 500
Millionen Euro geplant.
Dabei sind sich alle Beteiligten einig, dass die Energiekrise nicht
zulasten der Studierenden gehen soll. „Es bringt volkswirtschaftlich
nichts, die Unigebäude zu schließen und Kosten zu sparen, die Studierende
zu Hause aufbringen müssten“, sagt etwa die Berliner Wissenschaftssenatorin
Ulrike Gote (Grüne). Damit die Hochschulen offenbleiben können, müsse der
Bund mehr zahlen.
Oder die Studierenden mehr protestieren. [8][Am Dienstag besetzten
Studierende an der LMU München einen Hörsaal und in Erfurt vergangene Woche
bereits die Bibliothek.] Daraufhin ging das Erfurter Uni-Präsidium auf die
Studierenden zu. Die Bibliothek soll nun doch wieder am Wochenende öffnen,
von 13 bis 18 Uhr. Die Onlinelehre aber bleibt. Vorerst.
14 Dec 2022
## LINKS
[1] https://www.kmk.org/presse/pressearchiv/mitteilung/schulterschluss-zwischen…
[2] https://www.uni-erfurt.de/universitaet/aktuelles/news/news-detail/erweitert…
[3] /Studierende-in-der-Coronakrise/!5687899
[4] https://www.change.org/p/nimm-das-putin-die-uni-erfurt-schr%C3%A4nkt-biblio…
[5] /Armutsgefaehrdung-bei-Studierenden/!5895835
[6] /Archiv-Suche/!5893226&s=einmalzahlung&SuchRahmen=Print/
[7] https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier…
[8] /Universitaetsbesetzungen-sind-zurueck/!5896655
## AUTOREN
Paula Gaess
## TAGS
Hochschule
Bildung
Schwerpunkt Armut
Studierende
Energiekrise
GNS
Studenten
Protest
Studierende
Studierende
## ARTIKEL ZUM THEMA
Energiepauschale für Student:innen: Digital second, Studierende last
Die Zahlungen der Energiepauschale verzögern sich und verzögern sich und
verzögern sich. Studierende müssen erneut die Fehler der Politik ausbaden.
Universitätsbesetzungen sind zurück: Ab in die Hörsäle
Studierende sind von vielen Krisen direkt betroffen. Nun entdecken sie die
Besetzung von Universitäten als Protestform wieder.
Armutsgefährdung bei Studierenden: Luxus Studium
Zum Weltstudierendentag veröffentlicht das Statistische Bundesamt Daten zur
finanziellen Situation von Studierenden. Ein Drittel ist armutsgefährdet.
Wohnsituation von Studierenden: Dann zieh doch zurück zu den Eltern
Das Studierendenwerk Berlin hat die Mieten in seinen Wohnheimen wegen
steigender Energiekosten stark erhöht. Student:innen starten eine
Petition.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.